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Roland Seim/Josef Spiegel (Hrsg.): "The Sun Ain't Gonna Shine Anymore". Tod und Sterben in der Rockmusik
von ta anno 2010

Roland Seim/Josef Spiegel (Hrsg.): 'The Sun Ain't Gonna Shine Anymore'. Tod und Sterben in der Rockmusik

"Wir werden alle sterben, haltet euch bereit.
Die Zeichen sind eindeutig; bald ist es soweit.
Vielleicht schon heute Abend, vielleicht in einem Jahr;
Doch alle werden sterben, traurig aber wahr."

So Knorkator im brillanten "Wir werden" von 2006. Traurig, aber wahr. Eine Analyse des Textes hat es leider nicht mehr in den vorliegenden 270-Seiter geschafft, aber allerlei vergleichbares Material ist doch vorhanden. "Tod und Sterben in der Rockmusik" ist einerseits eine eigenständige Aufsatzsammlung zum im Titel genannten Thema, andererseits Begleitkatalog zur gleichnamigen Ausstellung, die bis zum 12. September 2010 im Museum für Sepukralkultur in Kassel zu besuchen war. Da ich mit der Ausstellung nicht vertraut bin, konzentriere ich mich auf das Buch als eigenständiges Werk.
Die Aufsatzgliederung im Groben. Es gibt
(i) die dominierenden Aufsätze zu einzelnen Szenen bzw. Genres (Hippies, Gothics, Punks, Hardcore, Psychedelic Rock, Hip Hop);
(ii) Detailbetrachtungen anhand einzelner Vertreter (Oomph!, Carcass, The Doors, Poison Idea, Bob Dylan & Wolfgang Hilbig, der Cover-Künstler William Schaff) und
(iii) Detailbetrachtungen anhand einzelner Themen (Selbstmord & Todessehsucht, Memento Mori & Apokalypse).
Das Fass zu macht eine Abhandlung von Schulpsychologe Michael Sylla zu der Frage, ob die Ausstellung selbst (die auch in Schulen gezeigt werden soll) überhaupt moralisch vertretbar sei. Da eine Detailbetrachtung jedes Aufsatzes die Lesbarkeit dieser Rezension arg mindern würde, folgt eine gebündelte Darstellung.
Die Aufsätze zu einzelnen Szenen bzw. Genres sind allesamt inhaltlich sehr ordentlich, leiden aber häufig unter dem Makel, dass zu große Teile von ihnen das Thema des Buches verfehlen. Der Aufsatz zur Hippie-Kultur (Wassum/Pennig) liefert einen wunderbaren Einblick in Entstehung und Verlauf derselben, streift aber das Todesthema nur marginal. Das Kapitel zu den Doors (Sidorowicz) ist eigentlich ein Kapitel zur Person Jim Morrison. Nun kann man natürlich um dessen frühen Tod herum ein ganzes Kapitel eines Buches inszenieren, aber erstens ist dem Tod Morrisons nur das Schlussstück des Kapitels gewidmet (ansonsten geht es um seine Persönlichkeit, Ansichten, seinen Drogenkonsum und gelegentlich auch seine Texte), zweitens distanziert sich Herausgeber Spiegel im Vorwort (S. 5) ohnehin von der Perspektive auf das Thema über die Biographie des Künstlers. Vergleichbar am Thema vorbei geht der (inhaltlich ebenfalls korrekte) Aufsatz von Bettina Volk zur Gothic-Szene. Das wird jedoch relativiert durch die Tatsache, dass die Gothic-Szene und ihre erotische Beschäftigung mit dem Tod in einem exzellenten Aufsatz von Philip Akoto noch einmal eigens betrachtet wird.
Die Detailbetrachtungen zu einzelnen Künstlern sind die gelungensten des Katalogs. Hier sei insbesondere auf die differenzierte Analyse von Torsten Neumann zu den Texten von Oomph! verwiesen, die eine gelungene Reflexion zum Verhältnis von Künstlerintention und Rezeption enthält, sowie auf den Text "Die Faszination von Leichenfotos", in dem sich Dominik Irtenkauf lesenswert mit dem Konzept der Pathologen-Grinder Carcass auseinandersetzt und u.a. die ziemlich coole These vom Stapel lässt, dass Pathologen-Grind der Versuch wäre, Musik an Geräusche aus der Pathologenpraxis anzunähern (S. 184). Klingt allemal plausibler als Dieter Hiebings Idee, das Blastbeat-Geholze von Carcass und Napalm Death sei eine "unbewusst[e] Reminiszenz an das Vanitas-Symbol der Flüchtigkeit des Klangs" (S. 216f.). Prinzipiell sind solche gewagten Thesen jedoch in der Minderzahl.
Und sonst? Metal wird in der Einleitung von Josef Spiegel konsequent eingedeutscht als "Metall" bezeichnet und diverse Lektoratsfehler, besonders vergessene Leerzeichen, fallen auf Dauer auf. Aber das ist nun wirklich Krümelkackerei. Positiv zu Buche schlagen neben den oftmals gelungenen Aufsätzen die übersichtliche Darstellung und die über 200 Illustrationen, zumeist von CD-/Plattencovern.
Insgesamt ist "Tod und Sterben in der Rockmusik" eine lesenswerte und breite Zusammenstellung, bei der man eben nur im Auge behalten sollte, dass sie das im Titel genannte Thema nicht immer im Auge behält. Für 16,80 Euro ist das gute Stück in jedem gut sortierten Buchhandel zu haben.

Roland Seim/Josef Spiegel (Hrsg.): "The Sun Ain't Gonna Shine Anymore". Tod und Sterben in der Rockmusik. Münster: Telos-Verlag 2009. ISBN: 978-3-933060-26-6. 270 Seiten, 16,80 Euro. Kontakt: www.telos-verlag.de
 






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