www.Crossover-agm.de DAS KLINISCHE LEBEN: Opfergang / Germania
von rls

DAS KLINISCHE LEBEN: Opfergang   (KeinZurückMehrRecords)

Die produzieren aber auch wie die Karnickel. Sowohl "Opfergang" (September 2000) als auch "Germania" (Dezember 2000) sind Longplayer mit voller Spielzeit. Lustigerweise kommen beide CDs auch noch relativ verschieden daher, wobei, wenn ich mir die Bandbio so durchlese, "Opfergang" eine Art Entwicklungsgipfelpunkt zu markieren scheint, während "Germania" eine gewisse Rückentwicklung in Richtung der (mir akustisch nicht bekannten) 99er CD "Genesis Zwei" in sich trägt. "Opfergang" läßt sich völlig problemlos im reinen Gothic ansiedeln (lediglich die gelegentlichen Heavy-Gitarren negieren diese Einschubladisierung leicht) und fährt Stilelemente auf, die man schon an anderen Gothicbands mehr oder weniger liebgewonnen hat. Zu letzerer Kategorie gehört eindeutig der Gesang, der sich zwar durchaus der jeweiligen Songthematik anzupassen versucht (man höre exemplarisch die aufeinanderfolgenden "Sophie" und "Ohne Licht"), aber durchgehend sehr hohe Werte auf der nach oben offenen Pathos-Skala erreicht und mir ganz einfach zu theatralisch ausfällt. Auch an die geradezu als Stilmittel eingesetzte Monotonie sowohl im songwriterischen als auch im melodie-rhythmus-kombinatorischen Aspekt kann ich mich nur schwer gewöhnen. Bei Songlängen, die in vielen Fällen jenseits der Siebenminutenmarke liegen, kann diese Monotonie leicht zum Erlahmen des Interesses beim Hörer führen, der zudem durch einen nicht besonders ausdifferenzierten Sound beansprucht wird. Man sollte über aller Kritik aber nicht die positiven Elemente dieser CD außer acht lassen. Die interessante lyrische Gestaltung ist da sicher nicht an letzter Stelle zu nennen, in der man sich phasenweise an die Zeit der Münsteraner Wiedertäuferbewegung um 1525 erinnert fühlt, da die geschilderten Szenarien partiell recht gut in diesen Themenkomplex passen würden. Das Klinische Leben beschreiben allerdings nur, sie werten nicht - das bleibt den Welten, in denen sich der Hörer bewegt, überlassen. In puncto Atmosphärenaufbau ist die Band auf jeden Fall recht fähig (auch wenn man aufgrund des Sounds einige Feinheiten nur erahnen kann), und Christian Morgensterns "Lied des Galgenbruders an Sophie das Henkersmädel" hat man im bereits erwähnten "Sophie" auch ganz passabel und stilistisch passend umgesetzt (daß ich von diesem Titel nach wie vor die Version von MCB bevorzuge, mag subjektive Stilvorlieben als Ursache haben). Die in "Jungfernsprung" erwähnte "Angst vor Sonnenschein" zieht sich durch die gesamte CD, die daher auch eine eher neblige, aber unromantische Aura umweht.

DAS KLINISCHE LEBEN: Germania

"Germania" fährt dagegen einen Wesenszug auf, der auf "Opfergang" völlig abwesend war: Humor. Die Idee, Lee Hazlewoods "These Boots" auf Lo-Fi-Basis zu verkaputtnikisieren, zaubert dem Hörer ein fast so breites Grinsen ins Gesicht wie die Verhohnepipelung des gleichen Songs durch die Leningrad Cowboys, der alte Schlager "Winter in Canada" glänzt durch eine analoge Umsetzung, das fröhlich-bösartige "Stadt Z" klingt wie die Spider Murphy Gang, wenn sie durch eine Moulinette gejagt wird, funkige Bläser wie in "Lauf der Dinge" sind nicht gerade gothictypische Instrumente, und eine sprechgesangbehaftete Moritat der Marke "They" wäre auf "Opfergang" ebenfalls als "viel zu fröhlich" aussortiert worden. Eine Reihe weiterer Songs beinhaltet einen mehr oder weniger fröhlich-flotten Punktouch (den es auch auf älteren, mir nicht bekannten Releases von Das Klinische Leben gegeben haben soll), und so richtig in die Gothic-Ecke tendieren eigentlich nur noch "Who Will Eat The Dog" (mit sehr harten Timbres) und der Zehnminüter "Der morgige Tag ist mein". Letztgenanntes basiert übrigens auf einem nationalpatriotischen Gedicht aus dem Broadway-Musical "Cabaret", wurde allerdings stark umgearbeitet. Kritikaster stecken die Band zwar allein aufgrund dieses Textes, der optischen Gestaltung (ein tiefverschneiter Friedhof, der leicht als Soldatenfriedhof interpretierbar wäre, obwohl es dafür keinerlei rationale Anzeichen gibt) und des Titels "Germania" in eine rechtslastige Ecke, zeigen damit aber nur ein weiteres Mal, wie flach sie nur zu denken in der Lage sind. Der Text des Titeltracks beweist überdeutlich, wo Das Klinische Leben politisch stehen - er ist eine der am originellsten formulierten Warnungen vor deutschem nationalsozialistischem Ungeist, die mir in letzter Zeit über den Weg gelaufen sind, und sollte eigentlich in die Lesebücher der Schulen aufgenommen werden. Daß dieser 2:45 min kurze Song musikalisch ein bißchen in die Oi!-Richtung geht, darf als Absicht gewertet werden. Leider ist auch "Germania" etwas zu dumpf und dünn produziert (gerade beim Titeltrack wäre genaueste Textverständlichkeit wichtig gewesen), aber nichtsdestotrotz gefällt mir dieses Werk bedeutend besser als "Opfergang"; es ist ein Stück leichtverdaulicher, gesanglich lebensnäher, zugänglicher und vor allem abwechslungsreicher. Wenn dieses Berliner Zweimannprojekt, das bereits seit 1987 existiert, in dieser Richtung weitermacht, könnten ihm einige Türen offenstehen. Dem Einsteiger sei also geraten, sich erstmal mit "Germania" vertraut zu machen und, falls er Gefallen an "Der morgige Tag ist mein" findet, sich dann "Opfergang" zu nähern. Beide (gebrannten) CDs gibt's bei KeinZurückMehrRecords, Persiusstraße 14, 10245 Berlin.






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