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von ta

NELKO KOLAROW: Djen Na Gnjewa   (UBP International)

Bock auf eine Mischung aus 90er-Melodic/Prog Rock/Metal, Deep Purple, Rainbow und Uriah Heep? Der Bulgare Nelko Kolarow veröffentlicht mit "Djen Na Gnjewa" ("Day Of Wrath") ein beeindruckend konservatives, aber ebenso beeindruckend frisches Album voller guter Musik, die im Song nicht das Arrangement, aber im Arrangement auch nicht den Song vergisst. Alles klar? Gute Musik eben. Der Titeltrack und "Srednoschen Karnawal" bieten sich mit ihren Uriah Heep-Refrains schon als ideale Singles an, wenn nicht die ellenlangen Gitarrensoli wären, wobei das in ersterem über einen schwebenden Mittelteil gewebt wurde, während in zweiterem die Grenzen des ohne Aufgähnen Ertragbaren im Soloduell von Keyboard und Gitarre recht weit ausgereizt werden. Egal, der Fuß wippt mit und das Herz freut sich. Die verhaltene Sperrigkeit von "Winowjen S'm" wirkt dann sogar für den analysierenden Intellekt sehr anziehend und wenn die Titelmelodie der unterhaltsamen James Bond-Krachgewitter im Hammond-Sound wiedergegeben wird (beinahe nicht mehr zu erkennen), gewinnt der Mann sogar auf der Humorskala Punkte. Als hätte ich's gewusst, folgt dann mit "Sad Graniza" die Ballade und sie ist - wer hätte es geglaubt - ein Schmuckstück. Verträumt, natürlich, ohne Posen, toll gesungen und nicht zu lang. Kolarow hat überhaupt ein sehr angenehmes Organ, keine klassische Rockröhre, sondern einen weichen Stimmanschlag, der gelegentlich an Ronnie Atkins in einer der (meist so unsäglich kitschigen) Pretty Maids-Balladen erinnert.
"Minalo W B'descheto" ist dann deutlich zu lang ausgefallen und auch sonst, vom Leitriff und einem kurzen Teil des Gitarrensolos (vierte Minute) abgesehen, ein unspektakulärer Rainbow-Tribut, während "P'teschestwije S's Staro Piano" völlig überraschend Rock'n'Roll-Vibes versprüht und besonders mit dem eingeflochtenen Barmusik-Piano einiges hermacht, wogegen der traditionelle Refrain richtig bieder wirkt. Kolarow ist eindeutig auf Abwechslung bedacht und hat sicherlich einiges an Denkarbeit in diese Scheibe eingearbeitet, was sich an der Mannigfaltigkeit seiner Gitarrenarbeit ebenso zeigt wie an dem breiten emotionalen Spektrum, das er wiederzugeben gewillt ist. Denn wer hätte bei soviel positiver Power ein Stück wie "Greschni Chora" erwartet: Hardrock wird in ein Gewand der Düsternis gekleidet und spätestens wenn Kolarow anfängt zu singen, fühlt man sich als Hörer an eine verregnete Straße in den Untiefen einer nächtlichen Großstadt versetzt. Kolarow finstert dazu die passenden Skalen auf der Gitarre, irgendwann bricht aber doch der Schelm durch und mit einem rasanten, vertrackten Prog-Rock-Überfall verwandelt sich die ganze vorher aufgebaute Stimmung in eine Chimäre. Aargh!
Mit "Usmichwai Se" ist dann nochmal ein klassischer Weghör-Moment gelungen. Wäre nicht das interessante Arrangement in der Bridge (plötzliche Tempoverdoppelung, Anwerfen der Doppelfüße, heiseres Rumrufen), bliebe nichts hängen, besonders kein Chorus. Den gibt's nämlich hier mal gar nicht. Und weil die Formkurve gerade am Sinken ist, folgt mit "Wremje Sa Rasdjala" gleich der Tiefpunkt der Scheibe. Wo ich mich eben noch freute, dass in "Sad Graniza" die typischen Klischees von Hardrockballaden umgangen werden (ich sagte nämlich: keine Pose), werden sie hier auf dem Silbertablett serviert: Bombastrefrain, Säuselkeyboards, ich-bin-so-verletzt-ach-gib-mir-Hoffnung-Gesang und ein Gitarrensolo, auf dem man ausrutschen und sich böse den Hals brechen könnte. Kitschig, banal und zu lang außerdem. Das Akustikgezupfe am Ende gibt mir den Rest. So helft dem armen Mann doch! Rettung naht: "Sami" ist mit neun Minuten der längste Track auf "Djen Na Gnjewa" und damit ein kleines Epos geworden, dramatisch zurechtgeschneidert und geschickt durchgestylt, mit Mustern, die beinahe an eine klassische Durchführung erinnern. Die Art etwa, wie der Refrain im phosphorisierenden Traumteil in der Mitte aufgegriffen wird, kann als kongenial bezeichnet werden. Die Keyboards erinnern ein wenig an die letzte IQ-Scheibe und überhaupt kommt "Sami" sehr proggy daher. "Bjes Dumi" ist dann nicht mehr als ein schwermütiges Klimper-Outro, das es nun nicht mehr gebraucht hätte. Kitsch, aber mit Klasse.
Dem Rezensenten ist unbekannt, ob es sich bei "Djen Na Gnjewa" um das erste Album von Kolarow handelt, was im direkten Zusammenhang mit der Tatsache steht, dass der Rezensent kein Bulgarisch spricht, was auch für das Studium der Texte vonnöten gewesen wäre. Fakt ist: "Djen Na Gnjewa" ist ein Album mit vielen Stärken und einigen Schwächen. Die Schwächen: Kolarow verliert sich in songwriterischen Banalitäten und zieht seine Songs streckenweise etwas zu sehr in die Länge. Diese Mängel können natürlich bestritten werden. Ersterer z.B. von Fans des klassischen Hardrock, die sich ohnehin seit fünfzehn Jahren die Ohren zugekleistert haben oder ernsthaft der Meinung sind, eine Ballade von z.B. Jon Bon Jovi weise heute noch irgendeine Klasse auf (beides ist beim Rezensenten nicht der Fall) und zweiterer von Gitarristen oder Keyboardern, die heimlich zuhause zu Kolarows Soli üben (was der Rezensent ebenfalls nicht tut). Die Stärken: Kolarow strengt sich an, in seinem Metier alles mitzunehmen, was geht, und es gelingt ihm. "Djen Na Gnjewa" ist langsam, schnell, gemäßigt, freudig, düster, heiter, hat eingängige Hooklines und Refrains und spannende Arrangements. Etwas kopflastig, mag man sagen. Aber das ist nicht weiter schlimm, denn "Djen Na Gnjewa" bietet eine Menge Hörspaß, der auch technisch hohen Ansprüchen genügt. Melodic-/Prog-/Hard-/Soft-Rockern/Metallern sei das beinahe einstündige Album daher wärmstens empfohlen.
Kontakt: www.nelkokolarov.net, www.online.bg/ubp

Tracklist:
Djen Na Gnjewa
Srednoschen Karnawal
Winowjen S'm
Sad Graniza
Minalo W B'descheto
P'teschestwije S's Staro Piano
Greschni Chora
Usmichwai Se
Wremje Sa Rasdjala
Sami
Bjes Dumi



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