www.Crossover-agm.de STRANGER: The Bell
von rls

STRANGER: The Bell   (Karthago Records)

Diese Fremdlinge stammten aus Süddeutschland und hatten gleich drei Mitglieder am Start, die auf den Vornamen Wolfgang hörten - mindestens einer zuviel, meinte man wohl (zumal es sich auch noch um die komplette Saitenfraktion handelte), und somit wurde aus dem Gitarristen Wolfgang Rieger kurzerhand Rikki Rieger genacht. Er sollte auch eines von drei Mitgliedern der auf "The Bell" zu hörenden Besetzung sein, von dem man noch in anderem Bandkontext zu hören bekommen sollte - 1990 stieß er nämlich zu Chroming Rose, die nach dem Abgang von Matze Mende für die nach dem Debütalbum "Louis XIV" anstehenden Aktivitäten an der Livefront einen neuen zweiten Gitarristen brauchten und wohl auf Hinweis von Gerd Salewski Rieger verpflichteten. Besagter Gerd Salewski sang nämlich bereits seit dem Vorjahr bei Chroming Rose und hatte anno 1985 auch schon auf "The Bell" gesungen, dem Debütalbum von Stranger, die nach diesem erstmal nahezu komplett zerfielen, wobei Thomas Imbacher die Trommelstöcke einer anderen bekannten Band übernehmen sollte, nämlich von Gravestone, wo er auf dem letzten unter diesem Banner erschienenen Album, "Creating A Monster", spielte und auch in der späteren Phase unter dem Banner 48 Crash weiterhin trommelte. Rikki Rieger spielte zwar fünf Jahre später in Gestalt von "Pretty Angels" mit komplett neuen Mitstreitern ein zweites Stranger-Album ein, aber mit seinem Einstieg bei Chroming Rose hatte sich dieses Bandkapitel dann endgültig erledigt. Doch zurück zum Debütalbum "The Bell": Die neun Songs klingen für eine deutsche Band des Jahres 1985 sehr reif und zweifellos international-kompatibel - der typische teutonische Touch, wie ihn etwa Noisehunter oder Gravestone aufwiesen, ist bei Stranger kaum durchzuhören, was nicht zuletzt auch ein Verdienst des souveränen Gesangs Salewskis ist, der sich zumeist in höheren Lagen aufhält, aber noch einen Tick tiefer agiert als später bei Chroming Rose. Auch die Rhythmusabteilung agiert etwas lockerer als verschiedene deutsche Zeitkollegen, und selbst den ultimativen Hölzernheitstest bestehen Stranger ohne Probleme, nämlich den anhand der Balladen (wo man Könner am besten von Weniger-Könnern unterscheiden kann): Die Halbballade "Broken Harmonies" macht das gute arrangementseitige wie gefühlsseitige Händchen schon deutlich, aber "I Hold You" setzt dem noch eins drauf und ist zweifellos der zweitbeste Song der Scheibe - den besten verbrät das Quintett hingegen gleich zu Beginn: Der Titelsong ist ein großartiger Speedknaller mit ekstatischer Instrumentalarbeit, einer Sonderportion Energie und von begeisternder "undeutscher" Leichtfüßigkeit. Leider soll es bei diesem einen Beispiel aus der Höchstgeschwindigkeitsschublade bleiben, "Bright Fog" kommt weder im Tempo noch in der Qualität ganz heran, auch "Garden Of Evil" ist zweifellos gut, aber ohne diesen Alles-Niederreiß-Faktor (dafür mit einem interessanten Verzögerungseffekt mitten im Refrain). Das Midtempolager steuert noch "Wheels", "Midnight Angel" und "Woman" bei (zwei gutklassige Exempel, letztgenannter allerdings relativ langweilig und damit das Lowlight des Albums) - und dann ist da noch das düster-schleppende "Hazle The Witch", das mit den gruseltechnischen Mitteln der Mittachtziger zu arbeiten versucht, die heute teilweise noch immer die gewünschte Düsternis erzeugen, teilweise aber auch eher zum Schmunzeln animieren. Damit wäre "The Bell" komplett; ein Klassiker des deutschen Metals ist es sicherlich nicht, aber allein der Titeltrack und die beiden Balladen rechtfertigen den Erwerb auch heute noch. Den Karthago-Re-Release bekommt man dazu noch mit neun Bonustracks veredelt, vier davon in Video- und fünf in Audioform. Die Videotracks teilen sich paritätisch auf: "The Bell" und "Midnight Angel" stammen vom hier reviewten "The Bell"-Album, "Child Of Violence" und "Is This Love" (kein Whitesnake-Cover, aber auch eine niedliche Ballade) dagegen sollten erst auf dem Zweitling "Pretty Angels" ihren Platz finden. Mitgeschnitten wurde das Kleeblatt allerdings keineswegs während der aktiven Phase Strangers in den Achtzigern, sondern am 16.10.2001, offenbar im Rahmen einer Art Family Tree-Konzerts, denn da springen in den vier Songs zwei verschiedene Bassisten und gleich drei Sänger über die Bühne. Sonderlich anspruchsvoll ist der Mitschnitt zwar nicht (nur mit einer Kamera aus der ersten Reihe gemacht), aber das Zuschauen macht Spaß. Die Audiotracks kommen in Form von Demoaufnahmen daher, die natürlich produktionsseitig etwas abfallen, sich aber in jedem Fall mit Genuß anhören lassen. Bei drei Tracks kann man die Evolution hin zu den späteren Albumversionen nachvollziehen ("Wheels", "Bright Fog" und "Broken Harmonies"), zwei allerdings blieben in den Archiven und wurden nicht neu eingespielt. Das ist besonders im Falle des Stampfers "Warrior" schade, denn der hätte auf dem Album durchaus zu den Highlights gehören können, während "Paradise" schon fast Anklänge an den US-Westküsten-Hardrock durchschimmern läßt, wie sie die Band dann später auf "Pretty Angels" in noch viel stärkerem Maße zeigen sollte - der Song selbst ist allerdings auch richtig gut, besonders die gekonnten Wechsel zwischen galoppierendem Riffing und den ganz kurzen Leadstops machen Spaß beim Hören, lediglich das Ende wirkt etwas abrupt (aber das hätte man im Falle einer Neueinspielung vielleicht noch besser ausgefeilt). So bleibt eine gutklassige und zweifellos erwerbenswerte Veröffentlichung, der nur mal im Booklet wenigstens noch eine Line-up-Angabe und eine um einige Sätze aufgestockte Bandbiographie zu wünschen gewesen wäre (statt dessen hätte man den Linernotes-Text locker um ein Drittel, nämlich die ausschweifende Abhandlung über die Käuflichkeit der Musikpresse und den dadurch verschuldeten Untergang hoffnungsvoller Bands auf kleinen Labels, kürzen können). Ansonsten: stark!
Kontakt: Stefan Riermaier, Feichtetstraße 41, 82343 Possenhofen, riermaier@aol.com, www.karthagorecords.de

Tracklist:
The Bell
Wheels
Midnight Angel
Woman
I Hold You
Bright Fog
Hazle The Witch
Broken Harmonies
Garden Of Evil
Wheels (Demoversion)
Warrior (Demoversion)
Paradise (Demoversion)
Bright Fog (Demoversion)
Broken Harmonies (Demoversion)
Midnight Angel (Video)
Child Of Violence (Video)
The Bell (Video)
Is This Love (Video)
 




www.Crossover-agm.de
© by CrossOver