www.Crossover-agm.de NEURONIA: The Winter Of My Heart
von rls

NEURONIA: The Winter Of My Heart   (Eigenproduktion)

Diese Truppe hier ist nicht mit den ähnlich benannten Darmstädtern Neronia zu verwechseln, denn obwohl beide sich durchaus vom stromlinienförmigen Musizieren im härteren Bereich fernhalten, tun sie das doch von recht unterschiedlichen Standorten aus, wenngleich auf durchaus vergleichbare Weise. Während Neronia ihren klassischen Progrock mit einigen externen Elementen anreichern, agieren Neuronia von einer schwer definierbaren Basis aus. Die Encyclopedia Metallum nennt sie Melodic Death Metal, aber von dessen Göteborg-Ausprägung, die traditionellen Metal um Death-Elemente erweitert, sind die Polen ebenso weit entfernt wie von Combos der Marke Pantokrator, die klassischen Death Metal mit Melodien anreichern. Böse Zungen könnten von Metalcore sprechen, aber auch hier gehören Neuronia, wenn überhaupt, einer nur schwer definierbaren Subsparte an. Der eröffnende Titeltrack mutet noch am konventionellsten an, aber schon er deutet mit dem leicht psychedelischen Touch der Leadgitarren an, daß hier noch mit mancherlei Überraschungen zu rechnen sein wird. Das leicht vertrackte Drumming, das schon hier phasenweise auffällt und eine fast numetallische Nervosität versprüht, wird beispielsweise über weite Strecken der CD erhalten bleiben, aber im richtigen Moment weiß sich Drummer Lukasz Szewczyk auch zu bremsen und legt passende geradlinige Rhythmen unter die Musik seiner Kollegen. Die schrecken auch nicht vor Orgelklängen und spacigen Keyboardeffekten ("Lonely Home") zurück, werfen in "Passing Time" den Windmotor an, lassen in "Mad Druids Dance" ganze Insektenschwärme fliegen und sampeln in "March Of The Damned" gar irgendwelche altertümlichen Soldatengesänge mit marschartigem Grundrhythmus ein, wobei allerdings der Text nicht eindeutig zu verstehen ist (er ist im Gegensatz zu den regulären Lyrics aller Songs auch nicht im Booklet abgedruckt), so daß seine Bedeutung nicht eindeutig entschlüsselbar ist, zumal sich der reguläre Songtext nur allgemein mit Sinn und Unsinn des Ziehens in den Krieg beschäftigt, aber nicht auf konkrete historische Ereignisse verweist. Immerhin ist dieser Text noch als wohlformuliert zu betrachten, während andere doch nochmal von einem Muttersprachler hätten kontrolliert werden sollen - Tomasz Nowak, Sänger und fast Alleintexter ("Mad Druids Dance" greift auf Folklore zurück), hat da hier und da doch ein paar Merkwürdigkeiten eingebastelt. In der Gesamtbetrachtung wirkt sein Gesang auch ein wenig als Schwachstelle Neuronias, denn im Vergleich mit der doch recht vielschichtigen Musik agiert der Sänger etwas zu eindimensional. Die fast wie gesprochen wirkenden Passagen in "Mad Druids Dance" und der leicht zurückgenommene Gestus in den zurückhaltenderen Teilen von "Thank You" gehen da schon als Gipfel der Vielseitigkeit durch, ansonsten mutet der herbe Brüllgesang doch etwas limitiert an (wer die Randruhrgebietler Inner Fear noch kennt, wird gewisse Parallelen ziehen können, die sich allerdings nicht auf den instrumentalen Unterbau beziehen), wenngleich er zu guten Teilen der härteren Passagen durchaus nicht schlecht paßt. Aber da Tomasz mittlerweile nicht mehr zur Band gehört, kann sich die Lage auf den beiden zwischenzeitlich erschienenen jüngeren Tonzeugnissen der Band durchaus schon wieder geändert haben, und bei der EP "Insanity Relapse" ist es auch für den geneigten Hörer nicht schwer, das nachzuprüfen, denn diese kann bei Bandcamp kostenlos heruntergeladen werden. Überhaupt hat sich die Besetzung mittlerweile fast komplett geändert - von der "The Winter ..."-Mannschaft ist auf der EP nur noch Gitarrist Michal Rogala dabei, auch Gründungsmitglied und zusammen mit Drummer Lukasz bei den hier vorliegenden 12 Songs auch zentraler Songwriter. Nur je einmal bekommen Sänger Tomasz und Basser Dominik Beska Co-Composer-Credits, und einer der 12 Songs entstammt komplett fremder Quelle. Wer die Beschreibung bis hierher gelesen hat, erwartet jetzt etwas Außergewöhnliches, und er wird nicht enttäuscht: Für eine Punkband wäre ein Ramones-Cover natürlich Alltag, für eine Band vom Schlage Neuronias geht die Wahl von "Pet Sematary" aber wieder schon fast als progressiv durch. Und sie verpassen dem Song natürlich auch wieder eine etwas psychedelische Note. Das halbakustische "Demon's Kiss", in dem Tomasz passenderweise eher flüsternde Laute von sich gibt und das auch gut zu Lake Of Tears gepaßt hätte, schließt eine knappe Stunde interessanter Musik (die auch Neueinspielungen aller drei Songs der ein Jahr zuvor erschienenen Demo-EP "First Blood" einschließt) aus Polen ab, die man sich als entdeckungsfreudiger Hartwurstfreund gern ins Regal stellen darf und die für eine Eigenproduktion auch noch eine sehr professionell wirkende Optik an den Tag legt. Schlußendlich darf man über den hintergründigen Witz des Covers grübeln ...
Kontakt: www.neuronia.pl

Tracklist:
The Winter Of My Heart
March Of The Damned
Lonely Home
Passing Time
Pet Sematary
Psycho
Mad Druids Dance (Old Poem)
Satan's Call
Thank You
Freedom
Binary World
Demon's Kiss



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