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von rls

AUTUMN: Tschornije Krylja   (Stygian Crypt Productions)

Das hier sind die russischen Autumn und nicht die gleichnamigen Holländer - aber eine Verwechslung hätte keine größeren Folgen, denn wer mit den einen warm wird, der dürfte auch die anderen schätzen. Beide Bands lassen sich zumindest in den gleichen großen Stiltopf einordnen, nämlich den des Gothic Metal, und dort machen sie es sich eher in der entspannteren Ecke gemütlich. Die Gitarren von Grigori Schubin und Juri Ketow bleiben häufig auch mal unverstärkt und breiten warme Klangteppiche aus, die wirkungsvoll mit den sparsam dosierten härteren Ausbrüchen kontrastieren. Das Ergebnis erinnert dann am ehesten an ein imaginäres Anathema-Album zwischen "The Silent Enigma" und "Eternity", den Quantensprung der britischen Band auf etwa halber Strecke unterbrechend. Vom Gesang her läßt Juri Ketow auch eher die klaren melancholischen Anteile dominieren; wenn er ins rauhere Fach wechselt, dann tut er das weniger mit tiefem Gebrüll wie viele Stilkollegen, sondern in der Manier eines mäßig rauhen Thrash-Shouters. Nur im Titeltrack läßt er nach Minute 4 mal kurz ein tiefes "Uhhh" ertönen, und weil ihm das offenbar so gut gefallen hat, wendet er diese Tonlage in den weiteren Nennungen des Songtitels erneut an. Dazu tritt in "The Conqueror Of My Heart" noch Marina Kogan mit weiblichen Gesängen in hohen, aber nicht unangenehmen Tonlagen - hier lassen die Kolleginnen von den holländischen Namensvettern recht freundlich grüßen. In "Golodnoje Serdze" kommt sie ebenfalls zum Einsatz, hier allerdings nur in flüsternd-hauchender Form. Temposeitig verbleibt die russische Band stilgemäß zumeist in langsamen, wenngleich nicht richtig schleichenden Gefilden, aber bereits der Vorschlußteil des dem Intro "Aurora Postera" folgenden "Radi Etich Glas ..." schraubt sowohl den Bombast- als auch den Tempofaktor nach oben, dabei fast in gemäßigten Italometalgefilden landend. Der Bombast bleibt auch nach der abschließenden Temposenkung erhalten - mit Arseni Semenichin ist ein fester Keyboarder an Bord, und der will natürlich zumindest ab und zu auch mal was zu tun haben. Und was er tut, das unterstützt die Stimmung des Albums exzellent. Die vier Songs plus Intro und Outro gehen fast allesamt ineinander über und machen daher ein 36minütiges Gesamtkunstwerk aus dem Album; es fällt auch schwer, einzelne Songs irgendwie herauszuheben, da sie alle nach ähnlichen Prinzipien aufgebaut und zudem partiell durchkomponiert sind, also nicht sklavisch das Strophe-Refrain-Solo-Schema verfolgen. Natürlich gibt es trotzdem Unterschiede auch bei den einzelnen verwendeten Stilmitteln. "The Conqueror Of My Heart" etwa enthält ebenfalls zwei relativ flotte Teile, aber die entbehren, von einem kurzen Hinzutreten des Keyboards im zweiten abgesehen, komplett des bombastischen Faktors - statt dessen treten zunächst die beiden Gitarristen in einen an alten Achtziger-Metal erinnernden Dialog (allerdings nicht nach dem Exzelsior-Prinzip), bevor die, die aus der rechten Box drang, schweigt und nur noch eine Gitarre, Baß und Schlagzeug eine längere Instrumentalpassage in alter Siebziger-Hardrockmanier intonieren, unterbrochen lediglich vom erwähnten Keyboardbombastpart. Das ist für eine rezente Gothicscheibe dann doch recht ungewöhnlich - noch ungewöhnlicher aber ist das, was man am Ende des Intros "Aurora Postera" zu hören bekommen hat. Oder kann sich jemand an ein Drumsolo auf einer Gothicscheibe erinnern? Live ist das ja eine oft und gern eingebaute Sache im Metal, aber schon auf Studioscheiben anderer Metalsubgenres findet sich so etwas äußerst selten. Hier jedenfalls darf Sergej Beryschew sich in überschaubarer Länge, aber doch vehement und altrockige Vorbilder vermuten lassend an seinem Instrument austoben. In den vier eigentlichen Songs spielt er mit mancherlei Rhythmuswechseln allerdings auch eine tragende Rolle und verhindert zuverlässig das Aufkommen von Monotonie, was in diesem Genre ja immer eine gewisse Gefahr darstellt, wenn man sich nicht auf kompaktes Songwriting (wie die mehrfach erwähnten Holländer) verlegt, sondern seine Ideen gerne auch mal spazierengehen läßt. Und an Ideen mangelt es dem russischen Sextett (die Besetzungsliste weist sechs Leute aus, obwohl auf dem Bandfoto nur fünf abgebildet sind) beileibe nicht. Um mitsingen zu können, muß man in drei von vier Fällen allerdings der russischen Sprache mächtig sein, bekommt aber zumindest die Lyrics im Booklet mitgeliefert. Das Album ist bereits 2000 eingespielt, aber 2005 noch einmal remastert und wiederveröffentlicht worden, und wer sich nach aktuellem Material der Band auf die Suche macht, der muß unter einem anderen Namen weitersuchen - es gab eine Umbenennung in ... And We Are Falling Leaves ... (so hieß auch das 1997 erstveröffentlichte und 2006 re-releaste Album). "Tschornije Krylja" jedenfalls lohnt für Genrefreunde den Erwerb trotz der nicht überlangen Spielzeit definitiv, während Genreeinsteiger möglicherweise mit den kompakter inszenierenden Holländern besser bedient sind.
Kontakt: http://stygiancrypt.cjb.net

Tracklist:
Aurora Postera (Intro)
Radi Etich Glas ...
The Conqueror Of My Heart
Golodnoje Serdze
Tschornije Krylja
Gimn Besumnym (Outro)
 




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