www.Crossover-agm.de FAITHFULL: Light This City
von rls

FAITHFULL: Light This City   (Perris Records)

Portugal ist nicht gerade das Land, wo man eine Band mit einem Sound wie Faithfull gedanklich ansiedeln würde - aber auch am Westrand der Iberischen Halbinsel weiß man offensichtlich klassischen Melodic Rock zu schätzen. Eigentlich muß man aber "wußte" schreiben und alle Betrachtungen in die Vergangenheit setzen, denn die Band existiert schon geraume Zeit nicht mehr. Gegründet anno 2001, nahmen Faithfull zwei Jahre später ihr Debütalbum "Light This City" auf, mit dem sie beim spanischen Label Vinny Records unterkamen und auch in Japan einen Deal bei Marquee/Avalon landen konnten. In den Folgejahren tauchten gelegentlich Songs auf Compilations auf, bisweilen Eigenkompositionen, aber auch eine Coverversion von "Only The Young" auf einem brasilianischen Journey-Tributesampler. Bis zum nächsten Studioalbum dauerte es allerdings fünf Jahre, in denen sich die Band aber live profilieren konnte und beispielsweise zweimal in Lissabon für Whitesnake eröffnen durfte. Besagter Zweitling hieß "Horizons" und kam bei den US-Genrespezialisten Perris Records heraus, die dann anno 2009 auch "Light This City" neu auflegten, und zwar in der Japanvariante mit dem Bonustrack "Cast Out The Rain" - das ist auch die Version, die die Grundlage dieser Rezension bildet. Entscheidend nach vorn gebracht hat das Ganze die Band aber nicht - sie spielte anno 2009 als Support für Russ Ballard ihr letztes Konzert, bevor Sänger Sérgio Sabino ausstieg und Bandkopf/Gitarrist Rui Martins daraufhin beschloß, Faithfull auf den Bandfriedhof zu schicken, von dem sie bis heute auch nicht wieder auferstanden sind.
Zwei Fakten des letzten Satzes finden eine eindrucksvolle Unterstreichung beim Durchhören der reichlich 56 Minuten Musik von "Light This City". Zum einen stellte Sabinos klarer und nur ganz leicht angerauhter, bisweilen (höre "I've Been Missing You"!) an eine etwas kräftigere Version von Jon Bongiovi erinnernder Gesang zweifellos einen der Haupttrümpfe Faithfulls dar, und solche Sänger international problemlos konkurrenzfähigen Formats, die sich auch noch die Mitwirkung in einer Melodic-Rock-Band antun wollen (was, wenn man keinen großen Status hat, eine ziemlich brotlose Kunst darstellt), dürften in Portugal wohl eher rar gesät sein, so daß die Suche nach einem Ersatzmann eine durchaus schwierige Aufgabe dargestellt hätte. Es gibt übrigens noch einen weiteren Sänger, an den Sabino sogar noch stärker erinnert, aber dem Rezensenten ist bisher noch nicht eingefallen, wen er hier in seinem Hirn zu verknüpfen versucht. Also erstmal weiter in der oben begonnenen Argumentation: Zum anderen hört man dem Material deutlich an, daß Martins der Chef im Ring ist, denn unter den Instrumenten liegt der Fokus ganz klar auf der Gitarre, und es dauert bis zum fünften Song "You Won't Get Me Now", ehe die Keyboards zumindest mal eine etwas bedeutendere atmosphärische Rolle spielen (von etwaigen Soloaufgaben reden wir gar nicht erst). Aber Martins rechtfertigt die Verantwortung auch, wenngleich oder auch gerade weil er gar nicht so viele technische Kabinettstückchen aus dem Hut zaubert, sondern eher gefühlvoll spielt und nicht selten auch auf verträumte zweistimmige Gitarrenlinien setzt, etwa im "Ending Song", der kurioserweise nicht etwa am Ende der Platte, sondern in der Mitte steht, nämlich an Position 6 - aber es wird noch kurioser: Er teilt die Platte auch stilistisch: Bis dahin haben wir nämlich klassischen Melodic Rock gehört, der zwar durchaus gerne flott Tempo machte, aber einen imaginären Härtegrad nie überschritt. Ab "Melting Your Ice" an Position 7 wird das anders - da setzt Martins stärker auf knackiges Hardrockriffing, ohne freilich mit den bisher liebgewonnenen Tugenden zu brechen. Heißt praktisch: Die Fähigkeit zum Komponieren starker Melodien ist erhalten geblieben und wird natürlich auch genutzt, und "Learned My Lesson" etwa siedelt irgendwo auf einer imaginären Grenze zwischen den beiden Teilen und kombiniert eines dieser angesprochenen knackigeren Riffs mit einem klassischen AOR-Refrain. Auffällig ist aber des weiteren, daß die Keyboards in der hinteren Albumhälfte doch etwas häufiger zum Einsatz kommen. Sollte hier Material aus zwei verschiedenen Bandarbeitsphasen verarbeitet worden sein? Die Facebook-Gedächtnisseite spricht von einem 13-Song-Demo zu Beginn der Aktivität, und "Light This City" enthält ja in seiner Vollversion auch 13 Songs, ist aber gemäß der besagten Seite erst nach Unterzeichnung des Deals mit Vinny Records anno 2003 aufgenommen worden, also, wenn das stimmt, zumindest aufnahmeseitig nicht mit dem Demo identisch und zudem in einem Guß aufgenommen worden. Dieses Rätsel kann vorläufig also nicht gelöst werden - aber der Unterschied ist ja auch wieder nicht so groß, daß er etwa einen Stilbruch bedeuten würde (einzig das harte und sogar mit Doublebassdrums unterlegte "Way Back" fällt etwas aus dem Rahmen und kratzt vernehmlich am Melodic Metal), und als Zusammengehörigkeitsfaktor gibt es ja da auch noch Sabinos Stimme, einen der Haupttrümpfe dieser Scheibe, dem das starke Songwriting aber auf dem Fuße folgt, selbst wenn die Refrains durchaus zwei, drei Durchläufe brauchen, bevor sie sich im Gehörgang festsetzen, von demjenigen des Titeltracks abgesehen, dem das schneller gelingt. An den beiden Enden der imaginären Seiten stehen jeweils (Halb-)Balladen, die beweisen, daß Faithfull auch auf diesem Sektor gute Arbeit abzuliefern in der Lage waren ("Please" bringt sogar noch eine Violine zu Gehör), wenngleich ihre volle Stärke doch eher in den Rocktracks liegt. Die beschriebene Art von Symmetrie wird durch den Japanbonustrack "Cast Out The Rain" etwas unterminiert, aber erstens ist auch das 'ne Halbballade, und zweitens nimmt man das man gerne in Kauf, wenn man dafür noch ein weiteres Beispiel der Songwritingkunst Faithfulls geliefert bekommt, obwohl der Song nicht zu den ganz großen Highlights der insgesamt aber sehr anhörenswerten Platte gehört. Wer schon immer mal wissen wollte, wie Bon Jovi ohne David Bryan (und statt dessen mit einer nur gelegentlich beschäftigten Aushilfe an den Tasten) klingen würden, der sollte "Light This City" jedenfalls ein Ohr schenken, und generell sollte das jeder qualitätsbewußte Melodic-Rock-Anhänger tun.
Kontakt: www.perrisrecords.com, https://www.facebook.com/pg/Faithfull-113959506564/about/

Tracklist:
Light This City
There's No Turning Back
All I Want, All I Need
I've Been Missing You
You Won't Get Me Now
Ending Song
Melting Your Ice
Learned My Lesson
Like A Shadow
The Way I Am
Way Back
Please
Cast Out The Rain
 




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