www.Crossover-agm.de HOTWIRE: Middle Of Nowhere / WERNER STADI'S HOTWIRE: ... And Never Surrender
von rls

HOTWIRE: Middle Of Nowhere   WERNER STADI'S HOTWIRE: ... And Never Surrender   (Point Music)

Bekanntermaßen funktioniert das Leben in Bayern ja unter anderen Gesetzen als im Rest der Bundesrepublik, und vorliegende Doppel-Maxi-CD zimmert einen weiteren Nagel ins Gebälk dieser These. Alles hätte so schön laufen können: Die 1993 von Sänger Werner Stadi gegründeten Hotwire waren mit ihren ersten beiden Alben und nicht zuletzt aufgrund der Protektion durch das Bonfire-Duo Lessmann/Ziller schon ein gutes Stück emporgekommen, die Aufnahme des neuen Albums "Middle Of Nowhere" war in vollem Gange - und dann krachte es im bandinternen Gefüge ("richtig bayrisch-deftig", steht im Bandinfo - wer die Lebensweise des bayrischen Stammes kennt, kann sich ungefähr ein Bild machen, wie das abgelaufen sein muß), was letzten Endes die Devastierung von Sänger/Bandgründer Werner Stadi nach sich zog. Was aber mit dem abgeschlossenen Teil der Aufnahmen anfangen, für die ja schon ein gewisser Kostenposten angefallen war? Ein findiger Kopf bei der Plattenfirma kam schließlich auf die Lösung, die nunmehr vor dem Rezensenten liegt: "... And Never Surrender" beinhaltet die Originalaufnahmen und firmiert unter Werner Stadi's Hotwire, da der Sänger nicht gewillt war, das von ihm begründete Trademark Hotwire sang- und klanglos in den Wind zu schreiben. "Middle Of Nowhere" dagegen transportiert die von Andy Scott Urbeck (gibt's das nachnamengetreue Bier eigentlich?) neu eingesungene Version der Formation, die die restlichen Stammitglieder Hotwires im Line-up hat. Daß letztgenannte bei der Konzeption offenbar am längeren Hebel saß, wird gleich anhand mehrerer Faktoren deutlich. Erstens steht "ihre" CD in der vorderen Klappe der Boxhülle (und wird dadurch vom Ancheckhörer wohl als erste eingeworfen, was ihr aber auch mehr Verantwortung auferlegt), zweitens firmiert sie unter dem unveränderten Bandnamen Hotwire (und nicht etwa Andy Scott Urbeck's Hotwire oder so), und drittens schließlich besitzt sie zwei Songs mehr als Stadis Variante, da dieser selbstverständlich keine Möglichkeit mehr hatte, nach dem Krach noch Sachen an seiner Version zu verändern. Da kann hundertmal der Stempel "The Original" auf seinem Cover prangen. Das Kuriose an der Sache ist, daß einer der beiden Extrasongs auf "Middle Of Nowhere" auch noch komplett aus der Feder von Stadi stammt: "Sometimes She Cries" wird wohl in seiner Pluggedversion auf einem der ersten beiden Hotwire-Longplayer gestanden haben, die mir beide akustisch nicht bekannt sind - hier gibt's eine unverstromte Variante zu hören. Auch beim zweiten Extratrack kommen Hotwire ohne viel Elektroenergie aus, denn AC/DCs "You Shook Me All Night Long" steht ebenfalls wanderklampfig auf der Scheibe und funktioniert in dieser Bauart besser, als ich als bekennender AC/DC-Liebhaber es vorher gedacht hätte (okay, es gibt ja auch schon Liedermacherversionen von "Highway To Hell" oder die von mir sehr geschätzte, völlig abgefahrene orchestrale Interpretation des gleichen Songs von Knorkator). Die restlichen sieben Songs klingen so, wie man es von Bonfire-Proteges erwartet: relativ glattgebügelter, mehrheitsfähiger Melodic Rock, dem man seine deutsche Herkunft aufgrund einer gewissen Steifheit recht deutlich anhört, was aber zumindest mich nicht sonderlich stört. Harmonie ist den Musikern hörbar wichtig, Wärme oder Vertrautheit will aber nicht so richtig aufkommen, obwohl der Mitsinge- und Eingängigkeitsfaktor alles andere als niedrig ist. Dafür mangelt's etwas an Tiefgang - selbst das lyrisch sich noch halbwegs forsch gebende "Danger Is Calling" beißt musikalisch mit der Wucht eines Daunenkissens zu. Gut, von Melodic Rock erwartet auch keiner das Aufstellen neuer Härterekorde, aber ein paar mehr Ecken und Kanten hätten es doch sein dürfen. Daß es von "Lost In Your Eyes" neben der sechseinhalbminütigen Originalfassung noch einen Radio Edit gibt, macht in diesem Falle sogar Sinn, da die verbleibenden dreieinhalb Minuten im 18-40-Formatradio (was für ein harmloses Wort angesichts des Einheitsbreis, den es symbolisiert) alles andere als deplaziert wären (dort tiefgangstechnisch allerdings immer noch für eine qualitative Erhöhung sorgen würden, wenn man sich das grottige Zeug anhört, was 90% des restlichen Sendeprogrammes ausmacht). Erstaunlicherweise hat Werner Stadi's Hotwire insgesamt ein wenig mehr Struktur in seinen sieben Tracks, denn die scheinen weniger nachbearbeitet worden zu sein als die "Middle Of Nowhere"-Variante, auch wenn sich die Unterschiede im sehr marginalen Rahmen bewegen. Vergleicht man die beiden Sänger direkt miteinander (denn neben den beiden Extrasongs bilden diese ja den umfassendsten Unterschied), so wird deutlich, daß Stadi ein wenig amerikanischer klingt als Urbeck (man könnte ihn ins L.A. des Jahres 1986 verpflanzen, ohne daß er als Fremder auffallen würde), wohingegen Urbeck natürlichere Vibes transportiert, aber auch einen leicht höheren Pathosgehalt auffährt. Aus dem selbstgesteckten "Wir orientieren uns an Bonfire, nachdem sie unter ein Dampfbügeleisen geraten sind"-Rahmen fällt keiner der beiden heraus (es kopiert dankenswerterweise auch keiner Claus Lessmann, jedenfalls nicht dessen Achtziger-Stimmbandäußerungen - mit seinem neueren Schaffen bin ich nicht sonderlich vertraut), so daß zumindest ich nicht wüßte, welche Variante ich bevorzugen würde (wenn wir gleiche Startpositionen annehmen, also die beiden Extratracks unberücksichtigt lassen), wenn ich mich für eine entscheiden müßte. Aber das Problem stellt sich ja eh nicht, es sei denn, Point Music kommen auf die nicht zu begrüßende Idee, jeden Silberling auch noch einzeln auf den übersättigten Markt zu werfen. Bin sowieso gespannt, zu welchem Preis dieses Package letztlich angeboten wird. Das Wort "Doppel-CD" stellt ja bei vielen Händlern automatisch die Zeichen auf "Hochpreis", selbst wenn man - wie in diesem Fall hier - die gesamte Musik locker auf einer Silberplatte untergebracht hätte (33 Minuten arbeitet Stadi, die Urbeck-Version kommt dank der Extratracks kurz vor der 40-Minuten-Marke zum Stehen) und sich ein Großteil der Kompositionen zudem doppelt. Da ich das Teil zur Rezension kostenlos bekommen habe, bin ich natürlich kein Gradmesser, aber mehr als den Preis einer Normal-CD würd' ich für diese Box definitiv nicht auf den Tisch legen. Unterm Strich ein nicht uninteressantes Experiment, das aber hoffentlich nicht allzuviele Nachahmer findet. Fünf-CD-Boxen, in denen jedes Mitglied einer sich während einer Aufnahme auflösenden quintettbesetzten Band "seine" Version unterbringt, braucht nämlich wirklich niemand.





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