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KEYDRAGON: Uncontrollable Forces
von ta

KEYDRAGON: Uncontrollable Forces   (Eigenproduktion)

Unglaublich, Keydragon haben ... - der werte Leser kennt Keydragon nicht? Nun, dem kann abgeholfen werden, indem der werte Leser exponierenderweise die Rezension zu den Vorgängeralben "Awaken The Lair" und "Drink From The Waters Of War" lese. Oder, für den wahrscheinlichen Fall, dass er zu faul zum Umschalten ist, die beiden folgenden Sätze. Keydragon spielen lustigen Trash-Metal ohne h, welcher durch mangelnde technische Fähigkeiten, ein Saxophon und einen Songwust sondersgleichen ein Gesicht mit Leichtigkeit in einen Elefantenarsch verwandelt. Der Unterschied zu Combos, die es einfach nicht besser können: Hier gehört alles, was die Musik für vorschnelle Hörer zum größten Unsinn seit dem Tod von Helge Schneider - ach, der lebt noch … stimmt - machen würde, zum Konzept. Hebe der Rezensent nun von neuem an.

Unglaublich, Keydragon haben es gewagt, ihren anschaulichen Schlachtdrachen in ein abstraktes Gebilde aus Deibel, Drachen und Klavier zu verwandeln. Wie soll denn das Power Metal-Klientel damit angezogen werden? Gottlob ist das richtige Vieh ohne störende symbolische Aufladung auf der Hinterseite des CD-Inlays doch noch abgebildet, einmal mehr liebevoll mit Buntstiften gezeichnet und grässlich Feuer speiend. Sieht fast so Furcht einflößend aus wie Songwriter, Synthieverantwortlicher, Sänger, Bassist, Speck- und Muskelberg Ron Langford, der im zweiseitigen Booklet sein Keyboard unter dem Arm hält wie 'ne Styroporplatte. Aber zur Sache.
Musikalisch haben sich im Hause des Schlüsseldrachen keine gravierenden Änderungen vollzogen, außer dieser, dass Keydragon vielleicht ein Stück härter und sicherlich ein kleines, kleineres, kleinstes Stückchen ernster geworden sind. Gut, Virtuosen sind die Jungs/die Dame immer noch nicht und so richtig kann man ihnen auch immer noch nicht abnehmen, dass hinter dieser Musik ein seriöses Anliegen steckt, aber da gibt es doch tatsächlich Modifizierungen in Richtung Professionalität (wobei ich der Band keineswegs unterstellen möchte, jemals in ihrer lang andauernden Karriere unprofessionell gewesen zu sein): Zum Beispiel und ersten werden die Songs nunmehr anständig beendet, zum zweiten hat das Chaos innerhalb der einzelnen Tracks abgenommen, zuletzt hat Langford das Grunzen endgültig erlernt. Damit sind immerhin sechzig Prozent des Gesangs inzwischen hörbar geworden. Klar singen kann der Mann zum Glück auch weiterhin nicht: In "Calling You" oder "Flying With The Dragon" gibt es tatsächlich richtige Ohrwurmrefrains zu hören, denen jegliches kommerzielles Potenzial eben nur dadurch genommen ist, dass Langford kaum einen Ton auf Anhieb richtig trifft. Zur Parodie der Extraklasse wird das Ganze dann, wenn sein gepresster Klargesang mit dem souligen Gejaule von Lily White gekoppelt wird. Diese mischt sich nämlich in viele der ultraplakativen Refrains, die oft nur aus einem Vers bestehen, ein und besorgt mit unverkennbarem Pop-Appeal einen Kontrast zu Langford, der wirklich zum Schreien ist. Höhepunkte hierbei: "What Happens Inside" und "Dragon Dreaming".
Dann ist da noch CR, der unauffällige Drumcomputer, auf dessen schnurgerade Beats es aber auch nicht wesentlich ankommt - Anerkennung gebührt ihm freilich, weil er dafür sorgt, dass Keydragon schön tight spielen -, Bobby Blackmon, der Mann für die verzerrten Riffs, die generell nur aus stumpfen Akkorden bestehen und auch durch einen ziemlich abgedrehten Überproduktionsfleischwolf gejagt wurden. Und das neben Langford wertvollste Stück des ganzen Panoptikums ist - dem Drachen sei's gedankt - auch in der Band geblieben: Mississippi Bud lässt das Saxophon permanent klingen, egal wo und wann. Das zeitigt dann grandiose Nonsens-Ergebnisse wie das völlig atonale Strophengedudel in "The Domino Effect" (welches aber andererseits durch den Titel des Songs einen netten Nebensinn erhält) oder die wie immer jegliche Düsternis persiflierenden Einlagen in "What Happens Inside". Genauso grandios und hirnzerfetzend schaut das Ganze aber aus, wenn tatsächlich jeder mit jedem zusammen spielt. Der Unisono-Einsatz von Gitarre, Saxophon und Gebrüll am Anfang von "It's That Great Dragon" gehört zu den seltenen Momenten der Metal-Geschichte, in denen man meint, im Kreis grinsen zu müssen (dafür müssten natürlich die Ohren entfernt werden, was dann wiederum die Wahrnehmungsmöglichkeit des zum Verziehen des Mundes motivierenden Objekts beseitigen würde, weswegen die Meinung, im Kreis grinsen zu müssen, letztlich völlig paradox und damit unvertretbar ausfällt). Und wo wir gerade bei Höhepunkten - die auf "Uncontrollable Forces" reichhaltig verteilt wurden - sind: "You Must Bend" ist gesangstechnisch nicht der Bringer, aber fein hintersinnig. Die von Langford mit hoher Stimme gerappten Gangster-Strophen gesellen sich hier nämlich zu einem klasse Soul-Chorus und heraus kommt ein Song, der ein Dauerbrenner in den Charts werden könnte, wenn er nicht durch den Keydragon bespeit worden wäre, was eben die üblichen Resultate generiert (Gesang von links nach schräg, harte Gitarren, Pseudodüsternis, ...).
Ich erwähnte die Düsternis. Mit der kennen sich Keydragon definitiv aus und manchmal hinterlässt die ganze Metal-Suppe, die hier gekocht wird, neben ihrem dominanten Death Metal-Hauptgeschmack einen beinahe Gothic Rock-artigen Nachgeschmack, wie sich an "Falls Away", dem einleitenden "Siatica" oder dem abschließenden, mit finsteren Keyboardteppichen versehenen "Sick Day" zeigen lässt. Nur eben gilt der nicht weniger starke Verdacht, dass hier statt mit Salz mit Zucker gekocht, d.h. z.B. statt mit einer Synthesizerorgel mit einem Saxophon gespielt wurde. Aber noch einmal: "Uncontrollable Forces" ist melodisch und harmonisch gesehen ein düsteres Album. Und andere Bands könnten aus dem harmonischen und melodischen Rohmaterial richtige Songs machen - aber die wären nicht halb so viel wert wie das, was hier als audiale Karikatur aus den Boxen kommt, denn so toll sind die Songs an sich eben nicht - sie werden es erst durch die Umsetzung.
Also: "Uncontrollable Forces" ist nicht mehr so ungestüm wie die beiden Vorgängerwerke, ist vielleicht durchdachter und hat mehr Tendenz zu Musik, die man auch in seriöser Haltung hören kann (dazu gleich eine Anmerkung), in der Quintessenz aber sind Keydragon nicht nennenswert weniger sick als sie früher waren. Und die dezente musikalische Fortentwicklung kompensiert die Tatsache, dass bei der dritten Scheibe mit demselben künstlerischen Konzept der Überraschungseffekt beim Hörer, welcher die anderen beiden bereits kennt, fehlt. Jammerschade übrigens, dass die Texte nicht beigelegt wurden, obwohl es sich sicherlich um feingeistige, phantastische Poeme handelt.
Und die angedrohte Anmerkung: Am 13. Januar 2006 hat der Rezensent tatsächlich das Experiment unternommen, "Uncontrollable Forces" unter dem Kopfhörer und bei geschlossenen Augen zu lauschen, bei Keydragon etwas besonderes. Und was soll man sagen? Es funktioniert. Keydragon ohne karikative Lesart sind nicht mehr zum Lachen, sondern tatsächlich etwas düster, gnadenlos zerrissen und krank ohne Ende, teilweise verstörend. Sehr interessant - und das darf man einmal erlebt haben.
Zweite und letzte Conclusio: Keydragon funktionieren auf mehreren Ebenen. Nicht dauerhaft, aber ein paar Hände an sehr bereichernden und streßfreien Hörerlebnissen voll. Dafür Greetings nach ... Nordamerika (wenn ich mich richtig erinnere): Hello.
Kontakt: www.keydragon.com; www.cdbaby.com/all/keydragon

Tracklist:
1. Siatice
2. It's That Great Dragon
3. Uncontrollable Force Of One
4. Falls Away
5. You Must Bend
6. What Happens Inside
7. Calling You
8. The Jaded Dragon
9. Creeping
10. The Domino Effect
11. Rage On
12. Flying With The Dragon
13. Dragon Dreaming
14. Sick Day



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