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von ta

ARCTURUS: Arcturian   (Prophecy)

Oh Mann. Manchmal ist die Grenze wirklich schwer zu ziehen. "Sideshow Symphonies", der inzwischen ganze zehn Jahre zurückliegende Vorgänger von "Arcturian", war mein musikalischer Höhepunkt 2005. Vor einer Dekade stellte ich fest, das Album sei "beinahe kitschig", "überraschend soft", "eingängig und leicht zugänglich", geprägt von einer "Dominanz der Synthesizerklänge" und "[d]ie Gitarren [seien] nun generell das Unauffälligste", was mich indes nicht davon abhielt, zu urteilen, dass das Ergebnis "kongenial" und "ein kleines, schlaues Referenzwerk im Prog Metal" sei, "einen auf völlig kluge Art und Weise gefangen" nehme und "in die Top Ten der gelungensten musikalischen Exkursionen 2005" gehöre.
Ich zitiere mich selbst so ausführlich, weil anno 2015 alles gleich ist und doch wieder alles anders. "Arcturian", das Comeback-Album nach langer Pause und zwischenzeitlicher Auflösung der Band, knüpft an "Sideshow Symphonies" an, insofern es die oben genannten Stilmerkmale betrifft. Aber meine Begeisterung hält sich anders als 2005 doch arg in Grenzen.
"The Arcturian Sign", der bereits vorab als Appetizer veröffentlichte Opener des Albums, lockt den Hörer auf eine falsche Fährte: Dramatisch, energisch und mit dominanten Gitarren erinnert er etwas an alte Arcturus, gleichzeitig enthält er den überbordenden Bombast und die Melodik der jüngeren Alben und bietet eine mitreißende Gesangsperformance von Simen "ICS Vortex" Hestnęs, einerseits etwas verrückt, andererseits doch irgendwie eingängig. Eine gelungene Mischpoke, die sich live sicherlich und zu Recht zu einem Dauerbrenner entwickeln wird. Mit "Bane" enthält "Arcturian" einen weiteren Hochkaräter, der crazy anhebt, mit tanzbaren Quarten, die an den Classic "Chaos Path" von "La Masquerade Infernale" erinnern, um dann eine Metamorphose in Melancholie und Trauer zu durchlaufen und das Album nachdenklich ausklingen zu lassen. Sehr schön, sehr schön.
Moment mal, was heißt hier: ausklingen? Ja, das stimmt schon so. Das erste Highlight des Albums steht an erster Stelle und das zweite tatsächlich erst an letzter. Dazwischen ist nicht durchweg, aber doch sehr viel Leerlauf. Auf "Arcturian" leben Arcturus ihre elektropoppige Seite aus wie nie zuvor. Der komplette Mittelteil des Albums schließt an "Nocturnal Vision Revisited" an, und das war der schwächste Song auf "Sideshow Symphonies". "Demon" an sechster und "The Journey" an achter Stelle sind nahezu Metal-freie Zone und insbesondere erstgenannter Song stellt mit Drumloops und verquer-verliebten Säuselexzessen den Metal erwartenden Hörer auf eine harte Probe. In "Warp" gibt es poppige Synthies und Britpop-Rhythmen, "Game Over" hat einen geradezu programmatischen Titel und ist selbst mit seinen EBM-Elementen sehr hüftlahm. Natürlich ist nicht alles zwischen Opener und Closer schlecht. Jeder Track enthält Einzelelemente, die spannend, witzig oder klug sind. Und einige Songs sind auch als ganze überzeugend: In "Archer", das klingt wie mittelalte Genesis auf Bombast-Metal getrimmt, ist die bedächtige Gangart des Albums in eine fruchtbare Richtung entwickelt. Auch "Angst" nimmt einen mit seiner eigentümlichen Mischung aus treibender Doublebass-Rhythmik und zurückhaltendem, mittelhohem Gesang gefangen und bietet nebenbei mit Blastbeats und wildem Geschrei die schwarzmetallischsten Arcturus-Momente seit dem fabelhaften Debüt "Aspera Hiems Symfonia".
Aber darüber hinaus bietet die lange Mitte dieses Albums nichts wirklich über Liedlänge Hochwertiges. Ich meine, Arcturus sind eine der relevantesten, eigenständigsten und verehrenswertesten Metal-Bands der Gegenwart. Aber gerade deswegen sind die Erwartungen immens hoch und "Arcturian" kann sie einfach nicht erfüllen. Wo Arcturus früher für zupackendes Weltraumdrama standen, ist jetzt Weltraumödnis bis hin zu langsamem Wegschnarchen angesagt. "Arcturian" ist über weite Strecken bedächtig und entspannt, dabei aber auch hintergründig und unauffällig, zumindest, wenn man Arcturus-Maßstäbe ansetzt.
Setzt man keine Arcturus-Maßstäbe an, hat man immer noch ein originelles, eigenständiges Album vor sich, gerade wegen der Einbindung von Elektronika, der stiefmütterlichen Behandlung der Gitarren und natürlich auch wegen des einmal mehr exzellenten Drummings von Hellhammer. Und im Überblick ist das Album in seiner dezenten Gangart auch stimmig und glaubwürdig. Insofern sollte unbedingt jeder "Arcturian" eine Chance geben. Mit professioneller Distanz und Unvoreingenommenheit betrachtet hat das Album vermutlich eine Menge zu bieten und beinahe tut es mir leid, diese professionelle Distanz und Unvoreingenommenheit nicht zu besitzen, zumindest noch nicht. Manchmal ist die Grenze eben wirklich schwer zu ziehen.
Kontakt: www.facebook.com/arcturusnorway, http://de.prophecy.de

Tracklist:
1. The Arcturian Sign
2. Crashland
3. Angst
4. Warp
5. Game Over
6. Demon
7. Pale
8. The Journey
9. Archer
10. Bane



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