www.Crossover-agm.de EXODUS: Hazard
von rls

EXODUS: Hazard   (Metal Mind Productions)

Der Bandname Exodus dürfte in verschiedenen Leserkreisen sehr unterschiedliche Assoziationen hervorrufen. Der Experte für die christliche deutsche Bandlandschaft vergangener Jahrzehnte wird sich an eine Kirchenband dieses Namens erinnern, der Metaller denkt natürlich sofort an die legendären US-Westküstenthrasher um Gary Holt, die gerade ihren zweiten Frühling erleben, und dem Kenner der polnischen Rockmusik dürfte wieder eine andere Formation einfallen, die gemeinsam mit SBB und Collage in den 70ern die polnische Progrockszene begründete. Um letztgenannte Exodus soll es hier gehen, denn deren drittes und letztes Album "Hazard" liegt anno 2008 in einem aktuellen Re-Release vor. Original 1983 eingespielt, dürfte wohl das 25jährige Jubiläum des Albums den äußeren Anlaß zur Wiederveröffentlichung gegeben haben, aber Jubiläum hin oder her - die Qualität hätte auch zu jedem anderen Zeitpunkt eine Wiederveröffentlichung gerechtfertigt. Eine Band, deren Intro knapp sechs Minuten dauert und damit das längste Stück des Albums darstellt, ist entweder verrückt oder genial - oder beides. "Intro" stellt sich allerdings nicht einfach nur als banale Einleitung heraus, sondern als ein durchaus eigenständigen Charakter besitzendes Instrumentalstück, das seinen relativ geradlinigen Charakter mit einigen geschickt arrangierten Wendungen zu garnieren weiß (Wladyslaw Komendarek spielt da einige aberwitzige Keyboardbreaks). "A To Planeta" ist das erste Stück mit Gesang, und es fallen sofort einige Parallelen Pawel Birulas zu Jon Anderson von Yes auf, allerdings dergestalt, daß Birulas höhere Lagen an Andersons tiefe erinnern - von Falsett hält sich der Pole meist fern, dafür agiert er nicht selten auch deutlich tiefer, wo er bisweilen an eine etwas weniger stimmgewaltige Version von Blue Öyster Cults Eric Bloom erinnert. Blue Öyster Cult ist überhaupt ein gutes Stichwort, denn wenn die Polen "Rock" mal größer schreiben als "Prog", dann werden einige Parallelen zu ebenjener Truppe erkennbar (schön zu hören in "Wszystko Plynie"). Vor den Aufnahmen zu "Hazard" hatten Exodus mit Marek "Zefir" Wójcicki ein sechstes Mitglied in die Band aufgenommen, einen zusätzlichen Gitarristen, was zumindest einigen Tracks einen etwas härteren Anstrich verliehen haben dürfte, wohingegen andere dem 1983er Zeitgeschmack entsprechend (den man auch hinter dem Eisernen Vorhang kannte) ein wenig in Richtung dessen schielten, was man damals als "New Romantic" bezeichnete. Bezeichnenderweise heißt einer der Songs dann auch gleich "Nowi Romantycy", und er steht im scharfen Kontrast zu "Dybuk", das in der LP-Version vermutlich die B-Seite eingeleitet hat. Auch hier hat man zwar den Drums klanglich bisweilen einen leicht künstlichen Anstrich gegeben, aber generell entpuppt sich das Stück als die polnische Antwort auf Queens "We Will Rock You" (mit deutlich erhöhter Elementvielfalt allerdings), ergo als eine große Rockhymne, die eindeutig das Prädikat "Entdeckenswert" trägt - Pawel Birula stellt hier ein weiteres Mal seine stimmliche Breite unter Beweis, denn er kommt Freddie Mercury durchaus erkennbar nahe. "Aniol Stróz" ist dagegen eher im traditionellen Prog anzusiedeln, kreuzt munter britischen Frühachtziger-Prog mit dem gleichzeitigen Werk der Stern Combo Meißen, nachdem diese wieder einen Gitarristen besaß, und mixt einen Gutteil eigene Ideen hinein - man höre mal auf die geschickt eingeflochtenen tangoartigen Rhythmen! In eine ähnliche Richtung tendiert der Titeltrack, dessen ausgedehnter Solopart im Mittelteil mit seiner dramaturgisch geschickt ausgefeilten Steigerung besonders zu begeistern weiß. Hier haben wir zudem auch eine der wenigen Stellen, wo Pawel Birula stimmlich doch mal in Falsettnähe arbeitet. Das reguläre Album (das relativ unauffällige "Sadny Dzien" an vierter Position haben wir bei der Einzelbetrachtung unterschlagen) endet mit dem ruhigeren, leicht mystisch anmutenden "Nie Wiemy Nic", das sich als großartige Halbballade entpuppt und eines der weiteren wenigen Exempel für den falsettierenden Birula darstellt. Der CD-Re-Release fährt danach noch sechs Bonustracks auf, drei aus dem Jahre 1983 vor den Albumaufnahmen (noch ohne Wójcicki und tatsächlich auch weniger gitarrenlastig, dafür etwas "poppiger" als die späteren Aufnahmen, obwohl alle drei gleichfalls von Hauptkomponist/Gitarrist Andrzej Puczynski geschrieben) und drei weitere aus zwei verschiedenen Sessions des Jahres 1984, davon zwei beim polnischen Rundfunk in Warschau eingespielte - auch in Polen war die Rundfunkschiene offensichtlich eine günstige, mitunter gar die einzige Möglichkeit für Bands, zu qualitativ guten Aufnahmen zu kommen. Am Sound aller 15 Songs gibt es absolut nichts zu bekritteln - die Keyboardsounds sind halt die aus heutiger Sicht "historischen" von 1983, das muß man beim Hören immer im Hinterkopf behalten, und der bisweilen leicht sterile Touch ist ebenfalls durchaus als zeittypisch einzustufen und damit im dokumentarischen Sinne zu hören. Wenn man beispielsweise Saga-Platten von damals hört, klingen die auch nicht anders. Überhaupt sind Saga ein sehr brauchbarer Vergleich für Exodus, und wer das Werk der Kanadier, speziell das frühe, liebt, sollte sich auch mal mit dem Werk der Polen befassen. Für den Einstieg ist "Hazard" zweifellos gut geeignet, allerdings kann man auch gleich zur anno 2006 erschienenen 5-CD-Box "The Most Beautiful Dream" greifen, die im Prinzip das Komplettwerk der Band enthält.
Kontakt: www.metalmind.com.pl

Tracklist:
Intro
A To Planeta
Wszystko Plynie
Sadny Dzien
Nowi Romantycy
Dybuk
Aniol Stróz
Hazard
Nie Wiemy Nic
Praktyczny Kolor
Relacja Z Gieldy
Glupi Robot
Dwa Male Obrazki
Golem
Zawsze Przyjdzie Co Ma Przyjsc
 




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