www.Crossover-agm.de JOHN WETTON: Rock Of Faith
von rls

JOHN WETTON: Rock Of Faith   (Giant Electric Pea/SPV)

Sollte angesichts des CD-Titels jemand ernstlich erwartet haben, mal wieder ein kerniges Rockalbum von John Wetton vorgesetzt zu bekommen: Er sieht sich nach Durchhören der Dreiviertelstunde getäuscht. Dabei bietet das bombastische und mit einer wunderbaren Leadgitarre versehene Intro "Mondrago" einen weiteren Verdachtsmoment, doch bereits der nachfolgende Titeltrack, der von ausgebreitet wabernden Keyboards aus dem Intro herübergeleitet wird und dessen percussive Elemente sehr weit im Hintergrund verharren, macht deutlich, daß mit einer Rückkehr zu frühen Asia-Tagen zunächst nicht zu rechnen ist, jedenfalls nicht vom Rockfaktor her. Das Händchen für breitwandige Klanginszenierungen besitzt Wetton allerdings nach wie vor, auch wenn er es zwischenzeitlich mal zugunsten einer basischeren Ausrichtung in einen temporären Ruhestand versetzt hatte, wie die neuen Tracks der 90er Asia-Scheibe "Then And Now" oder sein 94er Soloalbum "Battle Lines" (welches in Coproduktion mit Bob Marlette entstand, der ja eher aus dem AOR-Fach kommt) verdeutlichten. Auf der kurze Zeit später durchgezogenen Tour im Vorprogramm von Saga setzte Wetton dieser Entwicklung die Krone auf, indem er kurzerhand allein auftrat, nur mit einer Akustikgitarre bewaffnet. Den Leipzig-Gig dieser Tour erlebte ich mit - und schlief bei Wettons Set ungelogen ein, was in dem etwas kontemplativen Charakter dieser Darbietung eine Verstärkung einer schon vorher vorhandenen Müdigkeit (welche der erste Support Britton noch gerade überspielen konnte) fand und deshalb nicht als Qualitätsmerkmal gewertet werden sollte (Saga weckten mich später übrigens wieder und spielten einen Klassegig). Nachdem ich Wettons aktuelles Schaffen in den seither vergangenen Jahren etwas aus den Augen verloren habe (in dieser Zeit wurde die "Battle Lines"-Story mit "Arkangel" und "Sinister" fortgesetzt), kommt mir nun sein neues Soloalbum "Rock Of Faith" unter, und wenn man sich mit den im Eingangssatz genannten Irrtümern abgefunden hat, eröffnet sich eine sehr interessante CD, die ich mit meiner nur partiellen Kenntnis des Wetton-Schaffens der vergangenen Jahrzehnte (von seinen mit Uriah Heep und Yes eingespielten Alben beispielsweise besitze ich kein einziges) allerdings schwer einordnen kann. Daß die CD bei Giant Electric Pea erscheint und neben Wetton auch Clive Nolan und Karl Groom als Produzenten genannt sind, weist ob der musikalischen Ausrichtung schon in die richtige Richtung, denn das hier ist quasi bombastischer Prog (-rock) der 80er Schule, phasenweise mit folkloristisch-altbritisch-keltischen Momenten spielend, aber allein aufgrund der markanten Stimme eindeutig seinem Erschaffer zuzuordnen. Und diese Stimme ist es auch, die einen nicht unwesentlichen Teil des Reizes der CD ausmacht. Nur wenige Sänger können von sich behaupten, noch mit der gleichen Klarheit, dem gleichen Volumen singen zu können wie vor 20 Jahren - Wetton gehört eindeutig zu ihnen (man höre als Vergleich einfach die ersten Asia-Alben), auch wenn man nicht außer acht lassen sollte, daß der Mann seinerzeit ein mittelschweres Alkoholproblem hatte (keine Ahnung, was er im nüchternen Zustand noch hätte leisten können). Gerade die vielen ruhigen Passagen bieten der Stimme sehr viel Platz zur Entfaltung, und Wetton nutzt diese Möglichkeiten über weite Strecken konsequent aus, ohne allerdings alles niederzubrüllen, was sich ihm in den Weg stellt. "A New Day" rockt ein klein wenig stärker als die umliegenden Tracks, und mit "Nothing's Gonna Stand In Our Way" betritt der Mann auch wieder klassisches AOR-Territorium mit einem starken Refrain und einem interessanten Saxophonsolo. Der Rockfaktor der CD steigt gegenüber dem teilweise sehr kontemplativen Anfang gegen Ende hin etwas an, denn auch "Take Me To The Waterline" geht nun doch manchmal fast bis zum alten Asia-Sound zurück. "I Believe In You" erweitert dieses Spektrum gar noch, denn IQs Martin Orford interpretiert in diesem Weitgehend-Instrumental eine schöne Flötenmelodie, und auch das Saxophon taucht wieder auf. Der Asia-Verweis würde aus strukturellen Gründen allerdings am ehesten in "I've Come To Take You Home" und "I Lay Down" Sinn machen, denn diese beiden Songs markieren Wettons erste gemeinsame Kompositionen mit Geoff Downes seit Wettons endgültiger Demission bei Asia vor dem "Aqua"-Album, und Wetton verrät im Booklet zudem, daß diese beiden Songs auf seinem alten Piano entstanden sind - wie schon vor zwanzig Jahren Teile der ersten Asia-Alben. Witzigerweise haben aber eben diese beiden Tracks am allerwenigsten mit Bombastrock der Asia-Schule zu tun - mit Bombast schon, aber mit Rock nicht, wenn man mal vom Grande Finale des zweitgenannten absieht. Über weite Teile der CD dominiert eine fast meditative Stimmung (passend zur sehr persönlichen Ausrichtung der Lyrics), was dieses Album praktisch zum perfekten Äquivalent der heutzutage eher energiereichen AOR-Veröffentlichungen der Altrockerkollegen macht und man so jede der Ausrichtungen zweckgebunden einsetzen kann. Zweck erfüllt, kann man da nur sagen, und ein kräftiges "Großes Kino!" noch hinterher.
Kontakt: www.johnwetton.co.uk

Tracklist:
Mondrago
Rock Of Faith
A New Day
I've Come To Take You Home
Who Will Light A Candle?
Nothing's Gonna Stand In Our Way
Altro Mondo
I Believe In You
Take Me To The Waterline
I Lay Down
When You Were Young
 




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