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von ta

THE TANGENT: A Place In The Queue   (Inside Out)

Gute Nachrichten aus dem Hause Inside Out. Tausendsassa Roine Stolt, hauptamtlich Mastermind der Flower Kings, hat - vielleicht auch unter dem Eindruck, den der gerade noch gutklassige jüngste Melodienstrauß der Flower Kings, "Adam And Eve", hinterließ - eingesehen, dass von seinen fünfhundert Bandprojekten zumindest zweihundertfünfzig zuviel sind - und Konsequenzen aus dieser Erkenntnis gezogen. Dies hieß für The Tangent nach deren letztem Album "The World That We Drive Through", dem Zweitling in der Discographie, 2004 erschienen, dass künftig ein neuer Mann die Gitarre bedienen musste, welcher mit Krister Jonsson auch flugs gefunden ward. Die hochkarätige Neubesetzung des ebenfalls vakanten Schlagzeugpostens liefert mit Jaime Salazar witzigerweise wiederum ein Mann, der bis einschließlich dem famosen "Rainmaker"-Album von 2001 bei den Flower Kings hinter den Kesseln saß. Musikerswingerclubs - Arbeitsprinzip: jeder mal mit jedem - scheinen irgendwie ein Charakteristikum der schwedischen sowie der englischen Progszene zu sein ...
Aber genug der Musikexterna. Die beiden Vorgänger von "A Place ..." sind dem Rezensenten leider unbekannt, Vergleiche dürfen im Folgenden deshalb nicht erwartet werden. "A Place ..." selbst ist gutklassiger Prog Rock, der seine Einflüsse ziemlich deutlich zeigt und auch kaum über sie hinausgeht, insofern also tatsächlich wenig progressiv ist, aber in seiner Uneinzigartigkeit immerhin kompositorisch so ausgefeilt, dass der Konsum weitestgehend ungetrübte Freude bereitet.
"In Earnest" markiert einen Albumopener, der gar nicht so den Hörer niedermacht, wie dieser anhand der unbescheidenen Spielzeit von zwanzig Minuten erwarten könnte. Das liegt zunächst an der ungetrübten, lockeren Spielfreude aller Beteiligten, allen voran Bandchef Andy Tillison sowie Kollege Sam Baine. Deren Synthesizer- und Keyboardklänge sind eins der dominanten Soundmerkmale schlechthin und verdrehen einem bei den ersten Durchgängen völlig den Kopf. Abgepfiffene Orgelsoli gesellen sich zu glassprengendem Gefiepsel, ehe ein Klavier dem Herzen minutenlang Ruhe gönnt. Den warmen Fretlessbass von Jonas Reingold kennt und liebt man ja von den Flower Kings (ja, noch so ein Swinger) und das Sahnehäubchen liefert Krister Jonsson mit seinen dezenten, gefühlvollen Gitarrensoli. Die nehmen aber tendenziell den kleinsten Teil der Musik ein und sind damit in der Endabrechnung - was das ganze Album betrifft - unterrepräsentiert. Butterweichen Gesang liefert Tillison ab, seine wenigen Gesangspassagen aus "In Earnest" gehen nach ein paar Durchgängen richtig ins Ohr, was man von den meisten anderen Songs des Albums nicht behaupten kann.
Richtig klasse ist auch "Lost In London". Old School Prog der übelsten Sorte, nämlich rückblickend auf den Thronhalter des Progressive-Imperiums in den Sechzigern und frühen Siebzigern, Robert Fripp. Gesangsführung, Phrasierung und vor allem die massive Flötenuntermalung machen auf wunderbare Weise an dessen geniale Truppe King Crimson erinnern. Da passt die luftig-lockere, aber dabei immer verträumte, melancholische Atmosphäre wie die Faust um den Fleischklopfer. Und der rasante, harte Mittelteil natürlich auch.
Mit King Crimson geht's gleich weiter. Die chaotischen Unisoni aus Saxophon, Flöte, Schlagwerk und Bass in dem gut zweiminütigen "DIY Surgery" retten genau wie einige verspielte Basslinien den Song etwas aus der ansonsten währenden Belanglosigkeit und machen ihn zu mehr als nur einem Intermezzo, das auf "GPS Culture" vorbereitet. Dies wäre auch ungünstig, denn "GPS Culture" gehört zu den Schwachpunkten der CD. Die überdeutlichen Yes-Anleihen stören den Rezensenten hierbei weniger als die frappante Gleichförmigkeit immer dann, wenn es gerade kein reines Instrumentalshowdown gibt. Besonders das Fehlen einer ordentlichen Hookline - den Chorus merkt man sich auch nach dem zehnten Durchlauf nicht - macht einiges zunichte, das erst durch den abwechslungsreichen Soloteil in Maßen wieder hergestellt wird. Hier hat eine unnötige Form der Sperrigkeit Einzug gehalten, die es auch auf der letzten Flower Kings-Scheibe bereits zu bewundern gab.
"Follow The Leaders" - und nächste Reminiszenz: Original-Genesis-Orgeln von 1974 klingen auch 2006 noch überzeugend, besonders, wenn sie mit solch brillanter Flöten- und Saxophonarbeit gekoppelt werden. Überhaupt sind die Bläser, besonders die hölzernen, neben der Tastenarbeit das zweite wichtige Charakteristikum von The Tangent, das für Stil sorgt. Der hohe Instrumentalanteil des Albums wird sich nicht zuletzt daraus erklären lassen, dass die Musiker genau um ihre nicht nur technischen, sondern auch kompositorischen Fähigkeiten in diesem Gebiet wissen. Ungewohnt, weil mit beinahe sprechartig anmutenden Passagen ausstaffiert, kommt die Stimme von Tillison daher, passt sich damit aber gut in das zerfahrene Bild, das der Song entwirft, ein. Genauso das seltsame Abschlussarrangement, das an unerwarteter Stelle die Drums noch einmal einsetzen lässt. Tolles Stück!
Mit "The Sun In My Eyes" gibt es hernach zum ersten und letzten Mal auf diesem Album Easy Listening-Kost. Bläser, die entweder direkt aus dem Funk oder von Phil Collins geliehen worden sein müssen, luftiger Gesang, ein fröhlicher Refrain, der nach anderthalb Minuten bereits zum zweiten (was für The Tangent wirklich ein schnelles auf-den-Punkt-Kommen bedeutet) und nach drei Minuten zum letzten Mal bzw. zum Abschluss (ebenfalls ungewöhnlich) ertönt. Das Ergebnis kann man hören, muss man aber nicht allzu oft, denn viel passiert nicht.
Auf den ans Ende der Scheibe gestellten Titeltrack "A Place In The Queue" trifft im Prinzip all das zu, was bereits den Opener "In Earnest" gekennzeichnet hat, einschließlich der Tatsache, dass er nicht eben kurz ist. Fünfundzwanzig magische Minuten, die mit vielen wunderbar inszenierten ruhigen Momenten bedächtig stimmen; in den ersten zehn Minuten eine beinahe bedrückende Schwere, die dann elegant, allerdings nicht ganz so spannend wie das Vorhergegangene, in einige Übergangssoli aufgelöst wird - dass die Synthesizer den Rezensenten streckenweise an die Anfänge der Ostrock-Legende Lift erinnern, wird jedoch als reiner Zufall gewertet. Ein paar Minuten Kürzung hätten am Ende gut getan.
Das Drittwerk von The Tangent ist zweifellos sperrig, uneingängig. Dazu trägt die partielle Vernachlässigung des Gesangs ebenso bei wie die imposante und nicht immer gerechtfertigte Gesamtspielzeit von 79.00 min, ferner die Hintergründigkeit der Gitarrenarbeit. Nichtsdestotrotz ist "A Place ..." ein Schmuckstück des Prog Rocks geworden, weil es mit Vielfalt, Spiellust und meistens auch vor Inspiration gefällt. Dass letztgenannte eher retrospektiv angelegt ist, stört hierbei ausnahmsweise nicht so sehr. Hoffe man, dass das kommende Album der Flower Kings nicht weniger inspiriert ausfällt. Bis dahin haben The Tangent mindestens das brauchbare Überbrückungsalbum geliefert.
Kontakt: www.insideout.de

Tracklist:
1. In Earnest
2. Lost In London
3. DIY Surgery
4. GPS Culture
5. Follow Your Leaders
6. The Sun In My Eyes
7. A Place In The Queue



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