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Susan Beth Pfeffer: Die Welt, wie wir sie kannten
von kk anno 2011

Susan Beth Pfeffer: Die Welt, wie wir sie kannten

Gern wird die Thematik von Weltuntergang und apokalyptischen Katastrophen in Filmen medial bombastisch aufbereitet. Roland Emmerichs "The Day After Tomorrow" und "2012", Michael Bays "Armageddon" oder aber so vielversprechende Titel wie "Supernova - Wenn die Sonne explodiert", "Feuersturm aus dem All" und "Tsunami - Die Todeswelle" - die Liste ist lang. Die großen Produktionen können vielleicht optisch punkten und zielen auf Reizüberflutung, die dahinterstehende Story ist jedoch meist Grütze. Erfrischend ist daher Susan Beth Pfeiffers Roman "Die Welt, wie wir sie kannten", in dem sie das Szenario des Weltuntergangs völlig anders aufbereitet: Sie lässt den Leser die Katastrophe durch die Augen der 16 Jahre alten Miranda sehen.
"Die Welt, wie wir sie kannten" ist Mirandas Tagebuch, das zunächst vom Schulalltag und dem Zusammenleben mit ihrer Mutter und ihren beiden Brüdern in einer amerikanischen Kleinstadt in Pennsylvania handelt. Bereits nach wenigen Tagen richtet die Teenagerin ihre Gedanken auf einen bald auf dem Mond einschlagenden Asteroiden. Die ganze Welt will das spektakuläre Ereignis feiern, nur wenige haben Bedenken. Doch wegen falscher astronomischer Berechnungen kommt es anders als vorhergesehen: Der Asteroideneinschlag bringt den Mond aus seiner Umlaufbahn, so dass dieser nun näher um die Erde kreist als zuvor. Was Miranda nun über die Medien erfährt, ist katastrophal: Die Gezeiten werden stärker und überfluten weltweit Küsten, die Mondanziehung beeinflusst die Tektonik auf der Erde, sodass vielerorts alte Vulkane wieder aktiv werden und sogar neue ausbrechen. Tausende, wenn nicht Hunderttausende von Menschen sterben. Es dauert nicht lang, bis die Infrastruktur in Amerika komplett zusammenbricht und Miranda und ihre Familie so gut wie keinen Kontakt mehr zur Außenwelt haben: kein Strom - kein Radio, kein Fernsehen, kein Telefon. Geistesgegenwärtig hamstert die Familie gleich zu Anfang, was sie in Supermärkten noch bekommen kann, um die folgenden Monate gut zu überstehen, denn niemand weiß, wann und ob es überhaupt wieder so werden wird wie vor dem Einschlag des Asteroiden.
Pfeffer richtet den Blick in ihrem Roman gezielt auf die kleinste Einheit in der Gesellschaft: die Familie. Wer sich Schilderungen der Katastrophen biblischen Ausmaßes mit unzähligen Toten erhofft, wird von dieser Geschichte enttäuscht, denn Tsunamis und Vulkanausbrüche liegen das ganze Werk über immer in der Ferne. Dafür gibt Pfeffer einen beklemmenden Einblick in die Gefühlswelt der Teenagerin, deren Psyche merklich unter der Situation leidet. Die Unwissenheit über das Schicksal vieler nahe stehender Menschen zehrt an ihr, Zukunftsangst drängt sich in den Vordergrund, Hoffnung auf Rettung erstickt, weil die Essensvorräte knapper werden. Pfeffer erzählt die Tagebucheinträge so atmosphärisch dicht, dass man sich selbst schnell mitfühlend - ja, fast mitleidend - in Mirandas Welt findet und sich jedes Mal, wenn man den Roman weglegt, über das eigene Essen, fließendes Wasser und Strom in den eigenen vier Wänden freut.
Natürlich darf der Leser an den Schreibstil in "Die Welt, wie wir sie kannten" keine großen Ansprüche stellen: Die Sätze sind einfach formuliert, um dem Tagebuchstil zu entsprechen. Widersprüchlich ist auch die penibel exakte Berichterstattung Mirandas, die ihr Tagebuch im echten Leben sicherlich nicht mit ausufernden Dialogen in direkter Rede gefüllt hätte. Beides verzeiht man Pfeffer aber insofern gern, als dass der Zweck hier die Mittel heiligt und das Ergebnis mehr als packend ist. Wofür die Autorin nichts kann, ist die deutsche Übersetzung, die so manche Formulierung holprig macht oder den zuweilen schönen, trockenen Humor etwas abwürgt.
Insgesamt ist das Weltuntergangswerk der gelungene Versuch, das Gefühlsrepertoire einer Jugendlichen in der Zeit nach der einer großen Katastrophe aufzuzeichnen. Ihre Ungewissheit und das allgegenwärtige Damoklesschwert des Verhungerns, von Krankheiten, weitere Katastrophen etc. macht "Die Welt, wie wir sie kannten" unglaublich spannend und auch dramatisch. Im Gegensatz zu Genrekollegen, die ebenfalls den Fokus auf das Soziale und die Gefühlswelt legen, wie zum Beispiel Robert Kirkmans Zombie-Comic "The Walking Dead" oder John Hillcoats post-apokalyptisches Filmdrama "The Road", kommt Pfeffers Roman aber mit weit weniger Schicksalsschlägen aus. Das lässt ihn nicht weniger interessant werden, macht ihn aber auch für ein jüngeres Publikum zugänglich.

Susan Beth Pfeffer: Die Welt, wie wir sie kannten. Hamburg: Carlsen Verlag 2010. 412 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. ISBN 978-3-551-58218-8. 17,90 Euro
 






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