www.Crossover-agm.de MAYFAIR: Behind...
von rls

MAYFAIR: Behind...   (Pure Prog Records)

Es muß 1994 gewesen sein, als ein Freund des heutigen Rezensenten dem damals Noch-nicht-Rezensenten berichtete, er habe in einem Plattenladen (einem richtigen Plattenladen - damals gab es so etwas noch) eine CD namens "Behind..." von einer ihm bis dato völlig unbekannten Band namens Mayfair gesehen, deren Cover ihm gleich aufgefallen wäre; er habe dann hineingehört und sich zum Kauf entschlossen, weil ihm auch das Gehörte sehr zusagte, obwohl er sonst eher dem traditionelleren Metal zugeneigt war und mit Progmetal eher weniger anzufangen wußte. Der Noch-nicht-Rezensent durfte leihweise auch am Hörgenuß teilhaben, und auch ihm gefiel diese völlig eigentümliche Sorte von Musik, die vielleicht am ehesten als eine metallisierte Version von Rush zu beschreiben wäre, was er damals freilich noch nicht tun konnte, weil er Rush damals zwar vom Hörensagen kannte, aber noch keine Tonträger von ihnen besaß, was sich in den seither vergangenen zwei Dekaden natürlich massiv geändert hat. Nicht geändert hat sich dagegen die Einschätzung des heutigen Rezensenten, was das nunmehr wiederveröffentlichte "Behind..." angeht: eine seltsame, aber brillante Art von Musik, ein seltsam verträumter Progmetal mit einer völlig eigenständigen Atmosphäre, zu der gleich mehrere Faktoren beitragen. Da wäre die vielseitige Stimme von Sänger Mario, der relativ hoch und irgendwie nasal singt, sich bedarfsweise auch in Falsettlagen der Marke King Diamond hocharbeiten kann (und man höre sich mal genau das Gelächter in "Generation Isolated" an!), aber auch in seinen angestammten Lagen eine enorme Vielseitigkeit an den Tag legt und sprachlich zudem zwischen deutschen und englischen Lyrics pendelt, freilich in beiden Sprachen alles andere als simpel, dafür zum intensiven Eindringen auffordernd. Da wäre das Brüderpaar Mötle und Little an Baß respektive Schlagzeug, das einen rhythmisch sehr vielseitigen, aber nicht chaotisch wirkenden Unterbau der Songs erzeugt, wobei Mötle eine sehr große Bedeutung als Zweitstimme in Leadgitarrenpassagen zukommt. Da wäre dann noch Gitarrist René, der für Metalverhältnisse sehr oft auf die Akustikgitarre herunterschaltet und dann bisweilen ganz leichte Wave-Eindrücke ins Leben ruft, beispielsweise in "Madame Pest", der aber in den harten Passagen einen ganz eigentümlichen Leadgitarrensound fährt (und die Leadmelodien übernehmen ganz klar die dominante Rolle, knackiges Riffing gibt es nur selten, so beispielsweise ebenfalls in "Madame Pest"), welcher für die Frühneunziger progmetaluntypisch seine Vorbilder eher im Düstermetalbereich fand, beispielsweise auf Tiamats "The Astral Sleep" oder gar in diversen frühen Black-Metal-Veröffentlichungen, wo er gern als Rasierapparatsound geschmäht wurde. Hier allerdings trägt er schon im eröffnenden Titeltrack sein Scherflein zu diesem speziellen Reiz bei, der den sechs Songs entströmt und sie auch zwei Dekaden später im "Anything Goes"-Zeitalter noch einzigartig macht - dem Rezensenten fällt jedenfalls auch heute noch keine Band ein, die einen Direktvergleich mit "Behind..." erlauben würde, ohne gewisse Einschränkungen bzw. Abgrenzungen vorzunehmen. Daß die Scheibe nicht mal eine halbe Stunde lang war, ging angesichts der Ideendichte und der komplexen Nachvollziehsituation als unproblematisch durch, da man hier mehr Ideen und Nachhakaspekte entdeckte als im Gesamtschaffen diverser anderer Bands. Trotzdem verpaßten sowohl der Rezensent als auch sein Freund die Mayfair-Folgetonträger "Die Flucht" und "Fastest Trip To Cyber Town", und irgendwann gab es die Band dann nicht mehr.
Nun liegt "Behind..." also als Wiederveröffentlichung vor, nachdem es lange Zeit quasi unauftreibbar gewesen war, da die Originalpressung der Schweizer von Witchhunt Records (einem Trüffelschwein der Frühneunziger, was avantgardistisch angehauchten Metal anging - metallische Gourmets erinnern sich sicherlich noch an das Paramaecium-Debüt "Exhumed Of The Earth" oder die Alben von Dark Reality mit ihrem für damalige Zeiten unerhörten Holzbläsereinsatz) längst vom Markt verschwunden war. Eine kleine Enttäuschung bietet sich gleich auf den ersten Blick: Das beeindruckende Gewitterfront-Originalcover ist nicht am Start, allerdings wurde es wenigstens durch ein ähnlich interessantes, wenn auch anders gelagertes Cover ersetzt, eine wohl in Kleinasien anzusiedelnde Landschaft mit einer Kirchenruine vor einer Hügelkette, alles in einer Mixtur aus herbstlicher und historisierend-vergilbter Farbgebung. Leider gibt das Booklet keine nähere Auskunft zur Herkunft des neuen Covers, und auch ansonsten ist es informativ stark gespalten: Es wimmelt von historischen Fotos, auch Ausschnitte der Texte sowie von Rezensionen und Fanpost sind abgebildet - aber man erfährt nichts über die originalen Produktionsumstände und nicht mal die Namen der Bandmitglieder, obwohl diese nicht nur in 24facher Ausfertigung unter den beiden CD-Trays, sondern natürlich auch mannigfach im Booklet abgebildet sind. Aber Mayfair waren halt noch nie eine "gewöhnliche" Band, und das macht diese Wiederveröffentlichung ein weiteres Mal deutlich: Sie erscheint als Doppel-CD, obwohl die enthaltenen 77 Minuten Musik durchaus auch auf eine einzelne Scheibe gepaßt hätten. CD 2 enthält also Bonustracks, und zwar gleich 10 Stück. Die ersten drei bildeten 1991 das Demo "Find My Screams Behind This Gate", und dieses macht deutlich, daß Mayfair schon zwei Jahre nach Bandgründung und zwei Jahre vor "Behind..." den darauf zu hörenden Stil ausgebildet hatten, wenngleich in noch geringfügig zurückhaltenderer Weise. So setzt Mario die Falsetts noch eher selten ein, baut aber dafür in "Man Of Sorrows" kurze fiese Schreie ein, während René zwar schon die gleichen Wechsel zwischen Akustik- und Elektrikgitarren pflegt, aber die Elektrische einen noch etwas "konventionelleren" Sound hat. "Man Of Sorrows" als B-Seite hat zudem einen geringfügig gedeckteren Gesamtsound als die beiden A-Seiten-Tracks "Daily Screams" und "Pt. II Long Past And Forgotten...?", aber alle drei Tracks ließen bereits erkennen, daß Mayfair zu noch Größerem fähig sein könnten. Daß keiner der drei Tracks für "Behind..." neu eingespielt wurde, macht die Songs zu speziellen Raritäten, die hier verdientermaßen der Vergessenheit entrissen worden sind (wer außer ein paar Undergroundfreaks dürfte das Demo noch besessen haben?). Eine solche findet sich auch unter den nächsten vier Songs, die einer Demoaufnahme des Jahres 1994 entstammen: "Tears" wurde im Gegensatz zu "Adam", "Dear Julia" und "Last Spring" für das 1995er "Die Flucht"-Album nicht berücksichtigt. Wer selbiges besitzt, kann nachhören, inwieweit die Albumversionen mit den Frühfassungen identisch sind - der Rezensent kann es nicht, sondern muß sich auf die Feststellung beschränken, daß die Grundausrichtung abermals erhalten geblieben ist, aber erneut durch kleine Variationen auffällt: Mario artikuliert sich kraftvoller, tiefer und weniger nasal; die Falsettschreie läßt er diesmal komplett weg. Auch die Gitarrenarbeit ist Veränderungen unterworfen: Die Akustikpassagen sind reduziert worden (auch wenn "Last Spring" komplett von ihnen geprägt wird), der Gitarrensound ist wieder mal ein anderer, und die Gesamtkompositionen machen den Eindruck, ein Stück rocklastiger und einen Tick psychedelischer (im althergebrachten Definitionsrahmen dieses musikalischen Begriffs) orientiert zu sein. Den Beschreibungen zufolge wurde dieser Weg dann auf den Folgealben weiter beschritten. Die letzten vier Tracks hingegen werfen noch einmal einen Blick zurück in Prä-"Behind..."-Zeiten; sie wurden 1992 im bandeigenen Proberaum mitgeschnitten, fallen demzufolge klanglich etwas ab, machen aber deutlich, wie viel Material die Band noch in der Hinterhand hatte, das nie zu Veröffentlichungsehren gelangt ist, was besonders beim drangvollen "Individual Circus", aber auch bei der Halbballade "Emptiness" als sehr schade zu bewerten ist. Daß eine solche Band ausgerechnet in der metallischen Provinz Österreich heranwächst, ist so verwunderlich wie eigentlich logisch - wer weitab aller metallischen Zentren und Konformitätszwänge einfach sein Ding durchzieht, kommt halt bisweilen zu sehr originellen Ergebnissen. Wer Mayfair aufgrund später Geburt oder anderer Hemmnisse bisher verpaßt hat, kann sich mit dem Erwerb dieser Wiederveröffentlichung trotz des ungünstigen Umstandes, daß der Doppel-Digipack zu hoch ist, um zerstörungsfrei in eine der üblichen 60er-CD-Kisten zu passen, und damit nicht vernünftig archivierbar ist, etwas Gutes tun.
Kontakt: www.pureprog-records.com

Tracklist:
CD 1:
Behind...
Advanced In Years
Generation Isolated
Madame Pest
Schlaflos müde
Ecstasy

CD 2:
Daily Screams
Pt. II Long Past And Forgotten...?
Man Of Sorrows
Adam
Dear Julia
Tears
Last Spring
Fegefeuer
Individual Circus
Emptiness
Man Of Sorrows (Very Progressive Version)
 




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