www.Crossover-agm.de

S!NGEN aus dem BAUCH


 Gesang und Gesangsausbildung in der Rock- und Popmusik

von Wolfgang Haubold

Zum Vorwort geht's hier.

Gesangs-Konzepte und Ausbildungsstrategien

Die Frage nach der „richtigen“ Ausbildung, wo diese denn zu bekommen und wie zu absolvieren sei, stellt sich für aufstrebende Pop/Rock-Interpreten immer wieder. Vermeintliche Insider raten auch schon mal von Ausbildung ab, denn Elvis Presley, die Beatles, Tina Turner, Michael Jackson und viele, viele andere seien auch ohne Gesangslehrer zu Können und Ruhm gelangt. Klassik-Gesangstalente dagegen wissen sehr genau, daß ihr Weg nur über eine so genannte „solide“ Ausbildung zum Ziel führt.
Beleuchten möchte ich deshalb, wie sich in den verschiedenen musikalischen Sparten mit ihren typischen Merkmalen und Erscheinungsformen „Ausbildung“ vollzieht und wie sich der Anteil von Gesangspädagogen, weiteren „Ausbildern“ und Institutionen sowie darüber hinaus - vor allem in stark kommerzorientierten Musikgenres - auch von Marketingkonzepten an der Formung und Hervorbringung von Gesangsinterpreten widerspiegelt. Daneben lehren uns die Leistungen der großen stilprägenden Autodidakten, überhaupt aber der genaue Blick auf jegliches musikalisches Tun, daß auch eine entsprechend intensiv betriebene Musizierpraxis und damit zusammen hängendes auch intuitives (instinktiv erfaßtes) Aneignen als vollwertige Ausbildung - gegenüber der universitären - angesehen werden muß.
Erwähnen möchte ich hier auch die gelegentlich zwiespältigen Meinungen der „Macher“ zum Thema Ausbildung.

Die junge Pop-, Rap-, HipHop-, Techno- und Dancefloor-Generation
Vertreter der jüngeren und fernseh-erfolgreichen Pop-, Rap-, HipHop-, Techno- und Dancefloor-Generation äußern gelegentlich ihre Ablehnung (Heike Makatsch/Viva: „Man glaubt nicht mehr an die klassischen Ausbildungsschritte“) zu den nur langzeitig zu absolvierenden tradierten institutionellen Ausbildungsformen. Sie setzen statt dessen a) auf die emotionale Urwüchsigkeit  ihres Talents, b) auf das Prinzip „Learning by doing“, c) auf ein ausgeklügeltes Management, das alle Fragen der Interpretenvermarktung zwischen Casting und Medienpräsentation klärt - inbegriffen hier nach Bedarf das Einbinden von Autoren, Tonstudios und Plattenlabels, von Choreografen, ggf. Gesangslehrern, von Stylisten, Outfitexperten u.u.u. sowie d) auf die den schnellen Erfolg verheißenden Fähigkeiten der Toningenieure und Produzenten in ihren hochmodernen Tonstudios. Letztere wirken bei den Aufnahmen auch als Animatoren für die Interpreten und sie vermögen tatsächlich, jeden „schiefen“ Sänger-Ton gerade zu rücken (falls überhaupt beabsichtigt) und darüber hinaus den Stimmen mittels immer mal wieder neu erfundener Effekte (Beispiel: „Cher-Effekt“) zu Auffälligkeit und Wirkung zu verhelfen. So bringen z.B. Kompressionsverfahren Flüstern auf die gleiche Lautstärke wie einen expressiv-lauten Ton und sorgen ansonsten für druckvolle, stets abgerundet klingende, „groovende“ Aufnahmen u.v.m. Der empörte Aufschrei von Traditionalisten: „Die können doch gar nicht singen“, ist zumindest dann unbegründet, wenn die Show (karnevalistische, kabarettistische, Blödel- oder Schmuddel-Outfits, Zerhacken von Instrumenten und andere schrille Aktionismen) und nicht der Gesang im Mittelpunkt des Geschehens steht. Wobei hier aber nicht immer auszumachen ist, was wirklich als jugendtypische Aufmüpfigkeit gegen Althergebrachtes zu werten ist oder was nur dem kommerzorientierten Auffallen-um-jeden-Preis dient. Gesang und Instrumentalpart bilden bei solchen Darbietungen auch nur den - oft Vollplayback eingespielten - Background. Und beim Rap z.B verhält es sich prinzipiell ähnlich: zu einem musikalischen Background, dem HipHop, stellt der typische rhythmische Sprechpart des Rap-Interpreten das Solo dar. In Sprechversen zu Begleitpattern rappen sich junge Leute ihren Frust oder Spaß, ihre Gefühle, Meinungen oder Geschichten von der Seele. Und wenn schon „richtigen“ Gesang als Solo oder im Satz von Boygroups und Girliebands, dann natürlich keinesfalls in einer traditionellen, sich nach Ausbildung anhörenden Schöngesangs-Fassung, sondern eher umgangssprachlich-flapsig, rauchig, kratzig, auch mal intonationsmäßig „daneben“, aber dann auch gleich wieder teeniegemäß-sentimental. Oder dies alles auf einmal. Auf jeden Fall in einem Slang, dem die junge Discobesucher- und Plattenkäufer-Generation zu folgen bereit ist.
Gesangssätze (Solo wie Background) werden auch kaum mehr wie in alten Zeiten von „studierten“ Arrangeuren erstellt, sondern zumeist von den jeweiligen Interpreten oder Soundmixern während der Studioproduktion ihrer CDs improvisierend ausgetüftelt - eine der wenigen Ausnahmen: Die „Prinzen“ mit ihrer Herkunft Thomaner bzw. Kruzianer. In einem auffälligen Kontrast zu diesem Improvisationsprinzip stehen oft die einstudiert wirkenden choreografierten Showauftritte der Boygroups und Girliebands.
Ich habe den Eindruck, daß Gesangspädagogen in diesem Genre, das immerhin die aktuellsten Hits und Trends hervorbringt - wenn überhaupt - nur eine Alibi-Rolle spielen. Das Studio ist hier Kreativwerkstatt, Talent-Ausbildungsstätte und Aufnahmeort zugleich. Hauptmerkmal dieses Genres ist der  Wechsel, die Kurzlebigkeit, der Verschleiß von Trends, Sounds, Effekten, Outfits und anderen Äußerlichkeiten oder Details und damit einhergehend manchmal auch von Interpreten.

Die Autodidakten und ihre Universitäten
Praktisch alle großen Namen aus Rock, Pop, Jazz, Folk, Country, Soul, Blues, Gospel sowie auch z.B. die Liedermacher zählen zu ihnen. Sie bilden die Leuchttürme in dieser Interpreten-Kategorie. Es sind dies in der Mehrzahl die Sänger, die Komponisten und die Texter, die Songwriter (plus vieler „Teil“-Autodidakten, z.B. auch Instrumentalisten) sowie sehr oft die Multibegabungen. Jeder von uns könnte hier sicher einige seiner Idole benennen, Weltstars wie solche in seiner lokalen Umgebung.
Diese „Selbstlerner“ (laut Duden) haben sich ihr „Handwerk“ und ihr künstlerisches Format überwiegend durch ausübende Betätigung innerhalb der Musikszene angeeignet. Diese Szene war ihre „Universität“, die ihnen dort begegneten Musikerpersönlichkeiten waren ihre „Professoren“, bzw. sie haben sich in wechselseitiger Reibung ihrer individuellen Persönlichkeiten auch gegenseitig geformt, „ausgebildet“. Die Lernprozesse standen dabei oft unter dem Aspekt „Versuch und Irrtum“.
Man spricht bei ihnen auch von „Naturbegabungen“ oder von „Zufallsentdeckungen“, die sich kraft der Unversehrtheit, Vitalität und Größe - oft auch Multifunktionalität - ihres Talents, ihrer ausgeprägten Individualität, Ausstrahlung und Persönlichkeit, verbunden meist mit Besessenheit und Hartnäckigkeit, im knallharten Showbusiness durchgesetzt haben. Eigen ist ihnen ganz sicher eine starke Intuition (instinktives Erfassen), die es ihnen ermöglicht, quasi wie ein Schwamm Sound und Geist ihrer Zeit oder Einflüsse von Zeitgenossen in sich aufzusaugen, zu bündeln, zu filtern und schließlich mit ihren individuellen Persönlichkeitsmerkmalen versehen wieder an ihre Außenwelt als ein neues Markenzeichen abzugeben.
Dies war grundsätzlich nicht viel anders bei Elvis Presley, bei Mahalia Jackson, bei den Beatles, bei Michael Jackson, bei Tina Turner, bei Whitney Houston, bei Freddie Mercury, bei Udo Lindenberg und vielen, vielen anderen. Studieren Sie unbedingt deren Biografien, um daraus zu lernen!
Bedingt durch den Erfolg ihres Wegs äußern sich dann autodidaktisch geprägte Interpreten oder überhaupt ausübende Praktiker zum Thema Ausbildung nicht selten in solcher Weise: „Ausbildung tötet Individualität, also ist es besser, keine Ausbildung vorzunehmen. Die Ausdrucksfähigkeit ist unausbildbar, das wirkliche Talent findet seinen Weg aus sich heraus von selbst. Jede Technikvermittlung birgt in sich die Gefahr der Normierung, der Uniformierung, ja des Künstelns“. Es gibt die Meinung, „daß sich ein Talent nur dann wirklich individuell und frei entfalten kann, wenn ihm keinerlei Zwänge irgendwelcher Art durch Ausbilder und deren Methoden auferlegt werden“. Als besonders erfolgreich etablieren sich dann nicht selten Interpreten, die im strengen Pädagogen- und Lehrmeinungssinne mit Mängeln behaftet sind oder die sogar vermeintlich oder tatsächlich mit einem kranken oder womöglich absichtlich beschädigten Stimmorgan singen. (Über Bonnie Tyler hörte ich, daß sie aus einem Stimmschaden die für sie typische Kratzstimme kreiert habe. Die berühmteste Reibeisenstimme gehört zweifellos zu Louis Armstrong, über deren Ursache schweigt sich die Musikgeschichte aber aus, wie überhaupt die Ursachen der heiseren Stimmen vieler dunkelhäutiger Menschen noch zu untersuchen wären. Darüber hinaus gehört das Thema „Reibeisenstimme“ zu den stilprägenden Merkmalen in Blues, Soul, Rock und der sich darauf gründenden Musikformen. Es war und ist dieser Anti-Schöngesang immer auch Ausdruck des Andersseins dieser mit der durch die Musik vertretenen Inhalte bis hin zum Protest gegen gesellschaftliche Zustände und überkommene bürgerliche Normen.)
Die Aussagen der „Macher“ zum Thema Ausbildung sind jedenfalls unbedingt zu relativieren. Denn wer zählt die Namen derer, die in den Zufällen und Ausleseprozeduren eines Sänger- und Musikerlebens schon durch das Sieb gefallen sind!? Und dies vielleicht nur, weil ihnen in einer bestimmten Situation eine Ermutigung, eine Anregung, ein kompetenter fachlicher Rat oder eben eine ganz bestimmte „Ausbildung“ nicht zuteil wurden! Kreativschul-Pädagogen gehen sogar davon aus, daß der Menschheit infolge von Nicht-Entdeckung und Nicht-Ausbildung eine Vielzahl von Talenten, ja sogar von Hochbegabungen (nicht nur in der Musik) verloren gegangen ist und noch immer geht.
Hinzufügen möchte ich aber, daß genauso ein individuell falsch verlaufender Ausbildungsweg ein Talent oder sogar eine Hochbegabung verschütten können!  Das trifft auch dann zu, wenn sich Singeanfänger bei ihrer autodidaktischen Aneignung (zumeist unbewußt) in eine derartige Abhängigkeit zu ihren Idolen begeben, daß sie oft bei der Nachahmung deren Manierismen oder Stimm-Fehlbehandlungen (siehe Kapitel „Lernwege von der Imitation zur eigenen Stimme und Identität“) stehen bleiben und damit letztlich ihre eigene Stimme und Identität in einem bedenklichen Maß, nicht selten gar unwiederbringlich, verschütten. Dies ist dann besonders bedauerlich, wenn diese - von mir als Manierismen bezeichneten - Eigenheiten bildlich gesehen nur die äußerliche Hülle als denn den Kern der Persönlichkeit eines solchen Idols ausdrücken.

Das Musical-Konzept
Das Musical ist - nach der Gospel-, Blues-, Country-, Soul-, Swing-, Rock- und Popmusik - Amerikas jüngstes Geschenk an die Musikwelt. In dieser uramerikanischen Theaterform verschmolzen am Anfang des vorigen Jahrhunderts die verschiedenen Einflüsse aus Wien und Paris, aus England, Rußland, Deutschland und Italien. Und viele, die das Musical zum Blühen brachten, stammten ja auch aus Europa. Die in Amerika aufgeführten europäischen Operetten von Strauß, Lehar und Offenbach, und die musikalischen Komödien der Engländer Sullivan und Gilbert, die amerikanischen „Minstrel-Shows“ (in denen von den „weißen“ Sängern Gesang und Tanz der Neger nachgeahmt wurde) und die Revuen „Ziegfeld Follies“ (nach dem Pariser Vorbild der „Folies Bergéres“) trafen in Amerika aufeinander und formten das Genre Musical.
Das 1927 uraufgeführte „Show Boat“ gilt als der Prototyp dieses neuen musikalischen Genres Musical. Jerome Kern schrieb die Musik, Oscar Hammerstein II die Texte. Nicht selten wird auch die schwarz-amerikanische Volksoper „Porgy And Bess“ (1935) von George und Ira Gershwin als Musical angesehen. Vielleicht deshalb, weil in ihr Blues- und Jazz-Elemente mit den europäischen klassischen Opernformen verschmelzen - und sich durchaus vertragen.
Die ersten Musicals - von Hammerstein und anderen - haben auf dem europäischen Kontinent allerdings nur geringe Verbreitung gefunden. Der Durchbruch gelang hier erst (ganz sicher mit dem Erfolg des Films - wie danach bei vielen anderen Musicals auch) durch das noch ziemlich operettige „My fair Lady“. Später waren dann an den (deutschen) Staats- und Stadttheatern noch „Kiss me Kate“, „West side story“, „Hello Dolly“, „Fiddler on the roof“/“Anatevka“, „The Man of La Mancha“, „Cabaret“, „Zauberer von Oss“ u.a.m. erfolgreich und sind es noch.
Das Progressive am Komponisten-Genie Andrew Lloyd Webber besteht darin, daß er eine gänzlich neue Musical-Ära einleitete, indem er in seinen Werken Klassik, Jazz, Rock und Pop ohne zu versimpeln nicht nur harmonisch nebeneinander stellt, sondern in glücklicher Synthese sogar regelrecht ineinander verwob. Für die Aufführungen schließlich wurden und werden ganz spezielle, privat betriebene Theaterbauten geschaffen, an denen (wie am Broadway) ein Stück über Jahre hinweg en suite auf dem Spielplan stehen kann.
Weitere Autoren- und Produktionsteams schlossen sich diesem neuen Musicalboom an mit  Stücken wie „Miss Saigon“, „Elisabeth“, „Die Schöne und das Biest“, „Der Glöckner von Notre Dame“ etc.
Mit diesem komprimierten Geschichtsabriß des Musicals möchte ich verdeutlichen, welche gesangs- und musikstilistische Bandbreite diesem Genre zugrunde liegt und wie diese sich in der Sparte des zeitgenössischen Musicals - von Webber und anderen - noch wesentlich erweitert. Sie reicht nun von Klassik (Phantom der Oper), jiddischer Folklore (Fiddler on the roof), Blues und Rock´n‘Roll (Greace und Hair), Klassik, Jazz und Latein (West Side Story), Pop und Rock (Joseph) bis zu Gospel, Soul (Filmmusical „Sister Act“) u.a. Eine besonders vielfältige Syntheseform stellt „Cats“ dar und in „Miss Saigon“ fließt fernöstliches Kolorit ein.
Außergewöhnliche Interpreten-Anforderungen werden in den Musicals - gleichwertig mit dem Singen - darstellerisch, beim Dialogsprechen und vor allem tänzerisch gestellt. Für „Starlight Express“ müssen die Darsteller sogar mit artistischer Perfektion Rollschuh fahren. Dazu bedarf es natürlich spezifisch geeigneter Lehrer. Das Wirken von Gesangspädagogen rein klassischer Prägung dürfte in diesem stilistisch sehr breitgefächerten Genre allerdings Schwierigkeiten aufwerfen. Zumindest ist zu bezweifeln, daß ein einzelner Pädagoge von Klassik bis zu Latein, Jazz, Rock und Pop komplett zuständig sein dürfte. Am ehesten funktioniert dies noch, wenn ältere Musicals mit teilweise operettenhaften Stilelementen (My fair Lady/Kiss me Kate) aufgeführt werden oder wenn ein Musical Opernszenen (Phantom der Oper) enthält.
In den Ensembles der traditionellen Staats- und Stadttheater finden sich immer einige Sänger/ Darsteller/Tänzer, die sich - wie schon bisher bei Operette - aus einer Mischung von Intuition, Veranlagung und Feeling auf die besonderen Anforderungen des Musicalgenres einzustellen vermögen, ohne daß sie dies in ihrem Studium je gelernt haben. Treffen diese Solisten dann auf musicalspezifisch ambitionierte künstlerische Leiter in Form von Regisseuren, Choreografen und auch Kapellmeistern - die dies ebenfalls fast nie im Studium gelernt hatten -, dann kann es durchaus auch an solchen Theatern zu Sternstunden des Musicals kommen. Nicht jede Rolle wird hier aber ideal zu besetzen sein (schließlich haben diese Theater ja vor allem Klassik zu spielen), dies wird man als musicalbegeisterter Theaterbesucher zu tolerieren haben. Wenn jedoch gesanglich Rock’n‘Roll, Soul, Latein oder der neueste Popsound gefragt sind, greift man hier meist auf jüngere und musikalisch begabte Schauspieler zurück, die - obwohl ebenfalls nicht darauf studiert – a) von ihrem persönlichen Feeling her noch am dichtesten an diesen Sounds „dran“ sind  und b) durch ihre Sprechausbildung mehr auf den erforderlichen Vordersitz der Stimme fixiert sind. Die an den Theatern inzwischen verfügbaren neuesten Errungenschaften der Mikrofontechnik vermögen gelegentlich einiges an fehlender stimmlicher Präsenz auszugleichen. Für aus eigenen Reihen schließlich nicht besetzbare Rollen (das betrifft auch Orchestermusiker für Jazz, Latein und Rock) engagiert man Gastinterpreten mit Musicalausbildung bzw. -erfahrung. Dies die Situation an den „normalen“ Theatern, wo die Nachwirkungen einer klassischen Hochschulausbildung, die ja zum Ziel hat, Mozart, Lortzing, Verdi oder Wagner zu singen, bei der Einstudierung eines Musicals weitgehend verdrängt werden, indem also auf Interpreten mit einer vertretbaren Mischung von Klassikausbildung und einem gehörigen Anteil Autodidaktentum zurückgegriffen wird.
Völlig anders verhält es sich, wenn sich eine kommerzielle Interessengruppe anschickt, ein Musical - meist zur Uraufführung - herauszubringen: Noch während der Bauphase des eigens für das betreffende Stück konstruierten Theaters werden vom Producer- und künstlerischen Leitungsteam weltweite „Auditions“  oder „Castings“ gestartet und dann die Interpreten - teils auch die Orchestermusiker - aus einer großen Bewerberzahl von New York, London, Paris, Hamburg und den anderen deutschen Musical-Hochburgen, bis Wien und bis Fernost ausgewählt. Die Kriterien für jede einzelne Rolle werden dabei bis ins kleinste Detail definiert. Diese Verfahrensweise der Darsteller-Selektion muß garantieren, daß auch die kleinste Rolle gemäß dem Inszenierungskonzept optimal besetzt und daß der künstlerische wie auch der kommerzielle Erfolg eines solchen Projektes gesichert wird. In die Vermarktungsstrategie inbegriffen ist hier auch der Vertrieb von Tonträgern, Filmen, Videos, Büchern, Souvenirs  u.a. bis hin zu einer Erlebnistouristik und -gastronomie sowie großangelegter Werbung. Bei den gefundenen Interpreten handelt es sich zumeist um hochspezialisierte, oft auch international erfahrene Jetset-Künstler, die dann an dieses Theater für einen festgelegten Zeitraum ausschließlich für diese eine Rolle verpflichtet werden.
Ihre Ausbildung haben sich diese universellen Darsteller nicht selten rund um den Globus an ganz verschiedenen Instituten und/oder wiederum bei Spezialisten für einzelne Teilbereiche des  Musicals sowie während gesanglicher Ausübung im Showbusiness oder an Theatern (Learning by doing) und natürlich auch autodidaktisch angeeignet. Gesanglich dominiert meist das klassische Prinzip mit Bevorzugung einer mehr vordersitzigen, auf Textverständlichkeit orientierten Stimmgebung. Für die an Rock’n‘Roll, Jazz, Latein, Pop und Rock orientierten Stimmfächer ist das spezielle Feeling (resultierend vor allem aus autodidaktischer Aneignung) dieser Interpreten gefragt. Das besondere Problem des Musicalgesanges - auch eben in der zeitgenössischen Musicalsparte - besteht darin, daß oft in hohen Stimmlagen gesungen werden muß, die sonst nur in Klassikwerken vorkommen. In diesen Stimmbereichen dominiert dann natürlich mehr die klassische Gesangsstilistik.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß es wegen der breitgefächerten Anforderungen im Genre des modernen Musicals ohne fundierte, stilistisch-spezifische Ausbildung nicht geht. Wie in keiner anderen Sparte aber greifen hier klassische und autodidaktische Prinzipien ineinander.

An dieser Stelle wird im Sommer ein zweiter Teil folgen, u.a. mit dem "Klassik-Konzept".



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver