www.Crossover-agm.de Lebendig und kräftig und schärfer?
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von Thomas Feist

Wenn wir dem offiziellen Kirchentagssong "Lebendig und kräftig und schärfer" von den wise guys, den christlichen Wiedergängern der Prinzen Glauben schenken, dann ist alles in Butter. Locker und flockig - wie es uns Evangelischen eigen - wird da im Dunklen vor sich hin gepfiffen: Nein, wir brauchen keine Angst zu haben, wir sind nicht allein. Wir sind die Guten. Da wird nicht gejammert, nicht geklagt, auch nicht gezweifelt. Ob wohl die schönen Worte, das spätjugendliche Musikkleid des Kirchentagssongs übereinstimmen mit der tatsächlichen Lebendigkeit unserer Gottesdienste, mit der Kraft schwindender gesellschaftlicher Relevanz der Kirchen oder gar mit der unübertroffenen Schärfe evangelischen Profils. Christliches Profil soll der 31. Deutsche Evangelische Kirchentag ja laut Selbstauskunft des offiziellen Kirchentagsflyers inmitten konturloser Vielfalt zeigen. Da wird zum Beispiel mit einem gekonnten Strich aus dem braven christlichen Fisch-Symbol ein scharfzähniger Hai gezaubert. Das ist anstößig, frech und witzig zugleich. Das irritiert und bietet Anlass zur Auseinandersetzung. Damit kann man sich innerhalb der Christenheit identifizieren als auch bei Kirchenfernen punkten.

Gleiches kann man vom offiziellen Kirchentagssong leider auch beim besten Willen nicht sagen. Das überrascht vor allem deshalb, weil die Interpreten dieses Werkes, die süddeutschen wise guys auf ihrer im Jahr 2004 veröffentlichten CD "Wo der Pfeffer wächst" noch ganz andere Töne angeschlagen haben. Da wurde über weite Strecken ohne doppelten Boden gespielt; das Klischee der auf den ersten Blick sehr braven, netten, harmlosen, schwiegersohnfähigen Gesangsakrobaten kippte zuweilen treffsicher und mit kabarettistischer Schärfe. Aus belang- wie harmlosen, fast unterwürfig gehaltenen Texten wurden unvermittelt Nadelstiche, gelegentlich gar zweischneidige Schwerter. Die Gratwanderung zwischen Comedy, Klamauk, Kabarett, gar politischer Zeitansage gelang überzeugend. Nun scheinen die wise guys leider abgerutscht zu sein. "Lebendig und kräftig und schärfer" ist weder besonders lustig noch unterhaltender Nonsens. Kabarett ebenfalls Fehlanzeige. Und politische, gesellschaftliche Zeitansage erst recht nicht. Man ist vom Kirchentag mit der Herstellung der offiziellen Erkennungsmelodie beauftragt worden und ist gescheitert. Das ist anderen auch schon passiert. Die Tragik an dieser Geschichte ist, dass die wise guys es besser können und sicher auch wissen, dass sie es eigentlich besser können. Die Vermutung, dass mit dem vorgelegten Kirchentagssongs vor allem nach Bekanntheit, vollen Tourneetagebüchern und letztlich auch Umsatz geschielt wurde, scheint sich zu bestätigen. Auf der offiziellen Band-Homepage www.wiseguys.de rangiert der Shop noch vor den Rubriken "Musik", "Dialog" und "Bilder". Herzlich willkommen im Showbiz, meine Herren.

Der "dabdadu"-Sound des knapp dreiminütigen Werks geht ins Ohr und ins Gemüt. Nur: Scharf ist er nicht, schärfer schon gleich gar nicht. Eher in der Art eines der unverdächtigen Psalmen gehalten, die sich auf leichte Art und Weise in einschlägigen Kirchentags-Souvenirständen vermerchandisen lassen, minstrelt er sich durch eine Handvoll Toniken, Dominanten und Subdominanten. Nicht recht fröhlich, nicht recht traurig, am wenigsten noch zornig, mahnend oder gar prophetisch. Durchschnittsware, gut gemacht sogar. Mit diesem Sound geht man kein Risiko ein. Ein Zugeständnis an den Zeitgeist möglicherweise und der zahlenmäßig größten Zielgruppe des Kirchentags - laut vierter EKD-Untersuchung zur Kirchenmitgliedschaft Angehörige des Milieus zwischen Lebensgenuss und Nachbarschaftskontakt - angemessen. Musik soll verbinden, und das tut sie hier. Man findet sich in der unverbindlichen Geselligkeit, beim Smalltalk, im Mittelmaß. Das muss ja nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein - nur ist es mit dem kirchentagsüberschriebenen Zitat des Hebräerverses schlichtweg inkompatibel. Ein mittelmäßiger Song ist eben - auch wenn er, wie im vorliegenden Fall, gut gemacht ist - weder anstößig noch übermäßig konturiert.

Ähnliches lässt sich für den Text des Kirchentagssongs sagen. Hier schwankt man zwischen den Attributen "unbedarft" und "flapsig". Nein, auch hier nichts Scharfes zu entdecken, Schärferes schon gar nicht. Als Vergleich fällt allenfalls der Song des australischen Herzschmerzbarden Roger Whittaker "Abschied ist ein scharfes Schwert" ein. In "Lebendig und kräftig und schärfer" wimmelt es von Gemeinplätzen, die dazu nicht besonders überzeugend aneinandergereiht sind: "Die Welt verändert sich mit einem kleinen Lachen", "der Alltag, der so nichtig ist" und "man fühlt sich oft auf sich allein gestellt" sind da nur einige der reichlich vorhandenen Beispiele. Mit dieser Art textlicher Untiefe hat schon vor Jahren die Stuttgarter Combo Ararat den christlichen Mainstream bedient und die Suchenden, Fragenden, Hoffenden gelangweilt. Etwas theologische Beratung hätte da schon gut getan, vor allem weil der als Kirchentagslosung ausgewählte Hebräervers nicht unproblematisch ist. "Es ist ein Text geworden, in dem das Wort Gott nicht vorkommt", sagt der wise guys-Sänger mit dem drolligen Namen Daniel "Dän" Dickkopf dazu, "der aber dazu aufruft, im Alltag stärker Farbe zu bekennen und dabei auch die christliche Grundhaltung nicht zu verschweigen". Nun gut, wenn Nettigkeit eine christliche Grundhaltung ist, dann kann man das Ziel als erreicht betrachten. Wer allerdings mehr als nette Worte in netter musikalischer Verpackung sucht, wird leer ausgehen.

Der Kirchentagssong "Lebendig und kräftig und schärfer" scheint symptomatisch für die Machwerke der Stars unserer christlichen Musikszene insgesamt zu sein. Die meisten ihrer Protagonisten sind glattgebügelte Dauerfrohnaturen, die kommerziell weichgespülte, in die vorgegebenen Rubriken der zusammengeschmolzenen christlichen Musikverlage passende Mucke machen. Sie wollen unbarmherzig ständig nur eins: uns unterhalten. Der mahnende Liedermacher hat in dieser Entwicklung ebenso wenig Platz wie lärmende Bands, sozialkritische Texte oder experimentelle Klänge. Authentizität - ja bitte, aber berechenbar.
In unsicheren Zeiten wie diesen verlässt man sich dann schlussendlich auf das, was mit Sicherheit am besten beim breiten Publikum ankommt: das seichte, melodiöse Midtempo-Musikkleid mit Texten, die scheinbar oft schon gehört sind und aus diesem Grund seltsam vertraut wirken. Nur kein Risiko eingehen. Das zweischneidige Schwert des Hebräerverses ist zum Schwert der künstlerisch-visionären Selbstzensur mutiert. Die heutigen Erfordernisse heißen - wie im Kirchentagsflyer explizit benannt - "Gelassenheit", "Geselligkeit" und "Offenheit für Fremde". Als Beispiel wird der Karneval angeführt, mit seinem Motto "Leben und leben lassen". Das Ziel des Kirchentages, ein "unglaublich gutes Gefühl" bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu hinterlassen, hinterlässt schon beim Lesen ein mulmiges Gefühl. Das klingt nicht unbedingt nach Gottvertrauen und Glaubenserfahrung, sondern eher nach noch mehr Musik mit Mitklatschgarantie, nach noch weniger künstlerischem Restrisiko und nach Kirchenspaß für jedermann. Unverbindlicher geht's kaum: das ganze Leben ein fröhliches teilzeitevangelisches Oktoberfest ohne Risiken und Nebenwirkungen. Wer wissen will, wie das dann klingt, besorgt sich am Besten selbst den offiziellen Kirchentagssong unter www.kirchentag.de oder die ebenfalls beim Kirchentag erschienene Platte. O-Ton wise guys: "Ihr könnt sogar die Maxi-Single kostenlos bestellen, wenn Ihr eine Mail an service@kirchentag.de schreibt oder unter 0221 / 37980-100 anruft und ganz lieb darum bittet."



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