www.Crossover-agm.de APOCALYPTICA: Shadowmaker
von rls

APOCALYPTICA: Shadowmaker   (Harmageddon Records)

In gewissen Abständen haben Apocalyptica jeweils Entwicklungssprünge vollzogen, um ihren allein auf vier Celli basierenden Ausgangssound um neue Aspekte zu erweitern. Das ging schon auf dem Drittling "Cult" los, wo anstatt der bisher cellosimulierten Percussioneffekte erstmals echtes Schlagwerk zu hören war, und selbiger Schritt führte dann dazu, daß Drummer Mikko Sirén anno 2005 festes Bandmitglied wurde. Die Special Edition von "Cult", ein Jahr nach dem ursprünglichen Album veröffentlicht, beinhaltete auf CD 2 Neueinspielungen der Stücke "Path" und "Hope" mit Sandra Nasic bzw. Matthias Sayer als Gastsängern, und fortan befanden sich auch auf den regulären Alben immer wieder einzelne Stücke, die mit Vocals verschiedenster Art ausgestattet wurden und von denen einige gar ein gewisses Hitpotential zeigten. Als Apocalyptica nach Album numero sieben, passenderweise "7th Symphony" betitelt, erstmal das "Wagner Reloaded"-Großprojekt mit dem MDR Sinfonieorchester gestemmt hatten (der Rezensent hat die regulären Aufführungen anno 2013 leider verpaßt, und die Zusatzaufführungen wurden abgesagt, nachdem bei einem Einbruch die Bühnenelemente gestohlen worden waren), machten sie sich Gedanken, was sie auf ihrem achten Album anstellen würden - und es entstand die Idee, viel stärker mit Gesang zu arbeiten als bislang und zudem nicht mit verschiedenen Gastsängern zu arbeiten, sondern einen festen Vokalisten zu verpflichten, zunächst mit dem Status eines festen Gastmusikers und der Aussicht zur "Beförderung" zum festen Bandmitglied, wenn sich auf der anstehenden Tour herausstellt, daß die Konstellation funktioniert und weitergeführt werden soll. Die diesbezügliche Entscheidung scheint noch nicht gefallen zu sein, aber zumindest in der Konservenversion macht der Vokalist erstmal einen starken Job. Es handelt sich um Franky Perez, einen Amerikaner mit Hispano-Wurzeln, der bisher u.a. im Umfeld von Slash gearbeitet und auch Solowerke veröffentlicht hat, zudem auch Gitarre spielen kann, was zweifellos nützlich ist, falls Eicca Toppinen und seine Jungs in Zukunft auch noch dieses Instrument einfließen lassen wollen. Zunächst sind allerdings nur Perez' stimmliche Qualitäten gefragt, und da weiß der Mann durchaus hoch zu punkten: Die Stimme liegt in bestem Sinne im Normalbereich und ist dort aber offenbar recht belastbar, kann Melodien halten, ist angenehm zu hören, verschreckt kein Mainstreampublikum - und wenn's doch mal kurz heftiger werden soll, kann Perez durchaus auch mal schreien wie im Intro von "House Of Chains", oder Produzent Nick Raskulinecz legt kurzerhand einen fiesen Effekt über den Gesang, etwa im ausladenden Titeltrack, der in seiner ellenlangen Solosektion allerdings auch die alten Apocalyptica reminisziert und unter Beweis stellt, daß sie ihre Gestaltungskraft mit ausschließlich Celli und Drums keineswegs verloren haben. Und Perez ist nicht in allen Songs beteiligt, es gibt nach wie vor klassische Apocalyptica-Instrumentals wie etwa "Reign Of Fear", übrigens eine Eigenkomposition und nicht etwa ein Cover von Armored Saint oder gar des verlorengegangenen Titeltracks des ersten Rage-Albums. Überhaupt stellt man beim Lesen der Credits fest, daß Coverversionen diesmal komplett abwesend sind - zwar hat Toppinen einige der Songs gemeinsam mit externen Songwritern verfaßt, aber es gibt keine der zwölf Nummern, die komplett aus fremder Feder stammt. Das spricht einerseits für die ungebrochene Kreativkraft der Finnen plus ihres Gastamerikaners (auch der bekommt schon Credits, wobei unklar bleibt, ob er an der Musik mitgewirkt oder "nur" die Texte geschrieben hat), andererseits ist's schade, daß sie ihre Ursprünge in dieser Richtung mittlerweile ganz aufgegeben haben und wir so darum gebracht werden, weitere Meisterwerke der Rock- und Metalgeschichte in der originellen Apocalyptica-Variante zu hören. Aber noch ist ja nicht aller Tage Abend, und vielleicht sehen die Verhältnisse auf dem nächsten Album schon wieder ganz anders aus. Auf "Shadowmaker", das bereits im Coverartwork seine Ordnungszahl im Apocalyptica-Gesamtwerk andeutet, sind jedenfalls andere Qualitäten gefragt - und siehe da, Toppinen und Martin Hansen können auch völlig problemlos eine eingängige Melodic-Rock-Nummer schreiben, wie gleich das nach dem kreativ noch nicht ausgereizt wirkenden Intro folgende "Cold Blood" unter Beweis stellt, dessen einziger Unterschied zu einem "normalen" Melodic-Rock-Song eben die Instrumentierung ausschließlich mit Drums, Effekten und Celli ist. Der deutlich kompliziertere, längere und forderndere Titeltrack an der nächsten Position macht klar, daß diese beiden Songs so etwas wie den Rahmen des aktuellen Apocalyptica-Sounds bilden, der hier und da zwar gedehnt (die Balladen "Hole In My Soul" und [sehr dramatisch und bandintern nicht von Toppinen, sondern von Perttu Kivilaakso geschrieben] "Dead Man's Eyes", das phasenweise tanzclubkompatible "Riot Lights"), aber nicht durchbrochen wird. Perez wird es freilich dem Rezensenten hoffentlich nachsehen, daß dieser den vierten Instrumentaltrack der Scheibe, "Till Death Do Us Part", der gewissermaßen noch einmal den Geist der frühen Apocalyptica heraufbeschwört, als seinen Favoriten der Scheibe erkoren hat, gefolgt allerdings in nicht allzuweitem Abstand vom Titeltrack. Das Mainstreampublikum, das die Finnen mit dieser Scheibe noch stärker an sich binden könnten (wobei sie interessanterweise justament den Titeltrack als Single ausgekoppelt haben und nicht etwa "Cold Blood"), wird das möglicherweise anders sehen, aber so findet jeder seine konkrete Interessenlage in den 65 Minuten Musik der vorliegenden Edition von "Shadowmaker" wieder. Keine Ahnung, ob das irgendwie eine Special Edition ist, jedenfalls steckt sie in einem Digibook mit geringfügig größeren Maßen, das zwar geschmackvoll und symbolreich in Schwarzweiß gestaltet, aber wieder mal nicht vernünftig archivierbar ist. Und wo ist eigentlich der Song "Waltz Of Death", in dem laut Credits Produzent Raskulinecz eine "special appearance" an einem "Doom cello" hat?
Kontakt: www.apocalyptica.com

Tracklist:
I-III-V Seed Of Chaos
Cold Blood
Shadowmaker
Slow Burn
Reign Of Fear
Hole In My Soul
House Of Chains
Riot Lights
Come Back Down
Sea Song (You Waded Out)
Till Death Do Us Part
Dead Man's Eyes
 




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