(Trinity Records)

Eine relativ eigentümliche Form des Progrocks bzw. Progmetals spielen Visual Cliff: Sie arrangieren ihre Songs sehr kompakt, so daß diese auf ihrem fünften Album "Collective Spirit" im Durchschnitt nicht mal mehr die Vierminutenmarke überschreiten, nachdem auf den Frühwerken noch etwas ausladendere Arrangements standen. Diese Entwicklung hat bereits auf dem Vorgängeralbum "Into The After" eingesetzt, liegt also nicht an den gleich drei neuen Mitgliedern, die zu "Collective Spirit" eingestiegen sind: Keyboarder Mike Florio, Bassist David Michael und Drummer Thomas Schuffert. Chef im Ring bleibt weiterhin Alleinkomponist/Gitarrist Rob Perez, während das andere Altmitglied, Sänger Shane Lankford, in den acht neuen Songs erstaunlich selten zugange ist - über die Hälfte des Albums besteht aus Instrumentalstücken. Auch das war früher noch anders und zudem der direkte biblische Bezug der Lyrics offenbar noch stärker ausgeprägt. Aus ihrem Glauben und ihrer Mission machen Visual Cliff aber auch auf "Collective Spirit" keinen Hehl: "As always, the mission has been to be a vehicle for expressing in song our love and adoration for our Savior and Lord Jesus Christ" steht da geschrieben, und die Lyrics sind auf der Papphülle, in der die CD offenbar regulär vertrieben wird, zwar nicht abgedruckt, können aber auf der Homepage von Trinity Records nachgelesen werden. Konzentriert man sich statt dessen auf die musikalische Betrachtung, machen es einem Visual Cliff relativ schwer: Sie könnten es zwar schaffen, einen Zielgruppenspagat zwischen Normalrockern und Proggies hinzubekommen, aber sie könnten auch genau in diese Kluft hinabstürzen, wie das auch prominenteren Zeitgenossen wie Fates Warning mit "Perfect Symmetry" und "Parallels" passiert ist. An diese Werke fühlt man sich beim Hören manchmal ein klein wenig erinnert, auch wenn Visual Cliff bekanntermaßen einen Keyboarder und dafür nur einen Gitarristen besitzen und sich auch die Sänger deutlich voneinander unterscheiden. Lankfords Stimme tendiert bisweilen eher in Richtung Boston, allerdings etwas tiefergelegt, und das halbballadeske "Turning Of The Gears" könnte durchaus auch in Gänze von Tom Scholz komponiert worden sein, wenn man die bisweilen etwas unruhigen Drums ausklammert. Auch "Perspective" fällt insgesamt recht zugänglich aus und könnte Visual Cliff durchaus die Tür zu größeren Hörerschichten öffnen, wenn gewisse strukturelle Rahmenbedingungen etwas anders wären und es sich eben nicht um eine kleine eigenproduzierende Band handeln würde. Mit den Instrumentalstücken ein vokalfixiertes Publikum zu knacken dürfte deutlich schwieriger sein, und dafür agieren Visual Cliff trotz wirklich schöner Momente unterm Strich wohl auch nicht expressiv genug. Das ist überhaupt das Hauptproblem an "Collective Spirit": Es handelt sich zweifellos um gute Songs, aber sie tun sich schwer damit, den Hörer irgendwie zu begeistern, ihn mitzureißen, wenngleich man bei der intensiven Kontemplation durchaus mancherlei Feinheit entdeckt und zu schätzen lernt, die man beim oberflächlichen Hören nie wahrgenommen hätte (man achte mal auf die klimpernden Keyboardgeräusche im Hintergrund von "In My Savior's Arms"!), und einige der Songs sicherlich auch live eine gute Figur machen. Aber so richtig aufregend ist das leider alles nicht (böse Zungen würden das Wort "lauwarm" gebrauchen), so daß zu befürchten ist, daß sich am Status des Quintetts auch mit dem Fünftling wenig ändern wird. Da ist man irgendwie nicht mal richtig böse, daß "Collective Spirit" nur reichlich 31 Minuten dauert, auch wenn der packendste und begeisterndste Song, das Instrumental "Confessions In Time", nun ausgerechnet am Ende steht. Einige Importeure, z.B. www.empire-music.de, haben Visual-Cliff-Scheiben im Sortiment, ansonsten wende man sich direkt an:
www.trinityrecords.net

Tracklist:
Bone From Marrow
Exposed
Sweet Conviction
Perspective
Turning Of The Gears
Shema
In My Savior's Arms
Confessions In Time

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