www.Crossover-agm.de NORTT: Galgenfrist
von ta

NORTT: Galgenfrist   (Avantgarde Records)

Um Nortt ist besonders in der Black Metal-Szene ein regelrechter Hype entstanden und der Sound des dänischen Einmann-Projekts wird als die Doom Black-Übermusik schlechthin abgefeiert. Kann das? Soll das? Darf das? M.E. ja, aber nur zu 75%. Nortt ist - ich werde, weil die Band fehlt, im Singular bleiben - gut, sticht hervor, aber zur Übermusik fehlt noch etwas.
Was ist Nortt? Zuerst einmal primitiv, was ich ohne pejorativen Unterton meine. Nortt kennt 1. schlicht überhaupt keine Gitarrenriffs. Die verzerrte, kellertiefe Gitarre spielt durchgängig nur einen Akkord an, höchstens zwei, auf dem bzw. denen sich ein Keyboardthema entfaltet. "Entfaltet" ist schon zuviel gesagt, aber immerhin gibt es identifizierbare Melodielinien, die von einem Keyboard mal in flächig-gothischen Sounds (höre etwa "Over Mit Lig"), mal kraft Piano-Imitat (höre etwa "Af Dode") vorgetragen werden. 2. Nortt beschränkt sich gesanglich auf in den Hintergrund gemischte, gelegentlich auftretende Kreischröchler, der längste Text hat ganze neun Verse. Gesungen wird übrigens auf Dänisch, aber davon bekommt vermutlich nicht mal ein Muttersprachler etwas mit. 3. Das Schlagzeug bewegt sich am untersten Rand dessen, was im Funeral Doom an Simplizität überhaupt möglich ist: Bassdrum, kurzes Klingeln auf dem Ride, Snare, das alles natürlich in Schneckentempo. Breaks? Spielereien? Fehlanzeige.
Das alles schadet aber oberflächlich gesehen überhaupt nicht. Nortt ist schlicht nicht darauf angelegt, sich strukturell in das gewohnte Funeral Doom-Gitarrengewitter einzupassen, geschweige denn technisch vordergründig zu agieren. Stattdessen besorgt der extreme Minimalismus zweierlei: Erstens eine Reduktion der Hörerkonzentration auf die vom Keyboard vorgegebenen Themen. Zweitens eine Reduktion der Hörerkonzentration auf den durch die Sounds hervorgerufenen Gesamteindruck. Zu beiden Komponenten - Melodiethemen und Sounds - fällt mir dasselbe ein: Dunkelheit, Hoffnungslosigkeit, Nihilismus, Lebensüberdruss. Die Reduktion auf diese Komponenten ist es wohl auch, die im Zusammenhang mit Nortt immer die Stilbezeichnung "Ambient" aufkommen lässt. Wenn es minimalistisch und atmosphärisch wird, ist Ambient eben nicht weit. Ein ganz gitarrenloses Stück wie "Kaldet", das aus einem einzigen Keyboardakkord besteht, ist kein Stilbruch, sondern eine konsequente Fortführung dessen, was hier ohnehin schon angelegt ist.
Weil Nortt den Minimalismus so konsequent umsetzt, sticht Nortt hervor, schon innerhalb der Funeral Doom-Sparte, die recht gitarrendominiert ist, darüber hinaus ohnehin. Warum dann aber nur 75% Hype-Berechtigung? Weil nichts übrig bleibt, wenn man den Effekt wegnimmt. "Galgenfrist" ist ganz bewusst ein sehr auf den Effekt des Extremerscheinens hin angelegtes Album: Extrem langsam, extrem primitiv. Wenn man sich jedoch von der Wucht dieses Effekts löst (d.h., wenn man das Album ein paar Mal gehört und das Extrem verinnerlicht hat), ist das Bild eher ernüchternd: Die Melodiethemen sind mäßig spannend, die Sounds wiederholen sich; tatsächlich passiert kaum etwas, das auf irgendeiner anderen Ebene funktioniert als auf der affektiven, vom Effekt überrollten. Eine tatsächliche Überband des Funeral Doom wie Esoteric ist Nortt hier meilenweit voraus.
Deshalb: "Galgenfrist" ist ein extremes, dunkles, hörenswertes Ambient Funeral Doom-Album. Aber nicht mehr. Anspieltipp: "Havet Hinsides Havet".
Kontakt: www.nortt.dk

Tracklist:
1. Galgenfrist
2. Til Gravens Vi
3. Af Dode
4. Kaldet
5. Over Mit Lig
6. Havet Hinsides Havet
7. Hjemsogt
 




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