www.Crossover-agm.de HELLOWEEN: Rabbit Don't Come Easy
von rls

HELLOWEEN: Rabbit Don't Come Easy   (Nuclear Blast)

Das Vorgängeralbum "The Dark Ride" mochte ich nicht sonderlich. Nicht unbedingt, weil ich mich mit der sehr harten und düsteren Grundausrichtung nicht hätte anfreunden können - nein, das Songwriting ließ qualitativ doch einiges zu wünschen übrig, was bereits mit dem nichtssagenden Intro und dem verzweifelt "Push" nachzueifern versuchenden Opener "Mr. Torture" deutlich wurde und sich bis auf einige Ausnahmen durch die komplette Platte zog. Gut, auch große Bands veröffentlichen mal eine schwache Platte (die sich auch schlecht verkaufte, aber, das sei angemerkt, in den meisten Magazinen trotzdem sehr hoch bewertet wurde - warum wohl?), und Helloween reagierten - aber auf eine wohl kaum erwartete Weise, wenngleich sich Parallelen zur Situation nach "Chameleon" beim zweiten Blick als alles andere als zufällig aufdrängen. Drummer Uli Kusch und Gitarrist Roland Grapow mußten die Band verlassen (sie arbeiteten mit Masterplan weiter) mit der Begründung, ihre zahlreichen Nebenbeschäftigungen hätten die Arbeit Helloweens maßgeblich beeinträchtigt. Masterplan waren mit der Veröffentlichung ihres Debütalbums Helloweens neuem Album einige Monate voraus, so daß sich Grapow als erster ausführlicher äußern konnte und den Giftpfeil in Richtung der alten Kollegen abschoß, daß sie es gewesen seien, die für die neue und wenig erfolgreiche Marschrichtung auf "The Dark Ride" verantwortlich zeichneten. Dieser Pfeil schien auch getroffen zu haben, denn Helloween ließen beispielsweise das wichtige Interview im Rock Hard vom neuen Gitarristen Sascha Gerstner erledigen, der logischerweise zur seinerzeitigen Sachlage im Helloween-Camp nichts aussagen konnte (und statt dessen ähnliche Giftpfeile in Richtung seiner Ex-Kollegen Freedom Call losschickte). Helloween-Chef Michael Weikath meldete sich allerdings beispielsweise im kleinen Skullcrusher-Magazin zu Wort und stellte die komplette Situation um 180° gewendet dar, eben mit der o.g. offiziellen Begründung. Interviewer Chris Mummelthey unterließ es leider, Weikath zu fragen, warum Grapow, wenn er angeblich schon seine besten Songs für Masterplan zurückhalten würde, mit "The Dark Ride" immer noch den besten Track auf dem besagten Album beisteuern konnte, zudem einen, der der traditionell-metallischen Marschrichtung Helloweens noch am ehesten entspricht. Falls jemand gehofft haben sollte, das Erscheinen des selbstbetitelten Masterplan-Debüts und des neuen Helloween-Albums "Rabbit Don't Come Easy" würde die Situation aufklären helfen, sieht er sich allerdings nun getäuscht: Masterplan müssen allein schon aufgrund der Beschränkung auf nur eine Gitarre, der Hinzunahme eines festen Keyboarders und des Backgroundes von Sänger Jorn Lande anders (nämlich hardrockiger) klingen, und Helloween gehen auf dem neuen Album stilistisch einen Schritt zurück und zugleich einen seitwärts. Die Düsternis von "The Dark Ride" ist gewichen, der leichte Thrash-Einschlag von "Better Than Raw" ist ohne Uli Kusch offensichtlich aber auch nicht reproduktionswillig gewesen, und so landet man unterm Strich bei einer ähnlichen Mischung wie auf "The Time Of The Oath", versehen allerdings mit ein paar Ausflügen in bisher kaum beackerte Gefilde. Wer beispielsweise beim achteinhalbminütigen Closer "Nothing To Say" (aus Weikaths Feder) irgendwie an Led Zeppelin oder angehörs des Flötenparts gar an Jethro Tull denkt, dürfte nicht ganz falsch liegen (daß Andi Deris kurz vor Schluß auch noch "I see the rainbow rising" singt, was nicht im Booklet vermerkt ist, setzt dem Ganzen die Krone auf). Der Opener "Just A Little Sign" überrascht ebenfalls, denn derartigen powernden wie hyperschnellen Metal traditionellster Prägung hat Deris bisher (mit Ausnahme des Geniestreichs "Before The War") nicht geschrieben - eigentlich war er mehr für die hardrocklastigeren Sachen oder die Balladen verantwortlich. Aber das Stichwort Ballade ist ein gutes, denn es verdeutlicht die Krux der Scheibe: Auch "Rabbit Don't Come Easy" kann songwriterisch nur teilweise überzeugen. Die Ballade "Don't Stop Being Crazy" ist nicht schlecht - aber "nicht schlecht" heißt nicht automatisch "gut": Das große Gefühl fehlt, die Melodie kippt den Hörer mitsamt der Hörerin nicht aus den Latschen ins Bett. Die letzten richtig guten Helloween-Balladen sind "Forever And One" und "If I Knew" - und die stammen von 1995/96! Auch von der metallischen Basis her ist keinesfalls alles Stahl, was glänzt. Neu-Gitarrist Sascha Gerstner bekleckert sich mit dem eigenartig strukturierten "Sun 4 The World" (das von Andi Deris zudem einen, ähem, komischen Text verpaßt bekommen hat) noch nicht so richtig mit Ruhm, Chef Weikath will sowohl in "The Tune" als auch in "Do You Feel Good" eindeutig zuviel - sowohl bei den Drumverschiebungen in erstgenanntem als auch in den Bridges des letzteren wären weniger Elementen wohl bessere Wirkungen zugekommen (was schade ist, denn von der grundsätzlichen Songidee her könnten beide Songs zu den absoluten Krachern zählen), die Deris-Weikath-Kombi "Back Against The Wall" hätte den latenten Industrial-Touch mancher Passagen gleichfalls nicht unbedingt nötig gehabt (das supercoole Talkbox-Solo ist im Kontext dieses Songs absolut unterbewertet), ein paar weniger Zwischenbremsungen hätten der Deris-Gerstner-Kollaboration "Listen To The Flies" nicht geschadet (dafür ist wenigstens die vorm Hauptsolo in eine sehr gutklassige Richtung entwicklungsbereit und löst dieses Versprechen auch ein), und Deris' "Never Be A Star" fällt auch nicht sonderlich auf - nicht in negativer Richtung, aber leider auch nicht ins Positive. Wenigstens konnte Bassist Markus Großkopf in wirren Zeiten den klaren Kopf behalten (was er schon früher mal bewiesen hat - "Shit And Lobster" wäre einer der besten Songs auf "Pink Bubbles Go Ape" gewesen, wurde aber ungerechterweise auf die B-Seite der "Kids Of The Century"-Single verdrängt) und mit "Hell Was Made In Heaven" das Highlight der CD (neben "Just A Little Sign") aus dem Ärmel schütteln können. Ob man dagegen "Nothing To Say" mag, dürfte pure Geschmackssache sein - Seventies Rock-lastiges Material ist man schließlich von Helloween nicht unbedingt gewöhnt (trotz der sehr heftigen Gitarren, die vom Sound her noch leichte "The Dark Ride"-Anklänge herübergerettet haben). Damit bleiben die Hamburger/Wahl-Spanier nach wie vor recht wenig ausrechenbar, was jedes neue Album von ihnen zu einer interessanten Entdeckungsreise werden läßt - nur reicht dieser Fakt allein nicht ganz aus, um "Rabbit Don't Come Easy" angesichts der rekognoszablen, wenn auch nicht überzubewertenden Schwächen außer dem Helloween-Fan auch dem interessierten Neueinsteiger ans Herz zu legen. Dieser sollte sich erstmal "Walls Of Jericho", den beiden "Keeper Of The Seven Keys"-Alben, "The Time Of The Oath" und "Better Than Raw" widmen.
Kontakt: www.helloween.org

Tracklist:
Just A Little Sign
Open Your Life
The Tune
Never Be A Star
Liar
Sun 4 The World
Don't Stop Being Crazy
Do You Feel Good
Hell Was Made In Heaven
Back Against The Wall
Listen To The Flies
Nothing To Say





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