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THE TOP DOG BRASS BAND: neigekachelt
von rls

THE TOP DOG BRASS BAND: neigekachelt   (Stormy Monday Records)

Der CD-Titel führt ein wenig in die Irre, denn man hat hier keineswegs einen erzgebirgischen Volksliedtonträger im Player liegen - der Titeltrack ist der einzige, den das Quintett im erzgebirgischen Idiom intoniert. Auch die Bezeichnung "Brass Band" wäre hinterfragungswürdig, denn Blechblasinstrumente spielen nur drei der fünf Herren (eine Trompete, eine Posaune und ein Sousaphon, also praktisch eine Tuba), wiewohl auch die beiden anderen mit Metall arbeiten, der eine an Saxophon und diversen Flöten, der andere hinterm Drumkit. Der Untertitel "Weihnachten im Sitzen" führt schon ein Stück weit auf die richtige Spur, denn einerseits sitzen die fünf Herren üblicherweise beim Musizieren, und andererseits liegt hier tatsächlich eine Weihnachts-CD vor, eine verblechjazzte allerdings und die zweite derartige im bisherigen Katalog der Band, nachdem die erste einfach "Weihnachten im Sitzen" hieß und das Quintett zwischendurch auch noch einen Stapel unweihnachtlicher Tonträger eingespielt hat, um auch außerhalb des Dezembers sinnvoll on the road gehen zu können. Zehn reguläre Songs stehen auf der CD, als elfter tritt noch ein Remix des Titeltracks hinzu, über den man aber geflissentlich den Mantel des Schweigens decken darf. Unter den zehn regulären Tracks finden sich zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Da wären zunächst komplette Eigenkompositionen wie der Titeltrack, auf der anderen Seite hätten wir dann die Tracks, welchselbige ein mehr oder weniger bekanntes Weihnachtslied (meist ein mehr bekanntes) als Steinbruch benutzen. Irgendwo erkennt man die Vorlage stets wieder, auch wenn Drummer Matthias Peuker mal nicht singen sollte. "Kling Glöckchen" etwa bleibt rein instrumental und entfernt sich recht weit von der Vorlage, die dann aber doch irgendwann auftaucht, wenngleich als stark verlangsamtes und rhythmisch verfremdetes Thema. Andere Songs wie "Winter Wonderland" übernehmen ganze Strophen in einer originalähnlichen Struktur, schalten aber auch dort mannigfach Selbsterdachtes dazwischen, jedenfalls in instrumentaler Hinsicht. Sowas heißt dann im klassischen Musikuniversum "Variationen über ein Thema von XY", hier hat man es kurzerhand bei den Originaltiteln belassen. Diese Verfahrensweise gipfelt dann im achtminütigen "Stille Nacht", das zwischendurch mächtig Fahrt aufnimmt und den Schnee (für die jüngeren Leser: das ist diese weiße Substanz, die auf hohen Bergen liegt) von der Straße fegt. Generell gibt man sich temposeitig recht variabel - während "Winter Wonderland" eher gemächlich vor sich hin groovt, müßte man sich schon ganz schön anstrengen, um den "Tango Of The Two Similars" unfallfrei auf den Tanzboden zu legen, obwohl er rein rhythmisch noch zu den geradlinigsten der Tracks gehört, wohingegen ausgerechnet der eröffnende Titeltrack diesbezüglich eher verschroben um die Ecke lugt und beim unbedarften Antesten einige Probanden möglicherweise eher verstören könnte. Er hätte allerdings auch perfekt ins Programm der Krippelkiefern gepaßt. "The Christmas Call" bekommt titelgemäß ein paar Gangshouts verpaßt, und in "Santa Claus Is Coming To Town" und "Santa Is Ridin On A Dolphin" versetzt einen das Quintett dann auch noch in die Karibik, wo es mit Weihnachtsfeeling ja noch schwerer ist als hier im auch keinen Winter mehr kennenden mitteleuropäischen Tiefland. Andererseits haben wir es am 15.12.1998 beim Kamelreiten in Israel in der Wüste Negev auch fertiggebracht, bei 25 Grad im Schatten (wenn es denn Schatten gegeben hätte) "Leise rieselt der Schnee" zu singen - es ist also alles nur eine Frage des Willens, und was sollen die Bewohner der Südhalbkugel sagen, die zu Weihnachten ja gerade Hochsommer haben? Eben. Nun füllen die Top Dog-Leute ihren Geschenkekorb allerdings noch mit ein paar U-Booten, die man dann beim intensiven Lauschen ausfindig machen darf. Bei einigen geht das sehr schnell - man identifiziert "Felice Navidad" schnell als Medley aus bekannten Weisen, allerdings bisweilen etwas modifiziert (so endet das Zitat aus "O du fröhliche" in Moll). Gleich der Opener und Titeltrack hat ein Intro verpaßt bekommen, das der DDR-sozialisierte Fernsehzuschauer schnell als das von "Willi Schwabes Rumpelkammer" erkennen wird, der nicht-DDR-sozialisierte Fernsehzuschauer bei entsprechendem musikalischem Hintergrundwissen als den "Tanz der Zuckerfee" aus Peter Tschaikowskis Ballett "Der Nußknacker" identifizieren kann. Im Intro von "Winter Wonderland" ist wiederum die DDR-sozialisierte Hörerschaft im Vorteil, die dort verbratene DDR-Nationalhymne zu erkennen. Ein wenig anstrengen wiederum muß man sich, um in "Kling Glöckchen" das Zitat aus Bizets "Carmen" wahrzunehmen. So kann man sich hier einen schönen weihnachtlichen Abend mit Freunden vornehmen, um die Entdeckerfreude zu teilen - freilich sollten es keine Choral-Hardliner sein, denn die werden hier von einem Alptraum in den nächsten stürzen. Menschen, die es sich vorstellen können, intelligent verblechjazzte weihnachtliche Weisen mit Augenzwinkergarantie, aber trotzdem ernsthaftem Anspruch zu mögen, könnten mit der Top Dog Brass Band allerdings eine neue Lieblingscombo entdecken.
Kontakt: www.stormy-monday-records.de, www.top-dog.info

Tracklist:
Neigekachelt
Kling Glöckchen
The Christmas Call
Winter Wonderland
Tango Of The Two Similars
Santa Claus Is Coming To Town
Felice Navidad
Ihr Kinderlein kommet
Santa Is Ridin On A Dolphin
Stille Nacht
Neigekachelt - Remixski



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