www.Crossover-agm.de SBB: Iron Curtain
von rls

SBB: Iron Curtain   (Metal Mind Records)

Als polnische Band ein Album "Iron Curtain" betiteln zu wollen hätte in sozialistischen Zeiten wohl einen eher negativen Einfluß auf die Entwicklungsmöglichkeiten der betreffenden Band gehabt - aber das vorliegende SBB-Album entstand erst 2009. Wie sich die Band mit dem titelgebenden Thema auseinandersetzt, erschließt sich allerdings nur den Kennern der polnischen Sprache, denn trotz des englischen Titels ist der Text des Titeltracks wie auch diejenigen der fünf weiteren mit regulären Texten ausgestatteten Stücke in der Heimatsprache der Band gehalten. Dazu kommen noch zwei fast reine Instrumentalstücke und ein weiterer, überwiegend instrumentaler Track namens "Defilada", den die Zensur weiland auf alle Fälle nicht hätte durchgehen lassen. Verdächtig ist schon, daß er mit einem klassischen Orgelprinzipal beginnt, und ab Minute 4 mündet er schließlich in einer ausladenden Vokalise, in die immer mal das Wort "Freedom" eingeflochten ist, welches sich dann in klassischer Gospel-Manier quasi um sich selbst zu drehen beginnt und immer wieder verschieden gestaltet wird. Freilich besitzt eine solche Passage auch im 21. Jahrhundert, lange nach Ende des Kalten Krieges, immer noch genügend Sprengkraft, und auch im heutigen Polen dürfte mancher Hörer SBB darob eher nicht wohlgesonnen sein. Aber mit Problemen und Widerständen hat die Band in den Jahrzehnten seit ihrer Gründung 1969 genügend Erfahrung sammeln können. Nach etlichen De- und Reaktivierungsphasen sind sie seit 2000 nun wieder dauerhaft am Start und spielen in größeren Abständen neue Studioalben ein, deren aktuellstes ebenjenes "Iron Curtain" ist. Von der alten Besetzung finden sich noch Bandkopf/Keyboarder Josef Skrzek und Gitarrist Apostolis Anthimos wieder, während Gabor Nemeth am Schlagzeug das heutige Trio mit einer weiteren internationalen Namensausprägung komplettiert. "Iron Curtain" verlangt jedenfalls intensives Hören, da es bei oberflächlicher Begutachtung leicht durchzurutschen droht - markante expressive Passagen wie der erwähnte "Freedom"-Vokalpart in "Defilada" werden nur sparsam eingesetzt, die Produktion macht nicht so viel Druck wie bei diversen Stilkollegen, und die Sprachbarriere erschwert zudem das Einprägen der zweifellos vorhandenen Refrains. Stilistisch sind die neun Songs im Poprock mit gewisser Progschlagseite anzusiedeln, wobei man als Rahmen durchaus die Stern-Combo Meißen und Saga ansetzen kann. Gerade letztgenannte blitzen öfter mal durch: Das vom Gitarristen komponierte Fast-Instrumental "Opowiesc" hätte durchaus auch aus dem Hause Crichton stammen können ("Fast" deshalb, weil auch hier Skrzek einige Vokalisen einwirft, allerdings diesmal ohne konkreten Wortbezug), auch der kantige Opener und Titeltrack würde durchaus in diese Schule passen, während "Blogoslawione Dni" an der Grenze zwischen Psychedelic und frühem Progrock mit gewisser spaciger Tendenz lagert und Nemeth einen im Verlauf des Songs immer größer werdenden Teil der Schlagzeugspuren auf Trinidad Steel Drums einspielt. Schade, daß der Track kompositorisch nicht zu Ende geführt, sondern in einem spacigen Keyboardsolo ausgeblendet wird - gerade hier hätte man gern noch die strukturelle Klammer geliefert bekommen. Aber SBB hatten sich ja schon in den Siebzigern von den langen Epen verabschiedet, und auch "Iron Curtain" stellt keine Rückkehr zu ihnen dar - die neun neuen Songs bringen es summiert auf knapp 43 Minuten. Das schließt manch ausladenderes Element natürlich nicht aus - die Vokalisensteigerungen haben wir ja schon gewürdigt, und auch das lange Gitarrensolo von Apostolis in "Rozmowa Z Mistrzem" zeigt, daß SBB keineswegs vorhaben, in den reinen stromlinienförmigen Sektor überzuwechseln, wenngleich sich tatsächlich auch ein paar unauffällige Exempel auf der CD finden, etwa das hübsche, aber unaufregende Instrumental "Sunrise" oder das gleich folgende "Góry Tanczace", die man sich allein von den Titeln her viel expressiver gewünscht hätte. Dafür entschädigt manchen Hörer der locker-flockige Closer "Dopóki Zyje Matha Jestes Dzieckiem", während andere von dem Glöckchengeklingel im Hintergrund fürchterlich genervt sein werden. So bleibt unterm Strich ein gemischter Eindruck: SBB könnten einen Zielgruppenspagat zwischen Stromlinien- und Anspruchshörern schaffen, aber sie könnten auch zwischen den Stühlen landen. Die grundsätzliche Qualität des Gebotenen stimmt aber schon mal.
Kontakt: www.sbb.pl, www.metalmind.com.pl

Tracklist:
Iron Curtain
Defilada
Camelele
Rozmowa Z Mistrzem
Opowiesc
Blogoslawione Dni
Sunrise
Góry Tanczace
Dopóki Zyje Matha Jestes Dzieckiem



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