www.Crossover-agm.de ALINA ROTARU: Johann Jacob Froberger - Suiten & Toccaten
von rls

ALINA ROTARU: Johann Jacob Froberger - Suiten & Toccaten   (Carpe Diem Records)

Bekanntlich existiert kein Musiker im quasi luftleeren, also von anderen Musikern völlig unbeeinflußten Raum - das ist heute nicht so und war auch in der Vergangenheit nicht der Fall, selbst bei Koryphäen wie dem großen Johann Sebastian Bach nicht, der seine Einflüsse beispielsweise von Girolamo Frescobaldi bezog, und zwar auf zwei verschiedenen Wegen: einerseits aus Frescobaldis Werken direkt, andererseits aus den Werken eines anderen Musikers, der 1637 bis 1640 in Rom lebte und dort eine maßgebliche Prägung durch Frescobaldi erfuhr: Johann Jacob Froberger, seines Zeichens kaiserlicher Hoforganist in Wien unter Ferdinand III. und dessen Nachfolgern. Froberger gehörte zu den mobilsten Musikern des 17. Jahrhunderts: Trotz seiner Festanstellung am habsburgischen Hof schaffte er es immer wieder, mit kaiserlicher Erlaubnis (und aus kaiserlicher Schatulle bezahlt) längere Auslandsreisen zu unternehmen, nach der erwähnten Romreise beispielsweise noch eine zweite mit gleichem Ziel (bei der er allerdings Frescobaldi nicht mehr lebend antraf, aber mit Giacomo Carissimi und Athanasius Kircher andere wichtige Impulsgeber fand), und auch in Frankreich hielt er sich geraume Zeit auf, was maßgeblichen Einfluß auf sein kompositorisches Schaffen haben sollte. Von diesem ist in Druckform so gut wie nichts erhalten geblieben, aber dafür einiges in Manuskriptform oder als Abschriften, freilich weit verstreut - eine Aufgabe für die Freunde der Suche einer sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen, aber zumindest in bezug auf die Tastenmusik schon recht häufig von Erfolg gekrönt, während man beispielsweise von seinem vermuteten Vokalwerk bisher noch so gut wie gar nichts kennt.
Die Cembalistin Alina Rotaru widmet sich auf ihrer zweiten Solo-CD nun einem Einblick in das Schaffen Frobergers für dieses Instrument, der mit fünf Suiten, drei Toccaten, einem Ricercar und einem Tombeau bestückt ist und knapp 64 Minuten dauert. Und schnell fällt auf, daß die Rumänin eine besondere Auswahl getroffen hat, nämlich eine Art "The dark side of Froberger". Hatte sie schon auf ihrer Sweelinck-CD ein besonders gutes Händchen für die Ausgestaltung angedüsterter Zwischentöne bewiesen, so kommt diese Fähigkeit, nicht zuletzt wohl ausgeprägt durch Hörerfahrungen auch in anderen Bereichen düsterer Musik, auch auf der neuen CD wieder zum Tragen. Schon Johann Mattheson hatte im Hinblick auf diese Stücke gefordert, "daß man sich an den Tact gar nicht binden dürffe", und diese Maßgabe erfüllt die Cembalistin, wenn sie hier Nuancen von feinstem Grau bis zum tiefsten Schwarz aus dem musikalischen Material herausfeilt. Programmatisch fängt die CD auch noch mit dem "Tombeau fait à Paris sur la mort de monsieur Blancheroche" an, also einer Totenklage für einen Pariser Freund Frobergers, der nach einem Kurtisanenbesuch eine Treppe hinuntergefallen und dabei ums Leben gekommen war. Im besten Sinne von Programmusik setzt Froberger den Sturz auch noch überdeutlich in Töne um - das hätte anderthalb Generationen später Johann Kuhnau in seinen "Biblischen Sonaten" nicht anders gehandhabt. Und schon die ersten Töne des "Tombeau" in der Rotaru-Interpretation machen dem Hörer klar, daß er sich hier auf ein intensives Hörerlebnis einstellen darf (oder muß - je nach Erwartungshaltung). Nun sollte keiner vermuten, daß die Cembalistin in trauerklößiger Art und Weise durch das Material schleicht - wenn Froberger hopsende Fröhlichkeit konzipiert, dann setzt sie die auch um, wie etwa in der Gigue aus Suite II. Aber die besondere Tiefgründigkeit gibt es eher in den langsamen Sätzen zu entdecken, etwa im Eröffnungssatz der Suite XII, der an die Stelle der zu erwartenden Allemande ein Lamento setzt, das den Tod von Kaiser Ferdinand IV. betrauert, dessen Seele aber mit einer langen aufsteigenden Linie langsam, aber stetig zum Schluß in himmlische Sphären entschweben läßt. Als nicht zufällig hätte man den Fakt ansehen können, daß auf dieser CD ausschließlich Suiten stehen, die nicht die schnelle Gigue als Schlußsatz stehen haben, wie dies in der Suitenkomposition normal war, sondern diese ins Innere der Suite schieben und die langsame Sarabande ans Ende stellen - wenn, ja wenn das nicht in allen Suiten Frobergers der Fall wäre, also eine durchgängige und nicht situationsbezogene künstlerische Absicht darstellt. Daß der gebürtige Stuttgarter aber natürlich auch lebendige italienische dolce vita umsetzen kann, hören wir auf der CD schön in Toccata XIX, von der Cembalistin natürlich auch mit entsprechendem Esprit gespielt. Gewisse Tugenden des Albumvorgängers kommen auch auf der Froberger-CD zum Tragen, wozu beispielsweise der enorm hohe Lautstärkepegel der wieder von Carpe-Diem-Labelchef Jonas Niederstadt getätigten Aufnahme, der eine viel bessere Ausjustierung auch an der durchschnittlichen Heimstereoanlage ermöglicht, gehört, ebenso die geschmackvoll-düstere Gestaltung des Digipacks. Zum Einsatz kommt diesmal allerdings kein Nachbau eines historischen Instruments, sondern ein echtes altes Exemplar: das Ruckers-Cembalo von 1632 im Museum für Kunst und Geschichte in Neuchatel (Schweiz), das 1745 erweitert wurde, und zwar so, daß der alte Teil vollständig erhalten blieb, was im historischen Interpretationssinn weitreichende Möglichkeiten eröffnet, die Alina Rotaru hier mit offensichtlicher Gestaltungsfreude nutzt und damit die dynamische Begrenztheit des Cembaloklangs, der in der Natur der Sache liegt, locker kompensiert. So entsteht wiederum ein interessantes Hörerlebnis, das entdeckungsfreudigen Freunden Alter Musik bedenkenlos ans Herz gelegt werden kann.
Kontakt: www.alina-rotaru.de, www.carpediem-records.com

Tracklist:
Johann Jacob Froberger:
Tombeau fait à Paris sur le mort de monsieur Blancheroche FbWV 632
Suite für Cembalo XIX FbWV 619:
  1. Allemande
  2. Gigue
  3. Courante
  4. Sarabande
Toccata Nr. II d-Moll FbWV 102
Suite für Cembalo II FbWV 602:
  1. Allemande
  2. Gigue
  3. Courante
  4. Sarabande
Suite für Cembalo XII FbWV 612:
  1. Lamento
  2. Gigue
  3. Courante
  4. Sarabande
Suite für Cembalo XIII FbWV 613:
  1. Allemande
  2. Gigue
  3. Courante
  4. Sarabande
Ricercar VII FbWV 407
Toccata XIX
Suite für Cembalo XIV FbWV 614:
  1. Lamentation
  2. Gigue
  3. Courante
  4. Sarabande
Toccata XI (alla levazione) FbWV 111
 




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