VICIOUS RUMORS: Electric Punishment von rls (Steamhammer/SPV)
Besetzungstechnisch vom Glück verfolgt waren Vicious Rumors im Laufe ihrer auch schon wieder knapp 30jährigen Karriere nicht unbedingt, was sich besonders auf den Sängerposten bezieht. Sicherlich, ein Könner wie Carl Albert war nicht leicht zu ersetzen (der Rezensent hatte noch das Glück, ihn im Herbst 1994, ein halbes Jahr vor seinem Unfalltod, auf der "Power Of Metal"-Tour live zu erleben), aber in den kommenden fast zwei Jahrzehnten herrschte am Frontmikrofon ein buntes Wechselspiel, das bis in die Gegenwart anhält: Brian Allen sang das neue Album "Electric Punishment" ein, konnte aber die zugehörige Europatour nicht bestreiten, so daß James Rivera einsprang, der wiederum vor einigen Jahren das "Warball"-Album eingesungen hatte. Interessant wäre es durchaus gewesen, die neuen Songs mit Riveras Stimme zu hören - daß der ein begnadeter Könner ist, steht außer Frage (und Kollege Thorsten, der auf der besagten Tour zugegen war, zeigte sich auch hellauf begeistert von Riveras Leistung). So leid es einem nämlich tut, das so schreiben zu müssen: Allen ist in der Besetzung des aktuellen Studioalbums das schwächste Glied. Sein angestrengt wirkender, auf der Kippe zwischen Shouting und Kreischen stehender Gesang ist nicht als prinzipiell schlecht einzustufen, aber was ihm vor allen Dingen fehlt, ist die Fähigkeit, klare Melodien zu intonieren, was gerade bei einer Band wie Vicious Rumors, die sich immer auch über den Melodiefaktor definiert hat, natürlich nicht als Nonplusultra zu werten ist. Daß Allen rein technisch betrachtet durchaus zum Halten von Melodielinien in der Lage ist, zeigt er in den ruhigeren Momenten, etwa in der Bridge des Titeltracks, wo er in eine dunklere und klare Tonlage wechselt - und prompt entfaltet die Passage ein ganz besonderes Flair. Ganz besonders zeigt sich die Ambivalenz in der Halbballade "Escape (From Hell)": In den Strophen singt Allen klar, etwas höher als im Titeltrack und mit berückendem Feeling, die harten Bridges gestaltet er in einem unbeholfenen Shouting und die zurückhaltend-melancholischen Refrains ebenfalls mit extremer, aber hier durchaus melodiehaltender Stimme. Will man es positiv ausdeuten, könnte man sagen, er passe sich der jeweiligen Grundstimmung des Songs an - aber diese Deutung paßt definitiv nicht zu einem Großteil des metallischen Materials, in dem vor allem Mainman Geoff Thorpe und Rückkehrer Thaen Rasmussen sowie diverse Gastmusiker (darunter Mark McGhee, der zu den Hochzeiten der Band in den Spätachtzigern und Frühneunzigern zur Band gehörte) an ihren Gitarren filigrane Soli und Leadmelodien hervorzaubern, denen ein zwar nicht weniger energischer, aber eben treffsicherer Leadgesang als ebenbürtiger Partner hinzuzugesellen wäre. Und genau das, ein ebenbürtiger Partner, ist Allen zumindest auf "Electric Punishment" nicht, was zu oftmals wenig überzeugenden Melodiestrukturen führt. Gerade die Hymne "Together We Unite" hätte, um wirklich als Basis für livehaftiges Mitgrölen dienen zu können, erstmal eine deutliche Leitmelodie gebraucht (kurioserweise wurde sie auf der Tour zum Album gar nicht gespielt, obwohl das Infoblatt zum Album sie explizit als "Hymne an unser Publikum" herausstellt).
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