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Re-Test der Stinker
von ta anno 2015

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Jede Metalband, die lange durchhält, hat ihren oder ihre Stinker im Programm - Alben, die einen einmal betretenen Pfad verlassen und deshalb wenig Liebhaber unter den Fans gefunden haben.
In den (zu Unrecht) verschrienen 90ern sind etliche solcher Stinker erschienen, aber nicht alle verdienen ihren Negativstatus. Stinkersein hat viel damit zu tun, Erwartungshaltungen gebrochen zu haben, und mit etwas zeitlichem Abstand verändert sich die Erwartungshaltung. Ein Re-Test zeitigt so mitunter überraschende Ergebnisse. Hier einige Stinker, bei denen sich das Wiederauflegen teilweise mehr als lohnt.

BLACK SABBATH: Cross Purposes (1994, I.R.S. Records)
BLACK SABBATH: Cross Purposes (1994, I.R.S. Records)
Zugegeben, kein Stinker im strengen Sinn, aber die Tony-Martin-Phase von Black Sabbath wird gegenüber der Ozzy- und Dio-Phase in der öffentlichen Wahrnehmung doch sehr marginal gewertschätzt und wenn, dann fällt die Wahl der Allgemeinheit in der Regel auf den Spätachtzigerschinken "Headless Cross". Völlig falsch, der Höhepunkt von Black Sabbath mit Tony Martin am Mikro ist mit Riesenabstand "Cross Purposes". Das abwechslungsreiche Album ist mit tonnenweise Hochkarätern bestückt und ob flockiges Uptempo ("I Witness", "The Hand That Rocks The Cradle"), epische Trauer ("Cross Of Thorns") oder finsterer Doomtanz ("Virtual Death"), alles funktioniert. Das liegt nicht nur, aber zu großen Teilen an der großartigen Gesangsleistung von Tony Martin, der emotionales Timbre, bluesige Noten und technische Raffinesse anbetungswürdig vereint und in "Immaculate Deception" zur Weltklasse bringt: Berührende Melodien, berührender Text, traurig-schöner Mittelteil, einfach ein Wahnsinnssong, der natürlich vom historischen Wert weit hinter Songs wie "War Pigs" oder "Paranoid" liegt, sie songwriterisch aber problemlos in den Skat drückt.

KREATOR: Cause For Conflict (1995, Gun Records)
KREATOR: Cause For Conflict (1995, Gun Records)
"Cause For Conflict" ist sogar bei der Band selbst unbeliebt und wird deshalb live bis heute sträflich vernachlässigt, wurde von der Presse seinerzeit und bis heute aber durchaus für gut befunden. Und das völlig zurecht! Hier regiert typischer Kreator-Thrash, aber um das holprige 80er-Flair bereinigt, das die Klassiker der Band prägt. Die Produktion ist modern, transparent und kraftvoll, die Songs klingen wie Schweizer Uhren auf Metal: ultratight und mit Gitarren, die Mille nie wieder derart messerscharf hinbekommen hat. Auch die technisch angehauchte, aber nie selbstverliebte Performance von Joe Cangelosi ist der Oberhammer - nix gegen Kreator-Hausmarke Ventor, aber was der hauptamtliche Whiplash-Drummer hier abzieht, hat locker Slayer-Niveau. "Prevail" drückt dich mit fürstlichem Doppelfuß auf den Boden, "Hate Inside Your Head" kokettiert mit verspielten Midtempo-Grooves und zu einem affenschnellen Feger wie "Dogmatic" schraubt man sich unweigerlich den Kopf ab. Meines Erachtens das beste Kreator-Album.

DREAM THEATER: Falling Into Infinity (1997, East West Records)
DREAM THEATER: Falling Into Infinity (1997, East West Records)
"Falling Into Infinity", die unverspielteste Scheibe von Dream Theater, ist aus Prog-Sicht ein kleiner Schock. Schlimmer noch: Gerade die Instrumentalabfahrten, die den kleinen durchaus vorhandenen Prog-Anteil stellen, wirken oft farblos. "Hell's Kitchen"? Uninteressant und antiquiert. "Lines In The Sand"? Geht nur hier und da. "Trial Of Tears"? Hat weiter hinten ein wunderbares, jazziges Gitarrensolo, das tausend Mal mehr hermacht als fricklige Fingerübungen, ist aber mit 13 Minuten zu lang. Ein weiterer Stinker-Faktor sind einige der (überproportional vertretenen) Balladen. "Take Away My Pain" ist kitschige Langeweile und "Hollow Years" verflacht von Strophe über Bridge immer weiter, um beim Refrain komplett im Sperrmüll zu landen.
Doch "Falling Into Infinity" hat durchaus Stärken, wenn man sich von der Erwartungshaltung gelöst hat, bei Dream Theater Prog Metal zu bekommen. "You Not Me" und "Burning My Soul" klingen mit ihren Dickeierriffs und groovigem Drumming fett und heavy, mit Abstrichen auch "Just Let Me Breathe". "New Millenium" transformiert Prog-Skalen in einen Alternative-Kontext und die Ruhepole "Peruvian Skies" und "Anna Lee", das mit Klavier und sanften Tonartwechseln an Savatage erinnert, kann man auch durchwinken. Dream Theater haben auf Alben, die als Klassiker zählen, viel schlimmere Balladenklischees verbraten.
Ich kann mir "Falling Into Infinity" heute ungenervter anhören als ein heute doch antiquiert wirkendes Classic-Prog-Album wie "Images And Words".

JUDAS PRIEST: Jugulator (1997, SPV)
JUDAS PRIEST: Jugulator (1997, SPV)
Das Hate-Album der Ripper-Phase von Priest ist "Demolition" und "Demolition" ist Mist, den man nicht verteidigen kann. "Jugulator" dagegen ist blankgewetzter und zu Unrecht ungeliebter Stahl, angriffslustig, heavy, düster. Alles, was man "Jugulator" vorwerfen kann, ist seine Oberflächlichkeit - das Album geht immer auf die Zwölf, bietet wenig Raum für Stimmungen neben der Aggression und überschreitet manchmal die Grenze zur Stumpfheit. Aber egal, bei derart mitreißenden Doublebassrhythmen, heftigen Achtel-Riffs und dem grandiosen Shout-Kreisch-Sing-Mixmax von Tim "Ripper" Owens ist es einfach unmöglich, die Birne still zu halten. Höhepunkte: "Jugulator" (geile Doublebassrhythmen, geile Achtelriffs, geiler Shout-Kreisch-Sing-Mixmax), "Blood Stained" (geile Doublebassrhythmen, geile Achtelriffs, geiler Shout-Kreisch-Sing-Mixmax), "Death Row" (geile Doublebassrhythmen, geile Achtelriffs, geiler Shout-Kreisch-Sing-Mixmax) und "Bullet Train" (geile Doublebassrhythmen, geile Achtelriffs, geiler Shout-Kreisch-Sing-Mixmax). Bang that head blabla, na ja, einfach geil.

BEHEMOTH: Pandemonic Incantations (1998, Solistitium Records)
BEHEMOTH: Pandemonic Incantations (1998, Solistitium Records)
Das dritte Album von Behemoth markierte den Übergang von Black Metal der Anfangszeit zum pentatonischen ICE-Todestheater, das die folgenden Alben prägte, und es ereilte das typische Schicksal eines Übergangsalbums: Schnell vergessen, von dem einprägsameren Nachfolgealbum überholt, nur noch schwer erhältlich. "Pandemonic Incantations" ist zweifellos nicht in einer Liga mit "Demigod" oder "The Apostasy" anzusiedeln, verirrt sich aber doch kontinuierlich immer wieder in meinen Player. Während die schwarzmetallische Säge der Gitarren die Herkunft der Band noch deutlich zeigt, stellt Nergal hier erstmals sein mittelhohes Kreischgebrüll vor. Zusammen mit orchestralen Einschüben und dem famosen Blast-Einstand von Zbigniew Robert Prominski, besser bekannt als Inferno, ergibt das eine Mixtur, die gut die Black-Death-Balance hält, ohne dabei wie ein fauler Kompromiss zu wirken. Ja, die Riffs wurden auf späteren Veröffentlichungen zwingender, und ja, offensichtliche Hits fehlen. Aber die gleichzeitig theatralische wie rohe Stimmung macht "Pandemonic Incantations" im Katalog von Behemoth zu etwas Besonderem.

MY DYING BRIDE: 34.788 % ... Complete (1998, Peaceville Records)
MY DYING BRIDE: 34.788 % ... Complete (1998, Peaceville Records)
Geige raus, Leadgitarren raus, Elektronika rein, Tempo angezogen - den von Fans vehement abgelehnten Schritt zur Seite, den dieses sonderbar betitelte Album geht, machte die Band gleich mit dem Nachfolgealbum wieder rückgängig. Musste nicht sein, denn was an "34.788 % ... Complete" kritikwürdig ist, trifft auf alle MDB-Alben zu: Songs manchmal zu langatmig, Stimme manchmal zu weinerlich. "The Whore, The Cook And The Mother" ist zwölf Minuten lang, aber durchweg stimmungsvoll und knackig, der Mittelteil mit sanften Loops und Samples ist gar einer der schönsten Ruhepole, die diese Band je gezaubert hat. Außerdem ist "34.788 % ... Complete" zwar vom Feeling her doomig und melancholisch, aber dabei angenehm klischeefrei, gerade weil die klassischen MDB-Elemente so rar sindund die auflockernden Zutaten (neben den Elektronika sind z.B. auch Fasersounds, Echoeffekte und experimentelle Synthies zu hören) tatsächlich auflockernd wirken, sieht man vom gezielt als Stilbruch inszenierten, anstrengenden Psychedelic-Trip "Heroin Chic" einmal ab.

PARADISE LOST: Host (1999, EMI)
PARADISE LOST: Host (1999, EMI)
"Host" ist unter der Hörerschaft der Briten umstritten, wird aber von vielen inzwischen auch geschätzt. Die Klasse des Albums macht der Vergleich mit seinem Nachfolger "Believe In Nothing" deutlich, der damals in der Kritik seiner härteren Gangart wegen wieder besser wegkam, sich aber nicht dauerhaft durchsetzen konnte, weil er zu sehr nach Kompromiss klingt. "Host" dagegen markiert die kompromisslose Abkehr vom Metal und ist ein mit Gitarren ausstaffiertes Synthiepop-Album, stark an Depeche Mode orientiert und stimmungsmäßig extrem unterkühlt. Kommerzvorwürfe sind nicht angebracht, "Host" ist nicht sonderlich eingängig, was ein Plus im Hinblick auf die Langzeitwirkung ist.









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