www.Crossover-agm.de VICKI VOMIT & DIE MISANTHROPISCHEN JAZZ-SCHATULLEN: Strc Prst Skrz Krk!
von rls

VICKI VOMIT & DIE MISANTHROPISCHEN JAZZ-SCHATULLEN: Strc Prst Skrz Krk!   (Wollmonster Records)

Stellt schon der seit Jahren unveränderte Name der Begleitband von Vicki Vomit manchen geneigten Anhänger vor Merk- und/oder Ausspracheschwierigkeiten, so trifft Analoges nun auch auf den Titel des neuen VVDMJS-Albums zu, der wie das soeben gebrauchte Anagramm seine spezielle Schwierigkeit durch das konsequente Nichtvorhandensein von Vokalen gewinnt. Vocals, also Gesang, gibt es in den 55 Minuten des Silberlings allerdings durchaus - es handelt sich also nicht etwa um einen Wechsel ins Instrumentallager, wenngleich Vickis Band mittlerweile durchaus eine musikalische Qualität gewonnen hat, die den Verbalwitz nicht mehr als alleinige Trumpfkarte im Schaffen des Quintetts beläßt, das übrigens seine Frauenquote wieder mal erhöht hat: Nachdem Keyboarderin Ines Nabel ja schon längere Zeit eine wichtige Stütze der Band darstellt, ist nun auch der Bassistenposten mit Jeanine Langemach (sollte der Nachname ein Pseudonym sein?) in weiblicher Hand. Das neue Album ist nun allerdings kein Studiowerk, sondern ein Livemitschnitt, der ein wenig wie ein Bootleg wirkt - eine sicherlich intendierte Wirkung. So beginnt der Mitschnitt sehr rabiat im Intro des Openers "Hartz IV", so als ob der potentielle Bootlegger erst dann sein Gerät eingeschaltet hat, und auch im weiteren Verlauf sind einige Songs direkt aneinandergeschnitten. Das Booklet verrät außer "Aufgenommen im Frühjahr 2012" keine weiteren Informationen zum Entstehungsort, und nur eine textliche Variation in "Wohin mit Omas Leiche" läßt erkennen, daß zumindest dieser Song im Erfurter Stadtgarten mitgeschnitten worden sein dürfte, wo Vicki eben im Frühjahr 2012 sein 20jähriges Bandjubiläum gefeiert hatte, was wiederum die Vermutung nährt, auch zumindest einige der weiteren neun Songs herkunftsseitig dort zu verorten, zugleich aber assoziiert, daß keineswegs das komplette Konzert den Weg auf Silberling gefunden hat, denn ein 20-Jahre-Vicki-Vomit-Jubiläumskonzert mit weniger als einer Stunde Spielzeit wäre ein schlechter Witz. Über das, was fehlt, dürfen die Nichtdabeigewesenen jetzt fleißig spekulieren - oder sie holen sich die DVD, die bei der gleichen Gelegenheit mitgeschnitten worden ist, und vergleichen außerdem die dortigen Fassungen mit denen auf der CD, um zu ergründen, ob vielleicht doch noch Material von anderen Gigs verbraten worden ist.
Was bekommt der geneigte Anhänger nun in den knapp 55 Minuten zu hören? Vicki spannt den Bogen von den Anfängen bis in die Gegenwart, aber mit unterschiedlichen Gewichtungsverhältnissen. Die jüngsten Kompositionen sind noch gar nicht als Studiofassung erhältlich, etwa das rock'n'rollige und nur zweiminütige "Ich hab die Magersucht besiegt", das in der abgewandelten Textfassung "Ich habe die MAGERSUCHT bezwungen!" auch seinen Weg auf ein neues T-Shirt gefunden hat, welchselbiges der Chef höchstpersönlich bei dem Gig, von dem die Fotos im Bookletfolder stammen, getragen hat. Das bisher jüngste Studioalbum "Für'n Appel und 'n Ei" stellt neben dem schon tradionell gewordenen Opener "Hartz IV" noch "Miss Beinebreit", während am anderen Ende der Skala die Klassiker "Hallo Herr Minister" und "Wohin mit Omas Leiche" vom Debütalbum "Ein Schritt nach vorn" zu finden sind, letztgenannter wie auch schon "Miss Beinebreit" mit ausgedehnten Solopassagen in bester Siebziger-Manier ausstaffiert, wobei sich in "Miss Beinebreit" auch Ines mit Sopranvokalisen einbringen kann. Daß die neue Besetzung musikalisch weit in die Sechziger und Siebziger zurückgreift, dürfte mittlerweile ja allgemein bekannt sein - stilfremde Experimente hingegen, die früher an der Tagesordnung waren (man erinnere sich etwa an "Hollahi" oder "Prima in China" vom brillanten Zweitling "Ich mach's für Geld"), bleiben zumindest in den zehn hier konservierten Songs aus, und da ist das feiste Doomriff in "Die dicke Ulrike" schon fast die Spitze des Eisbergs, auch wenn sich hieraus kein Doomjazz entwickelt, den Vicki einstmals als reine Worthülse erfand, nicht ahnend, daß es Jahre später Bands geben würde, die diese Stilbeschreibung tatsächlich mit Leben erfüllen würden. Umgekehrt hat sich Vicki auch immer wieder von anderen Künstlern inspirieren lassen, und zwei Exempel finden sich auch hier: Joint Ventures "Tach, Herr Chef", hier zum Blues mutiert, ist in seinen Setlisten nichts Neues, das ebenfalls blueslastige "Jesus" hingegen, aus der Feder von Ex-Jesus-Messerschmitt-Chefdenker Mike Majzen stammend, kennt zumindest der Rezensent bisher aus dem Vicki-Kontext noch nicht. Aber der nicht nur den Kampf auf dem deutschen Autobauermarkt versinnbildlichende Song paßt bestens ins Gesamtkonzept, und nach Ablauf der 55 Minuten ist man sich wieder mal sicher, hier eine musikalisch wie geistig interessante Formation vor sich zu haben, die den Fäkalhumor vergangener Jahrzehnte schon längere Zeit als prägendes Element nicht mehr nötig hat, so daß auch ein nachdenklicher Song wie "Zigeunermädchen" als Setcloser nicht deplaziert wirkt (wenngleich man sich an eine ähnliche Konstellation auf dem bereits aus dem letzten Jahrtausend stammenden "Bumm Bumm"-Album erinnert, das mit dem Epic "Pech und Schwefel" endete). Das Maskottchen des Wollmonsters erfährt mit dieser Scheibe übrigens wieder einige neue Inkarnationen, der Spruch in dem großen Vereinigungsspruchband wurde auch mal wieder modifiziert, und Drummer Alex Wicher ginge ohne seine langen Haare als Doppelgänger von Klaus Lage durch. Noch Fragen?
Kontakt: www.vicki-vomit.de

Tracklist:
Hartz IV
Tach, Herr Chef
Hallo Herr Minister
Jesus
Miss Beinebreit
Ich hab die Magersucht besiegt
Die dicke Ulrike
Küssen mit Angelika
Wohin mit Omas Leiche
Zigeunermädchen
 




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