www.Crossover-agm.de KEYDRAGON: Dragon Prophecy
von ta

KEYDRAGON: Dragon Prophecy   (Eigenproduktion)

Manchmal ist für Logik in dieser Welt einfach zuwenig Platz: Ein bärtiger Mann läuft einfach so übers Wasser, der viereckige Kreis ist laut eines ausgefuchsten Philosophen auch nicht mehr im strengen Sinne unmöglich, Keydragon werden eine ernste Band, Paris Hilton will ein normaler Mensch … - Moment mal ... wie war das mit Keydragon? Richtig gelesen. Im Gegensatz zum Rezensenten, der den Witz des Sich-selbst-Unterbrechens bereits in der Rezension zum Vorgängeralbum "Uncontrollable Forces" penetriert hat, machen Keydragon etwas Neues. Zumindest partiell etwas Neues.
Das erste Opfer des neuen Progresswillens ist Mississippi Bud gewesen. Darauf ein schmerzvolles Stöhnen, gekoppelt an einen kurzen Nachruf: *Ächzaaargh*. Der Mann war ein eminent wichtiges Element im Keydragon-Kosmos, sein verspieltes Saxophon bereicherte den Sound der Band ungemein. Erfüllt von Trauer durchleben wir ein letztes Mal "It's That Great Dragon" oder "Dragon War" und können schon nicht mehr anders als unsere Mäuler zu einem meterbreiten Grinsen zu verziehen. Was war das aber auch für ein absurdes Element! Wir hätten es anders gewollt und schütteln ein letztes Mal die greisen Hirnbrutkästen.
Das zweite Opfer ist Ron Langford. Natürlich ist Langford nicht gegangen, denn ohne ihn, den Hauptinitiator des ganzen Konzepts und den Mann, der sich darum kümmert, dass überhaupt Leute außerhalb des Bandproberaums von der Existenz Keydragons wissen (wobei diese Leute dann Rezensionen zu den Alben von Keydragon schreiben und dafür sorgen, dass noch mehr Leute von der Existenz Keydragons wissen), würde der Schlüsseldrachen unweigerlich dahinscheiden, sein letztes Feuerchen auspusten. Nein, Langford ist noch da, aber sein Spielraum ist beschnitten worden, er singt nämlich nicht mehr viel, genauer kaum noch. Gegrunzt werden darf (höre nur das harte "As Heavy As A Dragon"), klarer Gesang indes ist nur sehr vereinzelten Refrains vorbehalten und wird generell weit in den Hintergrund gemischt, was nur gut ist, denn der Mann kann bekanntermaßen viel nicht, und Singen ganz besonders nicht.
Wer aber übernimmt nun den wichtigen Posten des Sangesmannes? Eine Frau. Backgroundsängerin Lily White ist es nicht, die verschwand nämlich auch heimlich aus der Höhle des Drachens, die Neue dagegen nennt sich Tamara Venus Star, sieht aus wie eine spindeldürre 23jährige, die eigentlich nur mal schauen wollte, was da für Krach aus dem Schuppen kommt, und macht ihre Sache, besonders im Vergleich mit Langford, mehr als ordentlich. Klar, wie sich das für Keydragon gehört, stößt auch sie gelegentlich an Grenzen, höre das auch so in seiner Harmonik recht schräge, düstere "Facing The Dragon". Und sonderlich viel Power hat ihr Gesang auch nicht, aber sie trifft die wesentlichen Töne sehr souverän und hat einige richtig tolle Gesangslinien in petto. Hier muss gleich auf den unbedingten Höhepunkt des Albums, "Guardian Dragon", hingewiesen werden. Schon die abwechslungsreiche Synthesizerarbeit sorgt für eine gleichsam melancholische wie entrückte Atmosphäre, aber was hier noch an emotionaler Gesangsleistung hinzukommt, bereitet wohlige Gänsehautschauer (mal abgesehen vom letzten Refrain, den Langford mitzusingen versucht). Auch das "I can't be the one to let it know" nach dem ersten Refrain in "Dragon Sea" hat eine ergreifend tragische Note. Insgesamt rückt Venus, zusammen mit den anderen Neuerungen, das Endergebnis noch ein ganzes Stück mehr in die Gothic Metal-Richtung, als es bei Keydragon ohnehin der Fall ist. Man darf schon jetzt auf das kommende Album gespannt sein, wenn die neue Frauengesangsdominanz so ausgearbeitet ist, dass Venus nicht mehr so oft wie jetzt noch die Gitarren- oder Synthiemelodien mitsingt.
Letzte Neuerung: Die Entität, die für den Rhythmus sorgt, kann im Stehen pinkeln. Sprich, der Drumcomputer wurde endlich ausrangiert und Jason Wishman hinters Kit gebeten. Der schwarzbärtige Kerl ist zweifellos der beste Musiker bei Keydragon und bereichert das Endergebnis mit einem mancherorts beinahe als verspielt zu titulierenden Stil, höre etwa die Offbeat-Hi-Hat in "Maud And The Dragon".
Das klingt nun alles ganz fürchterlich, als ob Keydragon jetzt tatsächlich eine normale, ernsthafte Band sein wollen würden und das ihnen sogar brauchbar gelänge. (Man bedenke, dass die drei anderen Werke von Langford und Co. genialen, völlig kranken Trash (ohne "h") bieten, der in dieser Musikwelt einzigartig ist.) Aber wie das nun mal so ist: Eine Kehrtwendung um 180° ist meist zu schwierig, um sie ganz durchzuziehen, weil man plötzlich alles, was man eben noch vor sich hatte, im Rücken hat, sprich: sich erst mal eine neue Vision erarbeiten muss, ehe man die alte komplett verwirft. Eine wirklich neue Vision haben Keydragon aber nicht und ihre Wendung beträgt auch nur, sagen wir: 75,467°, ergo muss ja was übrig geblieben sein von dem alten Spirit. Ist es, ist es!
Da wäre die Gitarrenarbeit von Bobby Blackmoon. Immer noch keine Soli, immer noch nichts anderes als einfachste Grundakkorde, kurz: strunzprimitiv.
Da wären die Synthesizer von Langford. Vielfältig, ohne Frage, aber in 60% der Fälle am Ziel, d.h. Song vorbei. Was hier zu hören ist an Sounds, wäre bei allen anderen Metalbands verboten. Als Beispiel sei "Piasa" angeführt, das ein hartes Riff mit den Glockenklängen eines Eiswagens kombiniert. "As Heavy As A Dragon" bietet ein vergleichbares Phänomen.
Da wären ferner die Refrains. Mitunter wegen Venus anspruchsvoller als noch zuletzt (Songbeispiele wurden genannt), aber im Gro der Fälle immer noch stumpfe Wiederholungen desselben Verses in irgendeiner einfach zu merkenden Kindergartenmelodie.
Und da wäre zuletzt das unverwechselbare und diesmal extrem dominante Drachenkonzept, welches einem selbst die ernsthafteste Hörhaltung bei den melancholischsten Titeln (oder auch bei einem spannungsvoll zwischen Doom und Trip Hop-Rhyhmen wechselnden Schmuckstück wie "Dragon Metal") zunichte macht, weil spätestens beim Blick ins Textblatt das Zwerchfell doch noch vor Anspannung zu reißen droht. Wenn bei Rhapsody in "Symphony Of Enchanted Lands" das Flattern von Drachenflügeln zu hören ist und dazu eine bewegte Erzählerstimme "Fly away my friend, fly away" flüstert, ist das ja schon ein Lächeln wert (ich weiß, dass diese Polemik knochenalt ist). Aber was Rhapsody zurechtschmieren, ist noch nichts gegen die liebevoll ausgearbeitete Drachenmetaphysik, welche Keydragon in petto haben. Ich weise darauf hin, dass in 11 der 14 Songtitel dieses Albums das Wort "Dragon" nachzulesen ist, und erlaube es mir darüber hinaus, den vergleichsweise repräsentativen Beginn von "The Golden Dragon" zu zitieren:

Most revered the Golden Dragon/ Scales and wings the color of gold/ Earth, water, and fire/ By nature he embraces all three/ The Golden Dragon possessed the greatest beauty/ Unique pure and perfect/ Defending earth from hatred and greed

Usw. Usf. ... Des einzigartigen Genusses wegen sei auch "The Dragons Dog" angeführt:

In a deep dark wasteland/ Lies the Dragons dog/ He awaits in silence/ For his masters call/ (...) You stand there and face them/ The dragon and his dog/ Only you should stand between them/ The dragon, his dog, and your soul

Es sei der Vollständigkeit halber erinnert, dass diese Verse nicht ein kreischender Muskelberg namens Eric Adams, sondern eine zierliche Dame, die sich Tamara Venus Star nennt, intoniert. Die detailreichen Buntstiftzeichnungen von allerlei Ungeheuern fehlen selbstredend auch nicht, ja sogar die völlig schwachsinnige Vermengung von Drachen und Klavier hat, wie auch bei "Uncontrollable Forces" schon, Einzug in die Covergestaltung gefunden. Fazit: Buntverrückt, zum Schreien komisch und definitiv vollkommen inhaltslos. Ergo: Unfug und Shredder gibt es bei Keydragon immer noch, nur eben eine ganze Kante weniger als früher. Das war einerseits nötig, weil sich das Konzept, welches doch sehr auf dem Aushebeln von Hörererwartungen beruhte, nach noch mehr gleichgearteten Alben einfach totgelaufen hätte, andererseits sind Keydragon nun nicht automatisch zu Könnern im Songwriting- und Arrangementbereich geworden (die sie vorher gar nicht sein mussten), so dass die vergangenen drei Scheiben mir, der absurderen Songs wegen, etwas besser gefallen (obgleich "Dragon Prophecy" immer noch ein tolles, witziges Album ist). Allein dass Mr. Bud nicht mehr dabei ist, kommt einer mittelschweren Tragödie gleich. Aber das hatten wir schon. Folgern wir also zuletzt, um den Sack endgültig zuzumachen: Manchmal ist das Unlogische doch viel schöner.
Kontakt: www.keydragon.com

Tracklist:
1. Dragon Prophecy
2. The Dragon Calls Me
3. Dragon Sea
4. Scales And Wings
5. As Heavy As A Dragon
6. Guardian Dragon
7. Piasa
8. Maud And The Dragon
9. The Golden Dragon
10. Fafnirs Tale
11. The Dragons Dog
12. Dragon Metal
13. Facing The Dragon
14. Dragon Haze



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