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Wolf-Rüdiger Mühlmann: Letzte Ausfahrt: Germania. Ein Phänomen namens Neue Deutsche Härte
von rls anno 2000

Wolf-Rüdiger Mühlmann: Letzte Ausfahrt: Germania. Ein Phänomen namens Neue Deutsche Härte

"Rrrammstein - ein Mensch brrrennt" versus "Rrrinnstein - ein Mensch strrrullt". Nachdem der Death Metal sein Schockpotential schon lange verloren hat, das des Black Metal auch schon wieder ziemlich begrenzt ist, seit keine Kirchen mehr brennen und von angeblichen oder tatsächlichen Morden im Namen Satans nichts mehr an die Öffentlichkeit dringt, suchen einige Bands mehr oder weniger verkrampft nach neuen Tabus, die man noch brechen kann. Und siehe da, SEHR deutsche Ästhetik, ein rollendes R, wie Carrrolin(e) Rrreiberrr es nicht besser hinbekommt, knüppelharte deutsche Texte und Riefenstahl-Video-Sequenzen, alles komplett oder teilweise gerührt, nicht geschüttelt, schaffen es tatsächlich, dem sich gleichermaßen vor Ideenlosigkeit wie in provokatorischer Agonie windenden harten Musikmarkt ein paar Kicks aus der Starkstromdose zu verpassen. Plötzlich hat irgend ein Marketingstratege eine Idee, und aus dem Äther schwebt der Terminus "Neue Deutsche Härte", bald mit dem Autokennzeichen für Nordhausen, also NDH, als einprägsames Kürzel versehen, auf den Tummelplatz der musikalischen Eitelkeiten hernieder. Selten zuvor rief eine Bewegung, die eigentlich gar keine ist, da die ihr zugerechneten Bands unterschiedlicher nicht sein könnten und außer dem Gebrauch der deutschen Sprache in ihren Texten keine allumfassende Gemeinsamkeit haben, derart antagonistische Meinungsäußerungen hervor.
Wolf-Rüdiger Mühlmanns Verdienst ist es, in diesem Buch einen Versuch zu unternehmen, alle möglichen Fakten aller möglichen Scheinbar- oder Tatsächlich-NDH-Protagonisten ans Tageslicht zu zerren und dem Leser damit die Möglichkeit zu geben, über die zahlreichen Streitfragen und besagten antagonistischen Äußerungen selbst zu urteilen. Der Erzgebirgsflüchtling bringt dabei durchaus seine eigene Meinung zum Ausdruck, übertreibt es dabei mitunter aber ein wenig, wenn es ums Dissen vermeintlicher Mitläuferbands oder genauso vermeintlicher eine kritische Beobachtung notwendig machender Verhaltensweisen geht. Außerdem muß der vielerörtige Mangel konkreter Quellenangaben negativ gebrandmarkt werden - ich habe allerdings ein paar Aussagen, deren Quelle mir bekannt war, nachgeprüft und keine Inkorrektheiten feststellen können, weshalb ich diese Unterlassung dem Autor nicht als böswillig anhängen möchte. Was ein wenig schwerer wiegt, ist der Eindruck, daß das Buch etwas zusammengestückelt wirkt (als ob die 23 Kapitel als Fortsetzung in einer Zeitschrift erschienen und hernach mangelhaft überarbeitet worden wären, wobei erstgenanntes aus inhaltlichen Gründen allerdings nicht der Fall sein kann) und man auch beim neunten Vorkommen von Alfred Schobert erneut erklärt bekommt, wer das ist und was sich hinter dem Kürzel DISS verbirgt. Außerdem fehlt mir eine wichtige relationale Klarstellung: Sicherlich sind viele der abgedruckten Texte relativ martialisch, meinetwegen auch gewaltästhetisierend, und es ist deshalb nicht unbedingt positiv zu bewerten, wenn irgendwelche Halbstarke fröhlich Rammstein- oder gar Stalin-Refrains grölend durch die Straßen ziehen - aber dieser Eindruck kommt nur in diesem Maße zustande, weil man die Texte versteht, was in der imaginierten analogen Situation mit Bathory- oder Saxon-Texten nicht der Fall wäre, obwohl die in der Übersetzung auch nicht wesentlich anders aussehen würden.
Aber egal: Dieses auch kulturtheoretisch wertvolle Buch vermittelt in größtenteils angenehmer und gut lesbarer Schreibe viel Hintergrundwissen, das sich auch im Vordergrund nutzbringend anwenden läßt, was nicht zuletzt auch an den diversen O-Ton-Interviews festzumachen wäre. Sehr ausführlich behandelt Mühlmann neben (natürlich) Rammstein auch die knäuelhaft verworrenen Ereignisse rund um Josef Maria Klumb und dessen Bands Forthcoming Fire und Weissglut, was den Autor wohl auf die Abschußliste ultralinker wie -rechter Gruppierungen setzen wird. Und so ganz nebenbei outet er (wohl ungewollt) seinen Rock Hard-Schreiberkollegen Marcus Schleutermann als den unsympathisch-pseudoinvestigativen Journalisten, für den ich ihn schon längere Zeit halte (lest mal den letzten Absatz auf S. 19 genau durch ...). Schließlich: Wenn Mühlmann eigene Meinungen äußert, muß man ihm ja nicht unbedingt zustimmen (so ist z.B. meine Schlußfolgerung über Josef Maria Klumb anhand von allem, was ich bisher über ihn weiß, doch ein ordentliches Stück von der Mühlmannschen verschieden, und zwar weder in linke noch in rechte, sondern in tiefere Richtung).
Zu haben ist das in typischer I.P.-Manier gestaltete Buch für 34,90 DM plus zweieinhalb Portomärker beim I.P.-Verlag, DGZ-Ring 7, 13086 Berlin.

Wolf-Rüdiger Mühlmann: Letzte Ausfahrt: Germania. Ein Phänomen namens Neue Deutsche Härte. Berlin: I.P. Verlag 1999. ISBN 3-931624-12-9. DM 34,90
 






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