www.Crossover-agm.de ALINA ROTARU: Fortune My Foe
von rls

ALINA ROTARU: Fortune My Foe   (Carpe Diem Records)

Die "Früher war alles besser"-Fraktion neigt bekanntlich zur unkritischen Verklärung der verschiedensten historischen Epochen, speziell des Mittelalters, dessen angenehme Seiten auf zahllosen rezenten Festivitäten dargestellt werden, während man die weniger angenehmen Seiten geflissentlich ausblendet. Das "Carpe Diem"-Motto, das im vorliegenden Fall sogar den Labelnamen hergegeben hat, besitzt zwar auch noch heute prinzipielle Gültigkeit, da niemand weiß, wann der grimme Schnitter vor einem stehen und einen zum Mitkommen auffordern wird, aber das Gefahrenpotential war in der Vergangenheit in bestimmten Kontexten noch deutlich größer als heute. Klarer Fall, daß sich auch viele Künstler mit düsteren Themen auseinandergesetzt und diese beispielsweise in Musik gegossen haben. Auch im Schaffen des Niederländers Jan Pieterszoon Sweelinck (1562-1621) ist dieser Zug deutlich spürbar, und die in Rumänien geborene, aber schon längere Zeit in Bremen lebende Cembalistin Alina Rotaru arbeitet ihn auf ihrer vorliegenden ersten Solo-CD besonders deutlich heraus. Schon die Titelwahl ist programmatisch: "Fortune My Foe", in Sweelincks Bearbeitung "Engelse Fortuijn" betitelt, wurde in England traditionell bei Hinrichtungen gespielt, und auch Werkbezeichnungen wie "Mein junges Leben hat ein End" oder "Paduana Lachrymae" sprechen diesbezüglich Bände. Freilich erschöpft sich diese Sweelinck-Werkschau nicht im düsteren Bereich: Die "Pavana Hispanica" basiert auf einem englischen Thema (wie vieles bei Sweelinck, der quasi der Hauptvertreter der von den englischen Virginalisten gepflegten Kunst in Kontinentaleuropa war), packt aber einen gewissen südländisch-lockeren Grundton mit rein, der mit zunehmender Dauer des Stückes immer deutlicher hervortritt (man vergegenwärtige sich, daß die Niederlande damals noch spanisch besetzt waren), und auch die Eleganz des folgenden "Balleth Del Granduca" läßt eher an ein höfisches Fest als an den Morgen danach denken. Ebenso besingt das Volkslied "Unter der Linden grüne", in Sweelincks Bearbeitung "Onder een linde groen", Jahreszeiten, in denen man eher an Fortpflanzung als ans eigene Ende denkt, wenngleich der leicht melancholische Grundton hier schon wieder mitschwingt: Die Linde wird irgendwann eben doch nicht mehr grün sein. Für solche "Zwischentöne" hat Alina Rotaru ein goldenes Händchen, und das macht das Durchhören der knapp 50 Minuten zur Freude, auch dann, wenn man gerade weder frisch verliebt ist noch kurz vorm Einfahren in den Zweimeterstollen steht. Die Hörerfahrung der Cembalistin auch in anderen Bereichen eher düster ausgeprägter Musik merkt man ihrer Gestaltung der düsteren Sweelinck-Passagen allerdings deutlich an, wie gleich ein Hineinhören in die ersten Sekunden der eröffnenden "Fantasia Chromatica à 4" deutlich macht: Die chromatische Linie quält sich förmlich nach unten und entfaltet gerade dadurch ihre niederschmetternde Wirkung erst richtig. Die eher begrenzten dynamischen Möglichkeiten des Cembalos, die in der Natur der Sache liegen (hier im Einsatz: ein 2004er Nachbau eines Ruckers-Instrumentes, also in Sweelincks Zeit zurück verweisend), können durch diese detailreiche Gestaltung ihren Schrecken auch für den Nicht-Cembalo-Spezialisten verlieren, der die Stücke vielleicht lieber auf einer Orgel gehört hätte (Sweelinck spielte beides, und die Anpassung von Stücken an andere Besetzungen und/oder Instrumente war zu seiner Zeit und noch lange danach gang und gäbe, da man sich ja jeweils danach richten mußte, was bzw. wer gerade zur Verfügung stand). Und wie Rotaru die "Fantasia Chromatica" dann im förmlichen Nichts enden läßt, das ist schon große Klasse, unbestritten. Das gleiche Urteil kann man auch auf die verzweifelt-rasenden Passagen in "Mein junges Leben hat ein End'" und viele andere Stellen der CD übertragen. Nach neun Sweelinck-Stücken bekommt man zum Schluß noch drei aus seinem Umfeld geboten, wobei die kurzen Variationen über "Malle Sijmen" interessanterweise eine Sweelinck-Werkverzeichnis-Nummer tragen. Auch das letzte Stück der CD hat eine direkte Beziehung zu Sweelinck: John Bull schrieb es als Trauermusik nach dem Tod seines Kollegen. Und so wie die "Fantasia Chromatica" den Hörer abwärts führt, so tut Bulls Fantasie & Fuge das auch und bildet einen dunkel leuchtenden Rahmen um die CD. Daß sowohl Tonmeister/Labelchef Jonas Niederstadt als auch Rotaru selbst zu einer jüngeren Künstlergeneration mit Hörerfahrungen auch in anderen Musikbereichen gehören, merkt man übrigens am enorm hohen Lautstärkepegel der CD. Die äußerst geschmackvolle Bookletgestaltung, in der Efeu programmgemäß eine nicht unwesentliche Rolle spielt, rundet dieses kleine Juwel perfekt ab.
Kontakt: www.alina-rotaru.de, www.carpediem-records.com

Tracklist:
Jan Pieterszoon Sweelinck:
Fantasia Chromatica à 4
Puer Nobis Nascitur
Pavana Hispanica
Balleth Del Granduca
Onder een linden groen
Fortune My Foe (Engelse Fortuijn)
Paduana Lachrymae
Ach Gott vom Himmel sieh darein
Mein junges Leben hat ein End'

Toccata in d
Malle Sijmen
Fantazia op de Fuga van M: Jan Pieters. Fecit Dr. Bull 1621
 




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