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SHIRLEY HOLMES: Heavy Chansons
von sk

SHIRLEY HOLMES: Heavy Chansons   (Setalight/Rough Trade)

Im allerbesten Sonntagsstaat sitzen wir bei Kaffee und Kuchen mit Freunden zusammen. Klein Joachim, ein und ein halbes Jahr alt, sitzt unter dem Tisch und lutscht an einem Keks. Ach schöne kleinbürgerliche Sonntagswelt. Pflaumenkuchen mit Sahne. Kaffee, ein Stück Zucker, danke bitte wie geht's dir so ach geht so danke und dir ach nee glaub ich jetzt nicht erzähl doch mal ach was hüstel usw. Mensch, sind wir alt geworden. Ich möchte die Runde ein wenig auflockern und lege eine quietsch-rosa Scheibe in den Player. "So, liebe Freunde, jetzt pfeift es euch die Pflaumen vom Kuchen!" Joachim kaut am Keks und denkt versonnen über Gott und die Welt nach. Dann schmettern Shirley Holmes mit "Nadines Korsett" aus den Boxen, ein wenig noisy und trashig und die Mädels fangen an zu sprech-singen. Joachim schaut verdutzt vom Keks auf und unsere Gäste rufen begeistert aus: "Das sind doch Tic Tac Toe! Die mit 'Ich find dich Sch-sch-sch-sch-scheiße!'". Jetzt bin ich empört, Klein-Joachim entdeckt den Punk in sich, verlangt, soweit ich das verstehe, nach einer Büchse Bier und schmeißt die Keks-Speichel-Mischung auf unsere bestickten Sofa-Kissen. Ich bin so empört, dass ich die quietsch-gelbe CD-Hülle des Albums "Heavy Chansons" in den Pflaumenkuchen meines Gegenübers stecke, dass die Sahne auf meinen karierten Pullunder spritzt. "Nimm das, Banause!" Im Stillen gebe ich natürlich zu, dass die Strophen wirklich nach Tic Tac Toe klingen, und ärgere mich, dass ich nicht eher drauf gekommen bin. Aber nach und nach müssen auch unsere Gäste eingestehen, dass hier wunderbar trashiger, verrotzter, melodiöser und verflixt tanzbarer Punkrock dröhnt. Jawoll, Kollegen! Joachim hat das längst begriffen und auch wir bringen das Kaffeegeschirr in die Küche, legen die Sonntagsklamotte ab und drehen den Regler der Anlage hoch. Ich sehe noch aus dem Augenwinkel, wie der Tisch in die Ecke getreten wird. Irgendwo finden wir eine angebrochene Flasche Jack. Prosit! Ach ihr mit Sleater-Kinney, Pavement, Nirvana und Offspring sozialisierten Shirley Holmes - ihr geht schon gut ab (irgendwo war zu lesen, Nena sei einer ihrer Einflüsse. Naja ... Wer's glaubt). Die Flasche Jack leert sich, Klein-Joachim ist beim Pogo ganz an vorderster Front dabei und fängt an, die Schrankwand zu zertrümmern. Party!
Am nächsten Tag wachen wir alle verkatert auf. Mitten im Müll. Shirley Holmes, ihr habt uns den Sonntag gerettet. Schön war's. Und für einmal austoben reicht es allemal. Mal sehen, ob ich euch auch am Schreibtisch hören kann. Ganz gesittet. Schnöde Fakten? Eine Frau am Bass, eine an der Gitarre und eine Testosteron-Schleuder an den vorwärts treibenden Drums. Musik? Wie oben beschrieben, mit zeitweisen Abstechern. All das ist stilistisch ein wenig zwischen den Stühlen, scheinen sie doch ihren trashigen Ausflügen selbst nicht ganz zu trauen. Dann flüchten sie in ein wenig pop-punkige Glückseligkeit. Dabei ist das Ganze ordentlich auf Breitwand produziert und drückt die schreienden, singenden, sprechenden Mädels anständig nach vorne. Dass dabei auch einmal Flamenco-Gitarren zurate gezogen werden ("Mad Stier Disease"), ist seltsamerweise nur konsequent und trotz aller Rotzigkeit weit weg von allzu simpler Punkattitüde. Nur manchmal, ja manchmal schimmert sogar ein wenig Mainstream durch (Jennifer Rostock, ick hör dir trapsen).
Ich lass jetzt mal den Besuch wieder nach Hause und geb' Joachim noch einen Keks. Zum Tanzen, da sind sie was, die Berlinerinnen und der Berliner von Shirley Holmes. Live sollen sie auch eine Nummer für sich sein. Das hört man der Scheibe an, aber hallo. Darum: Ich warte auf den nächsten Sonntag bei Pflaumenkuchen und Kaffee. Shirley Holmes, ihr rettet mich! Heavy ass kicking Grrrlz!
Kontakt: http://www.shirleyholmes.de

Tracklist:
1. Nadines Korsett
2. Floor The Gas
3. Homicidal Actress
4. Alles löst sich auf
5. Ride On Me
6. 1 Moment
7. Poppstar
8. Kiss My Karma
9. J.E.S.S.I.C.A.
10. Mad Stier Disease
11. 1 + 1 + 1
12. Tanzen!



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