www.Crossover-agm.de Kirchenmusik heute - Hoffnung für die Zukunft
Kirchenmusik als besondere pastorale Chance

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von Hans Zünd anno 2012

Vorbemerkung von Martin Hobi: Nach der Präsentation der engagiert tätigen diözesanen Kirchenmusikverbände gipfelt die 2012er Reihe in "Musik und Liturgie" in einem Statement und Aufruf von Hans Zünd. Als Priester, ehemaliger Bischofsvikar und Pastoralamtsleiterund als - leider nun Abschied nehmender - Präses des Schweizerischen Katholischen Kirchenmusikverbandes ist er von der seelsorgerlichen Wirkkraft der Musik überzeugt. Sie ist für ihn in der aktuellen gesellschaftlich-kirchlichen Situation schlichtweg unverzichtbar. Es eröffnen sich neue pastorale Chancen und Kräfte, die unbedingt eingesetzt und genutzt werden sollen, ja müssen.

Vorbemerkung von Hans Zünd: Zu meiner Berufung in den kirchlichen Dienst: Während meiner beruflichen Tätigkeit als Ingenieur wurde mir klar, dass die Aufgaben im Bereich Technik und Führung eine schöne Aufgabe sind, jedoch von vielen Menschen gut bearbeitet werden können, dass aber die eigentlichen Nöte unserer Zeit noch an einem anderen Ort liegen: beim Menschen selbst, der durch die rasante Entwicklung von Wissenschaft und Technik, durch die Informationsflut, den allgemeinen Wohlstand und das Zusammenwachsen der Menschheit der ganzen Erde nie da gewesenen Fragen und Veränderungen seiner Lebenswelt ausgesetzt ist. Im Glauben an Gott in Jesus Christus hatte ich selbst Heimat und Antwort gesucht und auch gefunden.

Dass wir in einer Zeit des tiefgreifenden Umbruchs leben, ist bereits ein Schlagwort, schon fast kalter Kaffee. Doch was wir daraus machen, ist brandaktuell. Der Umbruch hat alle Lebensbereiche erfasst, die einzelnen Menschen wie die Dörfer und Städte, ja zunehmend auch die Völker rund um die Erde. Er hat schon längst auch die Beziehung zwischen Gott und den Menschen und damit die Kirche erfasst.
Gott hat uns in eine wahrhaftig spannende Zeit hineingestellt. Umbrüche sind immer auch Chancen. Ich denke da primär an die Chancen, welche der christliche Glaube für die Menschen und die Menschheit bietet. Die Zeichen der Zeit zu erkennen und diese Chancen für die Frohe Botschaft mit schöpferischem Geist und mit Begeisterung zu nutzen, ist der Auftrag der Kirche - und damit auch der Kirchenmusik! Warum dabei die Kirchenmusik eine besondere Chance ist und wie sie genutzt werden kann, dies beschäftigte mich die letzten Jahre, auch als Präses des Schweizerischen Katholischen Kirchenmusikverbandes SKMV. Mit dem folgenden Artikel möchte ich meine Freude an der Kirchenmusik und meine Hoffnung auf die Kirchenmusik ausdrücken und einige Anregungen und Ermutigungen weitergeben.

Warum ist Kirchenmusik eine besondere pastorale Chance in der heutigen Zeit?
Hierzu paßt das Referat von Dr. Wolfgang Broedel anlässlich der Eröffnung von "cantars" im April 2011: Broedel, Wolfgang: Neue Klänge in neuen Räumen (Zukunft Kirchenmusik), Musik und Liturgie 5//2011. Zunächst: Chance für wen und wofür? Für die Seelsorge, zum Wohl der Menschen; denn dazu ist die Seelsorge da. Dass die Kirche damit attraktiv wird und Mitglieder anzieht, ist eine Folge, die nicht mehr in unseren Händen liegt. Sie gehört ins Ressort des Heiligen Geistes.
Musik war immer schon eine besondere Chance für das Wort, das Gott in die Welt spricht, und für die Antwort der Menschen. In der heutigen Zeit ist sie es in besonderem Maße. Einige Gedanken dazu:
o Musik berührt den Menschen in seinem Innersten. Sie macht ihn empfänglich. Wie der Bauer im Zusammenspiel mit dem Regen den Boden vorbereitet für seine Saat, so bereitet der Klang der Musik den Boden für das Wort Gottes. Sie eröffnet eine Ahnung, dass da noch mehr ist, als man mit den Sinnen erfassen kann. Sie wird selber zum Wort Gottes, nicht in Buchstaben, aber in der Berührung, wir wissen nicht wie. Sie bewirkt, was der Prophet Ezechiel ausdrückte: "Ich nehme das Herz von Stein aus ihrer Brust und gebe ihnen ein Herz von Fleisch." (Ez 11,19) Klänge können den Zugang zu Menschen und eine Beziehung zu sich selber und zu Gott eröffnen. Über entsprechende Erfahrungen mit Klängen in der Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden berichtet sehr eindrücklich Dr. Monika Renz, Leiterin der Psychoonkologie im Kantonsspital St. Gallen, in zahlreichen Veröffentlichungen (z.B. Renz, Monika: Grenzerfahrung Gott: Spirituelle Erfahrungen in Leid und Krankheit. Überarbeitete Neuauflage. Freiburg i.Br. 2010). Kirchenmusik kann also auch Musik von Getauften am Krankenbett sein.
o Musik durchdringt alle Lebensbereiche. Mit Musik wird das Leben gefeiert. Ohne Musik kein Fest. Musik am Grab ist etwas vom Ergreifendsten. Sie bringt Tränen zum Fließen und durchbricht Dämme. Jungen Pendlern weckt Musik am Morgen in der Bahn die Lebensfreude und vermittelt ihnen am Abend eine Atmosphäre von Feier-Abend. Sie tröstet im Liebeskummer und eröffnet neue Perspektiven fürs Leben.
o Musik ist vielfältige Sprache, die verbindet. Schon der Säugling summt und trällert oder schreit, macht Musik mit Holzstäbchen oder bewegt ein Glöcklein. In der Musik können sich alle ausdrücken. Musik kann ausdrücken, wo Worte fehlen. Menschen ohne Sprachkenntnisse finden Gemeinschaft im gepflegten Musizieren. Musik verbindet Kulturen.
o Musik ist in sich mystagogisch. Sie spricht die Menschen In ihrem Leben an und eröffnet Wege zum Mysterium, zum Geheimnis Gottes. Im Alltäglichen, in einem bestimmten Wort, einer Begegnung, einem "Schicksalsschlag" lässt sie ein "Dahinter" oder "Mehr" wahrnehmen, indem sie den Menschen in seiner Mitte berührt und offen macht für den Ruf Gottes zum Wohle der Gemeinschaft.
o Musik eröffnet den (niederschwelligen) Zugang zur Liturgie. Musik spricht Menschen an, die sonst keinen Bezug haben zur Kirche. Sie freuen sich auf die Musik in der Liturgie der Kirche. Ihre Herzen verstehen ihre Sprache, lassen sich verwandeln. Sie fühlen sich angezogen (z.B. durch die Messe des Kirchenchors; den mitreißenden Gesang des Gospelchors; wenn ihre Kinder im kleinen Chor mit ihrem Singen von Gott erzählen ...). Sie kommen wieder, hören das gesprochene Wort, lassen sich hineinnehmen in das Geschehen der Liturgie, erfahren neue Gemeinschaft.
o Musik ist Kunst und Sprache der Zeit. Sie findet neue Ausdrucksformen im Wandel der Menschen und der Gesellschaft. Sie "geht mit". Ich bin oft erstaunt über die tiefsinnigen und ansprechenden Texte in der modernen Pop-Musik, die Fragen des Glaubens ansprechen und gerade auch bei Beerdigungen lebensnahe Impulse geben können (beispielsweise Bette Midler: "From A Distance" oder Gotthard: "Where Are You?", "Firebirth").
o Lieder sind ver-dichteter Ausdruck von Leben und Glauben. Ich bewundere immer wieder, wie in Liedern in wenigen Worten wesentliche Glaubensinhalte ausgedrückt werden. Lieder sind oft wie ein Konzentrat, das darauf wartet, in einer Meditation oder einer Predigt entfaltet zu werden.
o Kirchenmusik ist gelebte "Kirche von unten". Allen Getauften ist der Heilige Geist geschenkt. Dass dies so ist, kann man ganz besonders in der Kirchenmusik erfahren. Es sind be-geisterte und schöpferische Frauen und Männer, die singen und musizieren und sich in der Kirchenmusik engagieren. In der Geschichte der Kirchenmusik beeindruckt mich, mit welchem Pioniergeist über die letzten 125 Jahre, teils gegen Widerstände der Amtskirche, die Kirchenmusik eingeführt und entwickelt wurde. Die in der Kirchenmusik Engagierten leben beispielhaft, was das 2. Vatikanische Konzil unter "Getauften" versteht und ihnen zutraut. Chöre von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in den Pfarreien sind tragende Säulen des christlichen Gemeinschaftslebens.

Wie kann die besondere Chance der Kirchenmusik genutzt und entwickelt werden?
o ... indem sie auf vielfältige Weise alle Register zieht, um den Menschen zu dienen und sie mit Gott zu verbinden. Menschen suchen Gott mit allen Sinnen, bewusst oder unbewusst, und Gott sucht sie mit allen Sinnen anzusprechen. Nebst den klassischen Liturgien dürfen wir Freiräume schaffen für eine Vielfalt von Gottesdienstgestaltungen. Wenn die Klangwelt der Kirchenmusik zur Musik der Kirche in allen Lebenslagen wird und Trauer und Angst, Freude und Hoffnung der Menschen teilt, wird sie zur Zuwendung Gottes und ist in sich Verkündigung und Diakonie, vielleicht in der Orgelmusik zur Marktzeit, unter Schmerzen am Krankenbett, im Stress des Alltags, in der Kaffeestunde im Altersheim u.a.
o ... indem Chöre als Kirche im Kleinen leben: wenn sich Sängerinnen und Sänger über die Texte, die sie singen, untereinander austauschen und damit ihren Glauben vertiefen, auch außerhalb der Proben füreinander da sind und so zur kleinen christlichen Gemeinschaft werden, in der Jesus Christus gegenwärtig ist.
o ... indem sie bereits den Kleinen Gelegenheit zum Mitspielen bietet: in Kinder- und Familiengottesdiensten, in einem biblischen Musical u.a.
o ... indem (Kirchen-)Musik als religionspädagogisches Element in der Katechese eingesetzt wird: Lieder singen, Liedtexte betrachten u.a.
o ... indem sie Menschen und Kulturen zu verbinden sucht: in Anlässen mit musikalischen Darbietungen aus verschiedenen Völkern u.a.
o ... indem sie über kulturelle Veranstaltungen den Glauben ins Spiel bringt: zusammen mit örtlichen (Pfarrei-)Vereinen und Gruppierungen.
o ... indem der Reichtum von Liedtexten und von Ausdrucksformen der Musik erschlossen wird: in Meditationen, Predigten, Bildungsanlässen.
o ... indem die Seelsorgenden die breiten Chancen der Kirchenmusik entdecken und gezielt nutzen: Was doch der Zirkuspfarrer Ernst Heller mit seiner Klarinette "Frieda" auslöst! Natürlich sind wir Seelsorger nicht Ernst Heller und es spielen auch nicht alle Instrumente. Doch versuchen wir die Freiheit zu gewinnen, welche die Menschen anspricht und offen macht für die Frohe Botschaft!
o ... indem ..., ...

Und die Voraussetzungen, um die Chancen zu nutzen?
Die Chancen der Kirchenmusik in der Sendung der Kirche können genutzt werden,
o ... wenn Kirchenmusik als Musik der Glaubensgemeinschaft der Kirche verstanden wird, und dies nicht nur im Kirchengebäude.
o ... wenn Musik nicht einfach zur Verschönerung von Gottesdiensten und Festen eingesetzt, sondern in ihrem ganzen Verkündigungsgehalt begriffen wird, nicht nur von den Kirchenmusikern, sondern von allen Glaubenden und insbesondere von den Seelsorgenden, und die Musik entsprechend vielseitig eingesetzt und gefördert wird.
o ... wenn die Kirchenmusik als bedeutender Teil der Gesamtpastoral von den Pfarreileitungen und Bistumsleitungen nicht nur anerkannt, sondern gezielt in die Pastoralkonzepte integriert wird (z.B. im Rahmen eines Pastoralen Schwerpunkts "Kunst und Kultur(en)").
o ... wenn die Kirchenmusik von be-geisterten Sänger/innen und Musiker/innen als Beitrag von Getauften zur "Kirche von unten" getragen und von den Seelsorgenden kreativ mit einbezogen und mitgetragen wird.
o ... wenn die Kirchgemeinden und die höheren staatskirchenrechtlichen Institutionen die missionarische Bedeutung der Kirchenmusik erkennen und dafür auch die entsprechenden finanziellen Mittel bereitstellen.

Vernetzen, Kräfte bündeln, Erfahrungen austauschen, gemeinsam träumen
Die Freude am Singen, an der Musik, an der Gemeinschaft und die Freude, Menschenherzen zu öffnen für das Geheimnis Gottes und den Glauben weiter zu geben, sind wohl die treibenden Kräfte in der Kirchenmusik, besonders auch heute, da sich da und dort Resignation bemerkbar machen möchte. Bei größeren Veränderungen braucht es gemeinsame Visionen für die Zukunft. Kreative Beiträge, der Austausch von Erfahrungen und gemeinsame Erlebnisse wirken ermutigend und können neue Perspektiven eröffnen.
Gemeinsame größere Projekte wie "cantars" im Bistum Basel im Jahr 2011 können neue Hoffnungen wecken, ja Aufbrüche auslösen. Daher initiiert der SKMV unter Leitung von Sandra Rupp Fischer eine "nationale cantars" auf schweizerischer Ebene im Jahr 2015. (Lesen Sie dazu bitte auch den Bericht in "Musik und Liturgie" 6/2012, S. 38.)
Zusätzlich hat der SKMV eine "Konferenz Kirchenmusik" vorgeschlagen, zu der kirchenmusikalisch Engagierte aus Verbänden, Fachstellen, Ausbildungsstätten und Bistumsleitungen jährlich zusammenkommen, um über wichtige Ideen und Erkenntnisse auszutauschen, kreative Beiträge für eine Kirchenmusik mit Zukunft einzubringen, gemeinsame Leitlinien und Ziele auszuarbeiten und gemeinsame Projekte zu lancieren. Ein wichtiges Anliegen dabei ist die Vernetzung von Liturgie, Kirchenmusik und Pastoral auf allen Ebenen, von der Pfarrei bis zu den Bistumsleitungen. Ein Traum?
"Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, so ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit. Träumt unseren Traum!" (ru 236)

Strukturidee zur Konferenz Kirchenmusik

Die Erstpublikation dieses Beitrages erfolgte in der schweizerischen Fachzeitschrift "Musik und Liturgie", Nr. 6//2012.



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