www.Crossover-agm.de DE KRIPPELKIEFERN: Weinnachten im Arzgebirg
von rls

DE KRIPPELKIEFERN: Weinnachten im Arzgebirg   (Eigenproduktion)

Daß eine Weihnachtsplatte von De Krippelkiefern nicht in die Gattung "Heile Welt" fallen würde, konnte sich der geneigte Anhänger der Combo an seinen verkrippelten Fingern abzählen. Schließlich gab es da doch auf dem Studioalbumvorgänger einen Track namens "Klaanes Weihnachtslied", der erstens textlich auch bzw. gerade auf die herben Seiten des Weihnachtsfestes verwies und zweitens musikalisch das Geschehen ansatzweise nach Argentinien verlagerte. Selbiges "Klaanes Weihnachtslied" ist nun auch auf der vorliegenden Weihnachtsplatte enthalten (vergleiche die Versionen, wer kann respektive möchte - das Ergebnis ist geographisch-instrumentenkundlich interessant), so daß man "Weinnachten im Arzgebirg" mit etwas Augenzwinkern auch als Singleauskopplung des besagten Studioalbums betrachten könnte. Das Augenzwinkern ist ob der Struktur vonnöten - als Single wäre "Weinnachten im Arzgebirg" rekordverdächtig, was die Spielzeit angeht, denn die liegt knapp über einer Stunde, und das bei gerade mal acht Songs. Als Freunde epischer Songformate kannte man De Krippelkiefern bisher eigentlich nicht, aber hier outen sie sich nun doch als solche: Das dreiteilige "Weihnachtsoratorium" bringt es auf knapp zwölf Minuten, das zweiteilige "Heiligobndlied" gar auf über 20. Der Hase, der da im Pfeffer liegt, erweist sich aber als nur bedingt genießbar. Die ersten reichlich drei Minuten des zweitgenannten Songs bringen ein gekonntes Arrangement des bekannten "Heiligobndliedes" von Johanne Amalie von Elterlein (genau, das mit dem "Tratri tralala"-Refrain), dem noch einige Strophen bzw. Textelemente hinzugedichtet wurden (natürlich im gewohnten schwarzhumorigen Krippelkiefern-Duktus). Soweit, so gut: Aber die restlichen 17 Minuten bringen ein pseudowitziges Hörspiel von Pierre Fegyverneki, partiell auch noch mit elektronisch verfremdeten Stimmen, und da haben es selbst wohlmeinende Menschen wie der Rezensent schwer, überhaupt einen kompletten Hördurchlauf zu schaffen und nicht vorher die Stoptaste zu betätigen - eine Handlung, die man bei allen weiteren Einsätzen der CD automatisch ins Hirn einprogrammiert, um sich nach 43 interessanten Minuten nicht die Laune endgültig verderben zu lassen. Das Lachen im Halse steckengeblieben ist einem auch zuvor schon gelegentlich - aber das ist man von den Krippelkiefern gewohnt, und dafür liebt man sie ja auch: Sie legen den Finger in mancherlei Wunde und grinsen dabei. In diesem Fach sind sie richtig gut geworden, wußte man ja bereits seit dem Vorgängeralbum, aber das gibt keine Garantie dafür ab, daß jetzt jeder Schuß ins Schwarze trifft. Klassisches Beispiel ist der zweite Longtrack des Albums, "Weihnachtsoratorium" betitelt (die musikalische Bach-Anleihe ist allerdings schon früher eingelöst worden, nämlich gleich bei den ersten drei Tönen auf dem Album, die zu "I nun saaht naus wie's wattern tut" gehören), der weihnachtliches Geschehen im Erzgebirge mit einem afghanischen Flüchtlingsschicksal kombiniert (die zugehörigen Protagonisten hat "Klaanes Weihnachtslied" vor einigen Jahren bereits eingeführt). Und wenn Stephan Mösch da mit großem Pathos und in gezwungenem Hochdeutsch Zeilen wie "Es ist Krieg in Afghanistan" intoniert, weiß man nicht, ob man unfreiwillig lachen oder doch weinen soll - das klingt gewollt, gezwungen, bemüht, auf eine ungeplante Art mitleiderregend und zieht die traurige Mär der ohne Happy End konzipierten Geschichte ins Lächerliche. Die erzgebirgischen Passagen des Oratoriums dagegen, in klassischer Krippelkiefern-Manier gehalten, gehen Mösch und seinen Spießgesellen so gut von der Hand, wie man das von ihnen eben gewöhnt ist. "Schuster, bleib bei deinem Leisten" möchte man da kopfschüttelnd (nicht headbangend!) ausrufen. Was die nicht mehr ganz so neue Besetzung zu leisten imstande ist, wenn sie sich auf vertrautem Territorium bewegt, demonstriert gleich der sechsminütige Opener "I nun saaht naus wie's wattern tut", auf einem Klassiker von Anton Günther beruhend und diesen mit Ideenvielfalt in ein Krippelkiefern-Stück, also in eine Art Neofolk, verwandelnd. Selber hören ist da besser als Beschreibungsversuche lesen, und da der Song ja gleich am Anfang steht, ist er auch der ideale Anspieltip, wenngleich sein abartig hohes Niveau in der Folgezeit nicht mehr erreicht wird. Kurioserweise ist sich die Layoutfraktion nicht mal einig geworden, ob Song 5 nun "Spiel doch net mit Feier" oder "Sing doch net das Lied mei Maadel" heißen soll - er ist übrigens auch der einzige, dessen weihnachtliche Konnektion nicht ganz vordergründig zu erkennen ist, aber er paßt mit seiner schwierigen zwischenmenschlichen Thematik trotzdem gut ins Geschehen. Das Booklet erfüllt wieder einmal pädagogische Funktionen, indem den erzgebirgischen Mundarttexten eine hochdeutsche Übersetzung beigegeben wird, die optische Gestaltung erfolgte diesmal mit Scherenschnitten, was eine klassische Schwarzweißoptik ergibt und trotzdem Raum für die bandtypischen kleinen Bösartigkeiten läßt - bei einem Blick auf das Haus rechts auf dem Cover entdeckt man beispielsweise gleich deren zwei, und daß der Titel zur Untermalung des Wortspiels auch noch zwei Tränen unterlegt bekommen hat, fällt schon fast unter "Wink mit dem Zaunpfahl". Aber für die eine oder andere Derbheit ist die Band bekanntermaßen ja immer gut, und auf der anderen Seite fällt der bekannte Ideen- und Detailreichtum beim Arrangieren positiv auf, ohne daß irgendwo eine Überfrachtung drohen würde. Und gerade "Es ist ein Schnee gefallen" überzeugt durch seine zurückhaltende Art - überrascht stellt man auch noch fest, daß Mösch sehr wohl Hochdeutsch singen kann, ohne daß es bemüht klingt (diese Fähigkeit besitzt ja beileibe nicht jeder Dialektsprecher, der Rezensent nebenbei bemerkt auch nicht). Warum nicht immer so, wenn Hochdeutsch auf dem Speiseplan steht? Sei's drum: Wer eine gleichermaßen typische wie atypische Krippelkiefern-Platte erwerben möchte (auch diesen Spagat muß man erstmal hinbekommen) und im Licht des Weihnachtsfestes auch ein paar dunkle Tupfer aushält, macht mit "Weinnachten im Arzgebirg" nichts falsch.
Kontakt: www.verlag-krippelkiefer.com, www.dekrippelkiefern.de

Tracklist:
I nun saaht naus wie's wattern tut
Es ist ein Schnee gefallen
Weihnachtsoratorium
Wohin soll ich mich wenden
Sing doch net das Lied mei Maadel/Spiel doch net mit Feier
E paar fromme Winsch
Klaanes Weihnachtslied
Heiligobndlied
 




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