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Liedertour, Ten Sing KGB     08.09.2001    Prießnitz, Kirche
von rls

Garstiges Wetter hatte zur Verlegung der musikalischen Aktivitäten dieses Abends geführt: Anstelle der Freilichtbühne am Waldbad im westsächsischen Prießnitz, die in den 80er Jahren immer Endpunkt und Kundgebungsort der Demonstrationen zum 1. Mai war, kam so die in den letzten Jahren permanent in kleinen Schritten sanierte Prießnitzer Kirche zum Zuge, an der die Maidemonstrationen seinerzeit in gebührendem Abstand vorbeigezogen waren. Das gedrungene und innen reich verzierte Bauwerk (O-Ton Reiprich/Pötsch-Schlagzeugerin Kathrin zum tortenartig aufgebauten und mit bunten Perlen und Kugeln übersäten Taufsteindeckel: "Kann man das essen?") erlebte einen abwechslungsreichen Abend und meinereiner seinen ersten kompletten Liedertour-Gig unter diesem Banner.
Die hiesige Ten Sing-Formation (KGB steht für Kitzscher-Geithain-Borna) hatte das Wochenende genutzt, um unter Anleitung von Mitgliedern des Ten Sing-Sachsenprojektes an ihrem Repertoire zu feilen. Die innerhalb des Samstags einstudierten Nummern wurden innerhalb der ersten halben Stunde des Abends dem interessierten Publikum dargeboten. Die kultige Tanz- und Gesangsperformance "Wenn du nicht weißt, was Ten Sing ist, dann zeigen wir es dir" riß einen vor Lachen erstmal von der Kirchenbank (nebenbei bemerkt: Welcher Gitarrist spielt eigentlich gerne Lieder in F-Dur?), und speziell die Chorpassagen, welche die dargebotenen Songs durchzogen, wirkten schon fast zu professionell, wenn man bedenkt, daß da auch reihenweise blutige Anfänger dabei waren. Die besetzungstechnisch mit fast jedem Song wechselnde Backingband rollte einen soliden Soundteppich aus, wenn nicht gerade ein A-cappella-Gospel auf dem Programm stand. Steigerungspotentiale wurden im Leadgesang sowie in der bisweilen durch personifizierte Asynchronität bestechenden Tanzperformance deutlich - hier heißt es üben, üben, üben! Ein ausgezeichneter Anfang aber war gemacht, den die passabel gefüllte Kirche zu würdigen wußte.
Als ich nach gepflegtem Smalltalk den Raum wieder betrat, waren Birr & Mareck schon im vollen Gange. Ich gebe zu, daß ich Sebastian G. Birr optisch nicht wiedererkannt hätte, wenn er mir mal eben so auf der Straße begegnet wäre. Musikalisch legten der Chansonier und sein Pianist jedenfalls eine tadelsfreie Leistung auf den Steinfußboden, wobei Mareck keine eigenen Akzente setzte, sondern sich (wie es einem guten Begleitpianisten gebührt) auf die Untermauerung der Akzente Birrs beschränkte, diese Aufgabe jedoch ausgezeichnet absolvierte. Erwartet nicht, daß ich mit meinem minimalen Fachwissen in dieser musikalischen Ecke irgendwelche Vergleiche ziehe. Birr hielt seine Songs jedenfalls mit augenzwinkernd-philosophischen Abhandlungen über das Wesen (bzw. Nicht-Wesen) des Lochs zusammen und das sich schon etwas ausdünnende Publikum bei guter Laune.
Die große Fluktuation setzte bei reiprich&pötsch: die band ein, aber das lag keineswegs an der musikqualitativen Leistung der Combo. Die Ten Singer wurden nach ihrem anstrengenden Arbeitstag langsam müde, und fürs Normalopublikum war der Kulturschock ein bißchen zu groß. Daß da bei Chansonier Birr auffallend oft der Tod thematisiert wurde, konnte man ja noch verkraften, aber nun kamen da zwei Langhaarige, zwei Kurz- bis Ohnehaarige und ein junges Mädel und kombinierten angedüsterte Rockmusik mit extremen Texten über Krieg und Verfall. Als Opener wählte die Band auch noch "Ich hab es nicht gewollt" mit einem hochgradig expressionistischen Text von Felix Berner über die Schrecken des Stellungskrieges, wobei der Song gegenüber der Tonkonserve mittlerweile bedeutend an militärischer Ausrichtung gewonnen hat - das war dann wohl für Teile der Anwesenden einfach zu starker Tobak. Der Rest des Auditoriums indes bekam ein feines Stück Musik vorgesetzt, das sich nur unwesentlich von dem am 27.01.2001 in Kohren-Sahlis gereichten unterschied, weshalb der Interessierte auf die Rezension dieses Gigs verwiesen sei.
Carsten Stutzki hätte seinen "Minnepunk" diesmal mit kompletter Bandunterstützung darbieten sollen - unglücklicherweise setzte ihn ein grippaler Infekt außer Gefecht, so daß dieser potentiell schmackhafte Kelch am Publikum vorüberging. Statt dessen fand die bekannte Rechenaufgabe "reiprich&pötsch: die band minus Sänger/Gitarrist Torsten plus Gitarrist Patrick ergibt Thoralf Pötsch Band" statt, und letztgenannte lieferte erneut einen astreinen Gig mit feiner Rockmusik und besonderer Betonung auf den instrumentalen Fertigkeiten, aber ohne seelenloses Rumgefrickel ab. Auch hier ging's ohne größere Unterschiede zum genannten Kohren-Sahlis-Gig durchs Programm, weshalb wieder ein Querverweis gestattet sei. Nach Birr/Mareck hatte (zumindest auf der Empore, wo ich mich aufhielt) allerdings die Textverständlichkeit stark nachgelassen (der Bühnen- bzw. Altarraumsound sei allerdings optimal gewesen, wurde mir hinterher versichert), wozu indes bei der Pötsch-Formation Thoralfs nuscheliger Gesang auch sein Scherflein beitrug, der wohl nicht umsonst nur einen begrenzten Stellenwert einnimmt. Dafür war das Gitarrenspiel des Meisters wieder mal vom Allerfeinsten, und von ganz hinten spielte sich auch Schlagzeugerin Kathrin energisch ins Bewußtsein der Anwesenden, ein weiteres Mal unterstreichend, daß ihre optischen und musikalischen Qualitäten keinerlei Divergenz unterworfen sind.
Zu guter Letzt hielten Las Mananitas die Anwesenden, bei denen es sich mittlerweile zum überwiegenden Teil um an der Tour oder der kompletten Veranstaltung Beteiligte handelte, wach. Das mir bisher unbekannte Trio verrührte Hillybilly mit Mittelalter und pseudoalternatives Akustikgitarrengeschrammel mit eindringlich deklamierten, aber wieder nicht besonders verständlichen Lyrics zu einem Soundcocktail, wie ich ihn in der Form bisher noch nie gehört habe und von dem nahezu jeder Song anders instrumentiert war - nur der Kontrabassist blieb stoisch an sein Saiteninstrument gelehnt, das er fast ausschließlich zupfenderweise bediente. Mehrminütige Pausen zum Stimmen von Gitarre oder Banjo wurden mit lockerer Kommunikation zwischen Band und Publikum überbrückt, und so spielte sich diese liebenswerte Leipziger Formation in die Herzen der eisern Ausharrenden, sofern sie dort nicht schon vorher einen Platz gefunden hatte. Damit endete ein musikalisch hochwertiger, vielfarbiger Abend, dessen Publikum sich schon fast ungewollt elitär vorkommen mußte. Aber wer nicht will, der hat schon, nicht wahr?
 






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