www.Crossover-agm.de OGÜN SANLISOY: Sen Uyurken
von rls

OGÜN SANLISOY: Sen Uyurken   (Sony Türkiye)

Der Name Ogün Sanlisoy dürfte manchem Underground-Metaller noch etwas sagen - der Mann sang von 1992 bis 1995 bei Pentagram, der wohl bedeutendsten türkischen Metalband, und das von ihm eingesungene "Trail Blazer"-Album wurde seinerzeit über die damals noch ziemlich undergroundigen Nuclear Blast auch in Deutschland zumindest ansatzweise popularisiert, auch wenn der entscheidende Schritt bezüglich einer größeren Bekanntheit erst mit dem bei Century Media erschienenen Folgealbum "Anatolia" erfolgte, auf dem allerdings bereits Murat Ilkan das Mikrofon in der Hand hielt. Sanlisoy bastelte da bereits an seiner Solokarriere, die ihm in der Türkei einen sehr großen Bekanntheitsgrad beschert hat, während sich das Interesse außerhalb seines Heimatlandes in Grenzen hielt und hält: "Sen Uyurken" kommt in der Türkei bei einem Majorlabel heraus, aber in Deutschland ist an einen regulären Release nicht zu denken, und wenn man nicht einen gewitzten CD-Importeur findet, der zumindest die paar Altfans, die den Namen noch auf dem Schirm haben, bedient, dann bleibt nur der Direktimportweg - der Rezensent hat sein Exemplar von "Sen Uyurken" im Buch- und CD-Shop auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul erworben. Besagtes neues Album ist das siebente Solowerk Sanlisoys, wenn man die Neueinspielung des Debütalbums "Korkma" sowie die 2012er Akustikplatte, die den direkten Vorgänger von "Sen Uyurken" markiert, mitzählt. Und ähnlich wie seine Ex-Band ist auch Sanlisoy heute nicht mehr im Thrash Metal beheimatet, hat aber im Gegensatz zu Hakan Utangac und seinen Mannen einen kosmopolitischen Ansatz gewählt: Abgesehen davon, daß er durchgängig in Türkisch singt, verzichtet er bis auf einige wenige rhythmische Elemente konsequent auf Einflüsse aus der traditionellen nahöstlichen Musik, so daß die neun Songs auch in anderen Kulturkreisen hätten entstehen können. Das macht freilich nichts, denn ihrer grundsätzlichen Qualität tut das keinen Abbruch, und für den normalen deutschen Hörer ohne türkischen Migrationshintergrund ist das Werk allein aufgrund der Sprache trotzdem noch exotisch genug. Als weiterer Unterschied zu den neuzeitlichen Pentagram ist der generelle Härtegrad zu benennen: Während die Band konsequent im Metalfach verblieben ist und heute irgendwo im Power Metal siedelt, läßt sich "Sen Uyurken" am ehesten als Melodic Rock klassifizieren, der nur in einigen härteren Momenten in den Melodic Metal hinübermorpht. Daß der Quasi-Titeltrack "Sen" die Ballade des Albums darstellt, muß dem Liebhaber kerniger Rockmusik allerdings keine schlaflosen Nächte bereiten: "Sen Uyurken" ist zumindest ansatzweise axialsymmetrisch aufgebaut, und "Sen" bildet an Position 5 die entspannte Mittelachse der Scheibe, die mit "Merhem" gleich einen knackigen Rocker an den Anfang stellt, der noch einen Tick knackiger wäre, hätte Sanlisoy der Versuchung widerstanden, die Strophen abzustoppen. Aber auch so macht die Nummer jede Menge Hörspaß und zündet definitiv gleich beim ersten Durchlauf, wohingegen "Sonsuza" und "Cal", die beiden Folgenummern, dazu ein wenig länger brauchen und man auch die Qualitäten des schon weiter zurückgenommenen "Son Defa" erst entdecken muß. Bis hierher hat Sanlisoy seinen Melodic Rock gelegentlich mit einigen modernen Einsprengseln versehen, aber "Sen" gehört dann in die ganz klassische Kategorie der Powerballade, wie man sie auch schon in den Achtzigern immer wieder gern gehört hat. Daß wir trotzdem 2015 schreiben, verrät die durchaus zeitgemäße Produktion, ohne daß aber der Traditionalist darob vom Stuhl fallen wird. Und ähnlich geht es in der zweiten Albumhälfte weiter: "Isterse" entpuppt sich als flotter Melodic Rock, den auch ein Harry Hess bei Harem Scarem nicht immer in dieser Preisklasse zu erschaffen in der Lage war, der Freund von Rockmusik aus ungewöhnlichen Ländern fühlt sich in Nummern wie "Gün Olur" oder dem weitgehend akustisch gehaltenen "Onbes" ein wenig an den Tschechen Láda Krízek und seine Quasi-Soloscheibe "Elixír Zivota" erinnert (und das ist als dickes Kompliment gedacht), und mit dem durchaus auch bei Pentagram nicht deplazierten "Agac" stehen fünfeinhalb Minuten Epic Metal am Ende der 43 Minuten regulärer Musik (nach einer halben Minute Leerlauf folgt noch ein kurzer gesprochener Monolog samt Geräuschhintergrund, dessen Inhalt sich dem Nichtkenner der türkischen Sprache aber natürlich nicht erschließt) und schließen "Sen Uyurken" auf einem hohen musikalischen Level ab, zu dem neben Sanlisoys angenehmer, aber variabler Stimme auch die Leistungen seiner vier Bandmitglieder beitragen (man höre sich mal die Ebow-Arbeit von Onur Ataman in "Sen" an!). Das Ganze steckt in einem hübschen Digipack mit Prägecover, der nur leider zumindest beim Exemplar des Rezensenten mit einer wenig haltbaren Verleimung gestraft wurde, so daß sich der Bookletblock schnell vom hinteren Digipackteil zu lösen droht. Aber vielleicht ist das nur eine Einzelerscheinung - wäre doch schade, wenn ein starkes Album wie dieses an so einer technischen Lappalie scheitert. Zu jedem der Texte gibt es im Booklet übrigens auch noch eine Zeichnung von Sanlisoy - und obwohl die Eule ein ganz klein wenig Nightwish-Feeling versprüht, so ist solches in der Musik doch gänzlich abwesend. Irgendwie schade, daß es diese Scheibe nicht zu größerer Popularität in Deutschland bringen wird - die türkische Gemeinde wäre ja eigentlich groß genug, und im besten Sinne massenkompatibel ist Sanlisoys Musik durchaus, zumindest massenkompatibler als Pentagram. So bleibt "Sen Uyurken" ein Zielobjekt für Perlentaucher und ein ideales Mitbringsel von einem Türkei-Aufenthalt.
Kontakt: www.sonymusic.com.tr, www.ogunsanlisoy.net

Tracklist:
Merhem
Sonsuza
Cal
Son Defa
Sen
Isterse
Gün Olur
Onbes
Agac
 



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