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CATTLE DECAPITATION: The Harvest Floor
von *tf

CATTLE DECAPITATION: The Harvest Floor   (Metal Blade Records)

Die Zeiten sind härter geworden. Und wer das nicht glauben mag, sollte sich hintereinander die Vorgängerscheibe "Karma Bloody Karma" und das aktuelle Machwerk der Tierliebhaber aus Amiland einlegen. Wo geballter Frust plus geballter Wahnsinn geballten Krach auslösen, sind Cattle Decapitation nicht weit. Eine unbeschreiblich strudelhaft wirkende Mischung aus Grindcore, Death Metal und schwärzeren Kreischattacken geht von der ersten Sekunde des Longplayers auf den Zuhörer nieder, der - sofern mit mindestens halblangen Haaren ausgestattet - sicherlich zwanghafte Headbang-Bewegungen vollführen muss. Die Mucke der militanten Fleischesserhasser ist allerdings nicht nur laut und bösartig - hintergründig selbst im Titel 10 zu hören; des mit Riesenabstand leisesten und darum trotz alles Drohenden paradoxerweise friedlich anmutenden Tracks - sondern in einem höchsten Maße komprimierte Aggressivität, die sich musikalisch Bahn bricht und keine Verwundeten zurücklässt. Wer schon lange überlegte, vegetarisch zu leben und dabei eine besondere Form der Ermutigung benötigte, ist mit dem Soundtrack der vorliegenden Scheibe mehr als gut bedient. Obwohl insgesamt eingeräumt werden muss, dass die Penetranz der dichten Soundgewitter so aufmerksamkeits- und emotionsbindend ist, dass das Essen jeglicher Art zu dieser Musik schlicht und einfach undenkbar ist. Apropos Musik: Cattle Decapitation zeigen auch mit ihrer aktuellen Produktion zum einen wieder eindrucksvoll, wie weit dieser Begriff zu fassen ist. Zum anderen sind sie aus meiner Sicht die Meister derjenigen Tonerzeugung, die trotz aller Musikalität (schnelle instrumentale Wechsel, tonale Gegensätze, durchgehende harmonische Linien ...) zweifellos mehr ist als Musik. Wer immer noch bezweifelt, dass Sound einen direkten Zugang zum Gehirn hat - hier wird er fündig. Aber: Das ist Musik, die es ernst meint mit den damit vermittelten Botschaften (die für mich als Nichtexperte solcher Mucke allerdings bis auf Schlagworte [ja, genau, in diesem Sinne!] unverständlich geblieben sind). Musik für Erwachsene. Musik, mit der man sowohl ziemlich jeden (!) Gast oder auch Vögel von Landebahnen (für immer!) vertreiben kann. Musik gegen die Beliebigkeit des Kommerzkarussells. Popmusik, die keine Unterhaltung bietet, sondern jegliche im Keim erstickt. Popmusik, die weh tut, auch wenn man den Volumeregler auf ein erträgliches Maß zurückgepegelt hat. Ein wirkliches - und darum zu dosierendes - Erlebnis! Der vorweggenommene Soundtrack von Rinderpest und Schweinegrippe ... einige Tage und mehrmaliges Abhören später: ich muss zur Cattle-Scheibe noch einiges anmerken, vor allem dies: diverse Hinweise auf operngleiche Struktur gefunden! Das Konzeptalbum ist dermaßen dicht - oft könnte man aus einem Song ohne Weiteres vier oder fünf in sich sehr verschiedene Tracks konstruieren -, dass sich das Eigentliche erst im Lauf der Zeit und bei mehrmaligem Abtauchen ins musikalische Inferno erschließt. Im übertragenen Sinne könnte man bei "The Harvest Floor" von einer zeitgenössischen Oper sprechen. Neben diversen Akteuren, die im Verlauf der wechselnden Aufzüge (=Tracks) immer wieder klar erkennbar das Geschehen bestimmen, spricht auch die übergreifend sehr stringent angewandte Dramaturgie der Scheibe dafür. Das im Vergleich zum musikalischen Material bis hin zum Titelsong doch eher straighte Finale im Schlusstrack spricht für das sich über These und Antithese hin zur Synthese auflösende Finalgeschehen, wie man es in der Oper gemeinhin antrifft. Während das bis zum Titeltrack hinziehende musikalische Gemetzel dynamisch immer mehr an Fahrt aufnimmt, ist der Kunstgriff zum ruhig-sphärischen und musikalisch in Minimalmanier gehaltenen "Harvest Floor" ein Geniestreich erster Güte. Die musikalische Disziplin der Akteure, die eine dermaßen dichte Struktur der vorfinalistischen Tracks erst ermöglicht, hält den Spannungsbogen hier bis zur fast nicht mehr hörbaren Stille der isolierten menschlichen Stimme durch. Der aufmerksame Hörer, der bis hierhin durchgehalten hat, spürt dieser Stille das Bedrohliche ab, für die sie inmitten des Gesamtkunstwerks steht: das Verstummen angesichts des Massenmordes, der vorher eindringlich beschrie(be)n wurde. Ein großartiges Konzeptalbum, welches hiermit auch den Opernfreunden ausdrücklich ans Herz gelegt werden soll. Fünf Sterne plus!
Kontakt: www.cattledecapitation.com, www.metalblade.de

Tracklist:
1. The Gardeners Of Eden
2. A Body Farm
3. We Are Horrible People
4. Concrete
5. The Ripe Beneath The Rind
6. The Product Alive
7. In Axestacy
8. Into The Public Bath
9. The Harvest Floor
10. The Grave
11. Pandemic: The Damnation Epic: The Making Of



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