SBB: Amiga von rls (Metal Mind Productions)
Der musikalische Austausch zwischen den einzelnen RGW-Staaten funktionierte mal besser, mal nicht so gut. Eine der wenigen polnischen Bands, die auch in der offiziellen Musikwirtschaft der DDR arbeiteten und nicht nur, aber auch deshalb einen hohen Popularitätsgrad im deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat besaßen, waren SBB. Diese paßten in den Siebzigern bestens in die progressive Musiklandschaft, stellten quasi ein frühes Vorbild der Stern Combo Meißen dar und nahmen deren Entwicklung immer ein paar Jahre vorweg. Nachdem sie progtypisch lange Songs und ganze Suiten geschrieben hatten (das tat die Stern Combo etwa mit ihrem "Weißes Gold"-Projekt auch), verlegten sie sich auf kürzere, radiotauglichere Songs (das tat die Stern Combo in den Achtzigern auch). Einen markanten Unterschied bildete jedoch der Gesang: Hatte die Stern Combo eigentlich immer Gesang am Start (wenn auch in unterschiedlicher Dosierung - "Weißes Gold" spart über weite Strecken an Vocals), waren SBB eine Instrumentalband, die nur gelegentlich Gesang einstreute und mit diesem Stilmittel eigentlich erst auf dem hier vorliegenden Album begann. Offiziell eigentlich selbstbetitelt, bekam es unter den Anhängern schnell den Ersatztitel "Amiga" verpaßt, weil es 1977 in den Berliner Amiga-Studios eingespielt worden und auch auf dem gleichnamigen DDR-Rock-Monopollabel veröffentlicht worden war - und auf dem Cover findet sich außer dem Bandlogo und einer Art Atomstrukturzeichnung rechts oben auch der Labelschriftzug, den man quasi in den Albumtitel umdeutete. Mindestens zwölf Songs wurden in den zwölf Berliner Studiotagen eingespielt - elf landeten auf dem regulären Album, einen zwölften namens "Nervöser Nikolaus" packte Amiga auf einen 1978er Sampler namens "Hits in Instrumentalfassung", und er findet sich auf dem vorliegenden Re-Release als einer von insgesamt neun Bonustracks wieder. Rein stilistisch behielten SBB ihre Progwurzeln bei, aber sie kanalisierten ihre Ideen in kürzeren, radioformattauglichen Songs (nur vier der elf regulären Songs erreichen die Vierminutenmarke), und man hatte trotzdem nie das Gefühl der künstlerischen Amputation. Das liegt möglicherweise daran, daß Seinerzeit-Alleinkomponist Józef Skrzek in den Songs immer noch sehr viel passieren ließ, wenn auch auf engerem Raum. War er der Meinung, eine bestimmte Stilistik würde in einen Song passen, dann baute er sie ein - so beruht "Tumba" beispielsweise auf afrikanischer Rhythmik samt entsprechender Stammesgesänge, Jazz ist naturgemäß sehr weit verbreitet, und "Ouzo" hat titelgemäß ein wenig griechischen Alkohol intus, während sich an vielen anderen Stellen Funk ausbreitet und "Hektik" gleich mal komplett so klingt, wie es heißt, wobei man diese Aussage vor dem Hintergrund der Entstehungszeit betrachten muß - im Vergleich mit dem, was die Mathcore-Extremisten heute tun, geht "Hektik" fast als glatter Pop durch. "Mutraczka" wiederum, das der Gitarre von Apostolis Anthimos einen breiteren classicrockigen Raum überläßt, findet eine überraschende Parallele in Led Zeppelins "All My Love", nur eben instrumental und vom Grundsatz her etwas schneller. Von den beiden Gesangstracks wurde "I Wonder Why" englisch betextet, "Unterbrochene Erotik" dagegen trotz des deutschen Titels polnisch; den Gesang übernahm in beiden Fällen Skrzek selbst. Überhaupt tragen einige der Songs dieser Amiga-Session deutsche Titel, etwa gleich der Opener "Tanzbar", der durchaus programmatisch zu verstehen ist, denn prinzipiell tanzbar ist das Material durchaus, und man wird nicht alle drei Sekunden von einem Tempowechsel ausgehebelt - im Gegenteil: SBB kultivieren gelegentlich gar eine ausgespielte Rhythmusmonotonie, über der sich die Klangflächen und -elemente nur ganz allmählich ändern. Damit nehmen sie praktisch Stilelemente vorweg, die später in Genres wie dem Ambient weiterentwickelt und übertrieben wurden. "I Wonder Why" hätte statt dessen auch auf ein Saga-Album der Frühzeit gepaßt.
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