www.Crossover-agm.de MEGADETH: Dystopia
von rls

MEGADETH: Dystopia   (Universal)

Ein bißchen mutete es ja wie ein Treppenwitz an: Seit "Cryptic Writings" und "Risk", den beiden letzten Megadeth-Alben des vorigen Jahrtausends, spätestens aber seit dem 2001er "The World Needs A Hero"-Werk, betonten Dave Mustaine selbst und auch die zuständigen Promoter, daß sich die Band nun aber definitiv auf ihre thrashigen Anfänge zurückbesinnen würde. Hörte man sich die betreffende Platte dann an, fand man meist auch tatsächlich einen oder zwei Songs, die den mehr oder weniger geglückten Versuch unternahmen, die alten Techno-Thrash-Tage wiederzubeleben (den jüngeren Lesern sei gesagt, daß man "Techno" hier nicht mit dem gleichnamigen Elektronikgenre verwechseln darf, das erst später so bezeichnet wurde), während der Rest entweder der spätestens mit "Countdown To Extinction" eingeschlagenen melodischeren Metal-Variante frönte oder den abermals mehr oder weniger geglückten Versuch unternahm, neuere metallische Spielarten zu erkunden. Besagter Treppenwitz ermüdete so manchen Anhänger irgendwann, und auch der Rezensent hat etliche Jahre lang kein Megadeth-Album mehr im Player gehabt, obwohl beispielsweise "Endgame" noch hier auf dem Stapel der Ungehörten liegt. Nun kommt "Dystopia" daher, das sich der Rezensent privat zugelegt hat - er hat also kein Promoblatt vorliegen und, da er mit Zeitschriftenablesen arg hinterherhängt, bisher auch noch kein Interview zur Platte gelesen, kann sich also erstmal völlig unbeeinflußt ein Bild machen. Und das fällt, soviel ist schnell klar, ziemlich positiv aus. Zwar machen Megadeth nichts grundsätzlich anderes als auf vielen anderen Platten der Post-"Youthanasia"-Phase - aber erstaunlicherweise ergibt das, was sie in den knapp 47 Minuten machen, durchaus Sinn. Der Opener "The Threat Is Real" etwa reminisziert tatsächlich die ganz alten Zeiten, der folgende Titeltrack paßt in die melodischere Schiene, obwohl auch er im Solo eine heftigere Passage eingepflanzt bekommen hat, und das darauffolgende "Fatal Illusion" ist man beinahe in die numetallische Ecke zu stecken geneigt, ehe nach dem lange ausgespielten doomlastigen Intro doch noch ein traditionellerer Powerthrasher mit melodischer Schlagseite um die Ecke gebogen kommt. Die neuzeitlichen Experimente beschränken sich diesmal generell also auf wenige Momente, wie auch gleich im folgenden "Death From Within" wieder deutlich wird, wo es sich um das verzerrte Intro handelt, bevor abermals eher die alte Schule mit melodischer Ausbaustufe Raum gewinnt, wobei freilich der Refrain eher seltsam strukturiert wurde und die mögliche Eingängigkeit entweder bewußt oder fahrlässig verschenkt wurde. Apropos Melodik: Der beste Sänger des Universums war Dave Mustaine bekanntlich nie, aber ein gewisses Melodiehaltevermögen konnten ihm selbst die bösartigsten Kritiker nicht absprechen. Hat man nun aber "Dystopia" als erstes Megadeth-Album seit langem im Player, erschrickt man im Opener erstmal, ob das wirklich Mustaine ist, der da singt - tief, rauh und mit gewissen Unsicherheiten, wie er mit seiner heutigen Stimme den 30 Jahre älteren Eindruck erzeugen soll. Höhere Gefilde meidet der Sänger auch in den Folgenummern konsequent, wohl in der Einsicht, daß er die ja dann auch live bringen müßte, aber er gewinnt scheinbar mehr Sicherheit im Umgang mit der eigenen Stimme und der Kombination derselben mit den Stilelementen, die an die erste Dekade der Bandexistenz erinnern. Daß wiederum die Gitarrenarbeit zum Allerfeinsten zählt, was man im Metal so finden kann, ist seit Jahrzehnten bekannt und auch auf "Dystopia" nicht anders, zumal Mustaine in seiner x-ten Besetzung abermals einen Könner neben sich weiß: Kiko Loureiro, den metallischen Gourmets von Angra gut bekannt. Der Brasilianer hat auch drei Songs mitgeschrieben, die interessanterweise in der Albummitte gleich hintereinander stehen. Ob die auffällige Verbreitung von Akustikgitarrenelementen in diesen Songs Loureiros Idee war? "Post American World" jedenfalls bietet Halbakustikteile im Hauptsolo, "Poisonous Shadows" ein komplettes Akustikintro, das in eine auch sonst ungewöhnlich strukturierte Nummer überführt: Die Einflechtung von Orchesterelementen war zumindest im dem Rezensenten bekannten Teil des Megadeth-Schaffens ungebräuchlich, aber Loureiro bringt von Angra ja jede Menge Erfahrung mit solchen Stilistika mit. Und das sanfte Klavieroutro dieser insgesamt eher hymnischen Nummer leitet in "Conquer Or Die!" über, zunächst abermals lange Zeit ein reines Akustikgitarreninstrumental, das dann aber doch von einem derben Hauptriff wirkungsvoll konterkariert wird und woraus sich ein richtig starkes Metal-Instrumental entwickelt, das an dynamischer Spannkraft zunimmt und eine absteigende Glockenfolge als markantes Strukturelement verwendet. Spätestens im Titelwortspiel "Lying In State" wird dann auch klar, daß Mustaine seine gesellschaftskritische Lyrik weiterhin pflegt, und die düstere, wenngleich noch nicht komplett dem Untergang geweihte optische Welt, welche die Albumgestaltung zeigt (Vic Rattlehead muß sich als Endzeitkämpfer mit einer Art fliegenden Mega-Nanorobotern auseinandersetzen, hat aber versehentlich oder absichtlich auch den Kopf einer biomechanischen Freiheitsstatue mit abgeschlagen), macht das gleichfalls klar, wobei gewisse Ähnlichkeiten mit Heathens "The Evolution Of Chaos" sicherlich nicht zufällig sind. Während "Lying In State" nochmal relativ viel Druck macht, fährt "The Emperor" auf der melodischeren Schiene, und das nicht mal zweieinhalbminütige "Foreign Policy" schließt das Album nochmal thrashiger, aber trotzdem nicht die Rabiatheit des Openers (der in diesem Punkt einzigartig auf dem Album bleibt) erreichend ab. Ob es Zufall ist, daß die Lyrics zu allen Songs im Booklet abgedruckt wurden, nur die zu "Foreign Policy" nicht? Wie auch immer: Neuartige Großtaten vollbringt "Dystopia" nicht, ein starkes Megadeth-Album aber ist's allemal.
Kontakt: www.megadeth.com, www.universalmusicenterprises.com

Tracklist:
The Threat Is Real
Dystopia
Fatal Illusion
Death From Within
Bullet To The Brain
Post American World
Poisonous Shadows
Conquer Or Die!
Lying In State
The Emperor
Foreign Policy
 




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