www.Crossover-agm.de PATRICK GLÄSER: Orgel rockt - Die Live-CD 2012/2013 (Tour 2)
von rls

PATRICK GLÄSER: Orgel rockt - Die Live-CD 2012/2013 (Tour 2)   (SOUNDmanufaktur)

Das Konzept Patrick Gläsers, Klassiker aus der Rock- und Pop- sowie der Filmmusik auf einer traditionellen Pfeifenorgel in Kirchen umzusetzen, hat eine enorme Breitenwirksamkeit gefunden: Als Organist in zwei Jahren über 60 Solokonzerte zu spielen und dabei eine fünfstellige Zahl von Besuchern zu erreichen muß man heute erstmal schaffen - die Zeiten, wo Orgelkonzerte brechend volle Kirchen erzeugten, sind bekanntermaßen leider vorbei. Ohne das Instrument als solches zu verändern, hat Gläser durch die Einbindung neuen Repertoires der Orgel eine ganz neue Interessentenschar gewonnen, und das muß aus instrumentenpädagogischer Hinsicht erstmal sehr positiv bewertet werden. Nachdem auch die erste "Orgel rockt"-CD offensichtlich einen erfreulichen Zuspruch gefunden hat, liegt nun eine zweite CD vor, die das Tourprogramm vom 2012/13 akustisch konserviert.
Im Direktvergleich mit der ersten CD ergeben sich neben dem identischen Grundprinzip allerdings auch ein paar Unterschiede. Zum einen ist traditionelles Orgelrepertoire, wie es anno 2010 mit Leon Boëllmanns Toccata c-Moll aus der "Suite Gothique" noch eingestreut war, diesmal komplett abwesend. Zum zweiten aber handelt es sich nicht um den Mitschnitt eines einzelnen Konzertes, der dann mit einigen Beigaben von einem zweiten Konzert "rund gemacht" wird - die 14 regulären Tracks stammen diesmal aus zwölf Konzerten, lediglich die Jodokuskirche Regensburg und die Allhelgonaskyrke Lund (einer von zwei vertretenen Konzertorten in Schweden, alle anderen liegen in Deutschland) steuern jeweils zwei Stücke bei. Eine durchgehende Konzertatmosphäre war allerdings schon auf CD 1 nicht das Ziel gewesen, und auch auf CD 2 sind Applaus (abgesehen vom Schlußapplaus), Moderation und sonstige Zwischengeräusche herausgeschnitten worden, was mancher Hörer als Vorteil empfinden wird (man kann sich so ganz auf die Musik konzentrieren), mancher auch als Nachteil (die genannte Konzertatmosphäre ist eben nicht da). Da bekanntlich jede Orgel unterschiedliche technische Voraussetzungen bietet (die im Booklet auch für den Nichtorgelfachmann in verständlicher Form als Grundkurs erläutert werden), hat der Zusammenschnitt den Vorteil, sich für jedes Stück das am besten passende Instrument herauszusuchen, also für Stücke, die schnelle Tastenrepetitionen erfordern, nicht gerade eines mit einer schwergängigen Traktur nehmen zu müssen, und Stücke, für die man an einer bestimmten Orgel ein ideal passendes Register als spezielle Klangfarbe vorfindet, eben genau mit dieser Klangfarbe zu versehen, auch wenn sie in anderen Konzerten der Tour eben nicht zu hören gewesen ist. Problem ist allerdings noch die Gesamtspielzeit: Die regulären 14 Tracks bringen es nur auf knapp über 50 Minuten - da wäre sicherlich noch Platz für mehr gewesen, und wenn keine Songs mehr zur Verfügung gestanden haben sollten, hätte man auch ein und denselben mehrfach hintereinanderstellen können, um zu verdeutlichen, wie unterschiedlich ein und dieselbe Komposition an verschiedenen Orgeln klingen kann. Durch die Hinzufügung des bereits auf CD 1 enthalten gewesenen "Nothing Else Matters" in einer Fassung für Orgel und (leider recht vordergründig abgemischtes) Cajón unbekannter Herkunft kommt die CD dann unterm Strich auf knapp über 56 Minuten Spielzeit.
Was gibt es an Stücken zu hören? Die Bandbreite ist wie erwähnt groß. Vangelis' "Conquest Of Paradise" bietet sich als Opener förmlich an, das "Phantom der Oper" geistert durch die Kirche, und "Old And Wise" vom Alan Parsons Project war ja schon original recht sinfonisch gedacht. Erstaunlicherweise ist Gläser der Gefahr entgangen, von humorlosen Kirchenoberen feierlich für den Scheiterhaufen vorgeschlagen zu werden, weil er "Geboren um zu leben" von Unheilig ins Programm integriert hat; hier wäre allerdings eine etwas schärfere Melodiegestaltung reizvoll gewesen. Dafür entschädigt das nächste Stück, mit dem wir den Höhepunkt der CD vor uns haben, der sich dem Nichtkenner in der Tracklist ganz bescheiden präsentiert: "Kinderlied" von einem gewissen A. Ator. Der Kenner springt natürlich im Dreieck, denn dahinter verbirgt sich eine der besten Musikbusiness-Satiren der jüngeren Zeit, deren Originalvideo man sich zum Rezensionszeitpunkt hier anschauen kann:
http://www.youtube.com/watch?v=oOeugwd4vqs
Der textliche Humorfaktor von Knorkators "Kinderlied" geht in der Orgelfassung natürlich verloren, aber das macht Gläser mit einer Extraportion Klanggestaltungskraft wett und übersetzt den Satirefaktor eben in die Musik, wenn er die Nichtkenner, die angesichts des Titels irgendwas Harmloses erwartet haben, mit den Baßregistern der Rensch-Orgel in der Evangelischen Stadtkirche Schwaigern förmlich niedermäht, diese Powerpassagen aber geschickt mit zurückhaltenden Zwischenspielen und einer hier gut hervorgearbeiteten Hauptmelodie koppelt. Da kommt richtige Begeisterung auf, was in den folgenden Stücken durchaus gewissen Schwankungen unterworfen ist, wobei natürlich die persönlichen Präferenzen des jeweiligen Hörers eine wichtige Rolle spielen. Der Fußballfan wird, sofern er den FC Liverpool nicht von vornherein ablehnt, bei dessen Stadionhymne "You'll Never Walk Alone" sicherlich Habachtstellung annehmen und lauthals mitsingen, während manch anderer Hörer solche Handlungsweisen mit Kopfschütteln bedenken dürfte. Paul "Makka" kommt gleich doppelt zum Zuge, nämlich mit "Live And Let Die" und "All You Need Is Love" (ersteres recht dynamisch, zweiteres eher "vernebelt"), mancher Normalradiohörer wird sich freuen, jetzt endlich zu wissen, daß ein Stück, das er garantiert schon häufiger gehört und von der Hauptmelodie her immer irgendwie latent im Ohr hat, "Baker Street" heißt und von Gerry Rafferty stammt (die zweite Singleauskopplung aus dem 1978er Album "City To City", um genau zu sein), und der Cineast goutiert möglicherweise "Jurassic Park", aber auch er hätte sich hier vielleicht ein wenig mehr Sounddifferenzierung gewünscht. Als spezielle Zutat gibt es noch zwei Eigenkompositionen von Patrick Gläser namens "Schlagbäume" und "Spirits", deren Herkunft dem Rezensenten allerdings nicht bekannt ist, so daß er nicht sagen kann, ob es sich wie bei den anderen Stücken um Umarbeitungen bereits bestehenden Liedgutes handelt oder aber möglicherweise sogar um extra für das Orgel-rockt-Projekt entstandene Werke. Rein subjektiv empfindet der Rezensent die erste "Orgel rockt"-CD als etwas stärker, aber auch die zweite enthält reichlich Argumente für ihren Erwerb und läßt sich, wenn man die grundsätzliche Herangehensweise mag, mit viel Gewinn hören; einzig die nach hinten hin eher fallende als steigende Dynamikkurve ist ein wenig suboptimal. Ende Januar 2014 beginnt Tour 3, die dann hoffentlich auch wieder in Konservenform festgehalten wird. Die Wunschliste des Rezensenten ist immer noch die aus der Rezension zur ersten CD, wäre aber beliebig verlängerbar :-)
Kontakt: www.orgel-rockt.de, www.soundmanufaktur.de

Tracklist:
Conquest Of Paradise
Phantom der Oper
Old And Wise
Geboren um zu leben
Kinderlied
Angels
Schlagbäume
Live And Let Die
All You Need Is Love
Aquarius/Let The Sunshine In
Baker Street
You'll Never Walk Alone
Jurassic Park
Spirits
Nothing Else Matters (+ Cajón)



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