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IVAN IVANOVICH & THE KREML KRAUTS: Peregar
von rls

IVAN IVANOVICH & THE KREML KRAUTS: Peregar   (Sumo Rex)

Trier ist bekanntlich die Geburtsstadt von Karl Marx, und so wäre es eigentlich logischer gewesen, sie anstatt Chemnitz in Karl-Marx-Stadt umzubenennen, wenn, ja wenn sie nicht zufällig in einer der westalliierten Besatzungszonen gelegen hätte. Jetzt aber kommt mit Ivan Ivanovich und seinen siebenköpfigen Kreml Krauts die späte Rache der Sowjetunion über die Stadt, in der nicht nur die Wiege des Kampfgefährten von Friedrich Engels stand, sondern auch der Proberaum des Oktetts steht, aus dem in regelmäßigen Abständen russendiskokompatibles Liedgut dringt, das man herkunftsseitig eher in Berlin und nicht in Trier ansiedeln würde. Aber beim Hören der CD ist das letztlich auch egal, und so überfällt den Hörer eine Mixtur aus klassischer Rockmusik, russischer Folklore und etwas Ska, zu der sich glänzend das Tanzbein schwingen läßt, auch wenn man das Material durchaus intensiver studieren sollte, um dann nicht plötzlich im fast marschmusikalischen zentralen Break von "Moskwa - Berlin - Madrid" aus dem Takt zu geraten. Der Ideenreichtum der dreizehn regulären Nummern (hinzu kommt ein Hidden Track mit vernachlässigbaren Verbalbeiträgen, aber einer brauchbaren Jamsession, in die mal eben Griegs "Morgenstimmung"-Thema eingeflochten wird, und einem dadaistischen Abschluß) läßt jedenfalls wenig Wünsche übrig, zumal etliche der Musiker durchaus multipel einsetzbar sind, der Bassist also beispielsweise auch noch Tuba spielt (möchte wissen, wie der das live machen will, denn in "Alkogol - Nikotin" erklingen beide Instrumente gleichzeitig) und der Saxophonist auch noch des Geigespiels mächtig ist - und notfalls kann man ja immer noch einen Gastmusiker an Bord holen, etwa Vincent Hendus für die Balalaika-Einwürfe in "Straschnyi Son". Dazu kommen vier externe Backingsänger, welche die sieben Herren der Kreml Krauts noch bei der Erzeugung von kosakenkompatiblen Chorgesängen unterstützen und somit helfen, ein Gegengewicht zum markanten Leadgesang von Jewgeni Barannikow aka Ivan Ivanovich zu schaffen. Der klingt nach viel russischem Feuerwasser, obwohl "Melodie" für ihn kein völliges Fremdwort bedeutet - man muß die äußerst rauhe Artikulation zwar mögen, um mit dem Gesamtkonzept klarzukommen, aber wenn man das tut, steht einem intensiven Lauscherlebnis nichts im Wege. Wer übrigens Kirill Njemoljajew kennt und sich ihn an der Front einer wie beschrieben Rock, Folk und Ska mixenden Kapelle vorstellen kann, der dürfte ungefähr das passende Klangbild im Ohr haben, zumal auch manche der Akustikgitarrenzupfereien an ähnliche Passagen auf dessen "Komitscheskije Kuplety"-Album erinnern, wobei sie auf "Peregar" allerdings ohne parodistischen Hintergrund eingesetzt werden. Ein gewisses Humorpotential ist freilich auch auf "Peregar" nicht zu verkennen, beispielsweise in "Ventilator" (dort aus der dunkelschwarzen Ecke mit dem Schlagzeuger als Opfer) oder in "Alkogol - Nikotin", wo Ivan feststellt, daß sein wunderschöner Bierbauch das körperliche Resultat, das seine Freunde in Fitneßstudios erzielen, durchaus kompensiert. Diese zwei Songs sind auch die einzigen in deutscher Sprache eingesungenen (mit einigen Wortkonstruktionen, die jeden Deutschlehrer in den Wahnsinn treiben würden), während der Rest überwiegend in Russisch gehalten ist - im Sinne des Bildungsauftrages findet sich zu diesen Texten allerdings eine deutsche Übersetzung im großen Posterbooklet, dessen Posterseite übrigens einen russischen Bären zeigt, der sich gerade sein Fell vom Körper streift, unter dem eine klassische deutsche Tracht hervorkommt, allerdings mit Wodkaflasche in der einen Hosentasche und Hammer (aber ohne Sichel) in der anderen. Der Digipack treibt den erziehenden Faktor dann noch weiter in die Höhe, denn dort sind zwei Kochrezepte abgedruckt, und zwar eins für Pelmeni (in Deutsch) und eins für Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat (in Russisch). So sieht also moderne Völkerverständigung aus - andere Szenarien dagegen wie das von "Popalis" ("Jedes Mal nach der Probe werden wir von der Polizei angehalten ...") dürften international verständlich sein, und auch das Antikriegslied "Krasnaja Ploschadj" (übrigens die einzige Vertonung eines Fremdtextes, hier von Nikolai Poletajew) wirft sicherlich kaum Verständnisprobleme auf. Tanzbar ist dieses übrigens auch, wenngleich nicht ganz so fröhlich herumspringend wie manch anderer Track - aber die Parole "Widerstand ist tanzbar" gaben ja Die Schnitter schon vor Jahren aus. Düstere Nummern wie 44 Leningrads "Bajuschki Baju"-Umsetzung haben die Kreml Krauts zumindest auf dem vorliegenden Debütalbum (vorher ein Demo und eine EP, beide übrigens kostenlos im Netz downloadbar) nicht im Gepäck. Auf dem Demo gab es übrigens einen Song namens "Deutsches Essen in Russland", was die eigene Stildefinition als "Black-Tea-flavoured Schnitzel-Beat" zumindest ansatzweise erklärt. Der Genußfaktor dürfte dabei live noch deutlich höher sein, aber auch die reichlich dreiviertelstündige Konserve (Track 10 und 11 sind im Booklet übrigens vertauscht - unten genannt ist die tatsächlich zu hörende Reihenfolge) ist höchst goutierbar.
Kontakt: www.kreml-krauts.de

Tracklist:
Sapuskajem Parusa
Popalis
Moskwa - Berlin - Madrid
Straschnyi Son
Wedmowyi Prud
Suka-Bljad
Srja
Tyi Sljosy Lila
Alkogol - Nikotin
Ventilator
Djadja Sascha
Vals Soljonowa Ogurza
Krasnaja Ploschadj
Gori Moja Duscha
Hidden Track


 



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