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AMATORY: 6
von rls

AMATORY: 6   (Digital Records)

Amatory hatten vor etlichen Jahren verwirrenderweise ihr viertes Album "VII" getauft - aktuell stimmt die Zählung aber wieder, wenn man die vollen Studioalben als Maßgröße wählt: Das nach dreijähriger Bandpause veröffentlichte "6" ist in dieser Folge tatsächlich dasjenige mit der Ordnungszahl 6. Zugleich handelt es sich um das erste, welches im CD-Player des Rezensenten gelandet ist, der daher nicht einschätzen kann, ob die Angaben in der Literatur, die Band habe früher Nu Metal gespielt, korrekt sind (die Information, daß von 2004 bis 2010 der Keyboarder Igor Kapranow außer seinem Tastenjob auch noch Rapvocals zum Bandsound beigesteuert habe, könnte dafür sprechen). Von Nu Metal ist in den knapp 38 Minuten von "6" jedenfalls wenig zu hören - wir finden hier vielmehr diejenige moderne Metalcorevariante vor, für die Soilwork seit der Jahrtausendwende den Weg gewiesen haben und den dann Sonic Syndicate mit Popeinflüssen weiterentwickelten. Das ist anno 2015, im Erscheinungsjahr von "6", natürlich auch in Rußland, dem Heimatland der Band, nichts Neues oder Originelles mehr, aber mit diesem Anspruch sind Amatory offensichtlich auch nicht angetreten. Für den nichtrussischen Hörer stellt natürlich die Verwendung der russischen Sprache in den Lyrics zumindest ein Originalitätsmerkmal dar, aber ansonsten konzentrieren sich Amatory auf die Anwendung und ggf. Verfeinerung bekannter Songwritingmuster und erzielen ein gutes, aber auch in gewisser Weise austauschbares Ergebnis, welchem zudem die ganz großen Hits überwiegend fehlen, von der Hymne "15/03" vielleicht mal abgesehen. Alle zehn Songs sind recht kompakt inszeniert (über 4:20 Minuten geht keiner hinaus), und es dauert bis zum fünften ("Protiw Wsjech"), bis sich Drummer Daniil Swetlow mal traut, die Schlagzahl wenigstens temporär bis in obere Midtempobereiche zu führen, was freilich nur ein Strohfeuer ist, denn das Gros des Songs verfällt dann wieder ins langsamere, teils verbreakte Geschiebe und wird nur durch die unauffällige Wiederkehr eines marschierenden Beats kurz vor Ende nochmal aufgelockert. Selbiger Drummer und der Bassist/Teilzeitsänger Denis Schiwotowski sind Gründungsmitglieder aus dem Jahr 2001, jüngste Errungenschaft hingegen der Gitarrist Dmitri Musitschenko, der nebenher auch noch den Job des Synthieprogrammierers übernimmt, und der ist für den aktuellen Bandsound definitiv wichtig, setzen die Synths doch deutlich mehr melodische Akzente als die Gitarren. Hauptsänger Wjatscheslaw Sokolow bedient sowohl das rauhe als auch das cleane Fach und macht in beiden durchaus eine gute Figur - sein Shouting besitzt eine gewisse Grundaggressivität, fällt aber nie so herb aus, daß Amatory für die breite Masse der jugendlichen Hörer zu heftig agieren würden. Die Mischung funktioniert offenbar - in ihrer Heimat soll die St. Petersburger Band recht angesagt sein und ist anno 2005 auch schon mit dem Russian Alternative Music Prize ausgezeichnet worden. Apropos Mischung: Mit dem auch als Single ausgekoppelten "Ostanowitj Wremja" gönnen sich Amatory einen programmatisch betitelten Rückblick in die Musikgeschichte, vielleicht auch ins eigene Schaffen: "Die Zeit anhalten" heißt der Titel übersetzt, und in den knapp vier Minuten finden wir neben einem sanften Klavierintro, das selbst Tuomas Holopainen hätte schreiben können, auch Percussionelemente, die an die Mittneunziger-Sepultura erinnern, die zugleich auch das Hauptriff hätten schreiben können, sich die zentrale, fast dancefloorkompatible Steigerung aber selbst in ihren experimentellsten Zeiten nicht getraut hätten. Wenn sich noch numetallische Spuren im heutigen Bandsound finden, dann am ehesten hier, in den Linkin-Park-Gedächtnisstrophen von "Negatiw" und im bisweilen zu hörenden Gitarrengequietsche in "Drugije". In der zweiten Albumhälfte, wo u.a. diese drei Songs stehen, agieren Amatory tatsächlich einen Deut vielschichtiger und experimenteller, während die erste Hälfte eher auf Nummer sicher geht, allerdings wie erwähnt durchaus kompetent eingespielt und auch international konkurrenzfähig produziert ist. Wer diese Sorte Musik also schätzt und seine Sonic-Syndicate-Alben langsam auswendig kennt, könnte hier einen Überraschungsfund machen.
Kontakt: www.amatory.ru

Tracklist:
Pjerwy
Proschtschai
Imja Woina
15/03
Protiw Wsjech
Na Grani
Ostanowitj Wremja
Drugije
Negatiw
Unesjonnije Peplom
 




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