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Land der Ideen. Der Reiseführer
von rls anno 2006

Land der Ideen. Der Reiseführer

Der 9. Juli 2006 ist vorbei, die Frage des Fußballweltmeisters 2006 geklärt (der Rezensent hat das Finale im Urlaub verfolgt, im Hotel Balkaria in Asau am Fuße des Elbrus, des im Kaukasus befindlichen höchsten Berges Europas - dort fiel drei Minuten vor Ende der Verlängerung im kompletten Dorf der Strom aus, kam dank eines Notstromaggregates zumindest im Hotel aber pünktlich zum ersten Elfmeter des Elfmeterschießens wieder), der Pulsschlag im Ausrichterland hat sich wieder halbwegs normalisiert - aber eines der durch die FC Deutschland GmbH organisierten Begleitprojekte ist noch lange nicht abgeschlossen, besitzt den langen Atem, der auch dem einen oder anderen Kicker zu wünschen gewesen wäre. "Land der Ideen" heißt dieses Projekt und möchte unter Beweis stellen, daß der zweite Teil des Deutschland gern verliehenen Prädikates als "Land der Dichter und Denker" nicht nur in der Zeit eines Peter Henlein oder eines Carl Benz Gültigkeit besessen hat, sondern auch heutzutage noch (oder gerade heutzutage) Relevanz besitzt. So konnten sich innovative Initiativen, Firmen, Netzwerke oder sonstige Institutionen, meist mit einem bestimmten Projekt oder Event, für die Aufnahme in das Projekt "Land der Ideen" bewerben. Über 1200 haben das getan, und 365 von den Bewerbern wurden ausgewählt, womit ein lückenloser Veranstaltungs- bzw. Projektkalender über das gesamte WM-Jahr hinweg entstanden ist. Diesen Fundus dokumentiert auch ein Reiseführer, der dem Interessierten die relevanten Grundinformationen über jeden der 365 ausgewählten Bewerber auf einer Seite präsentiert. Dazu gehören jeweils ein Bild, ein knapper, aber stets informativer und nicht selten höchst unterhaltsamer Informationstext sowie ein grauer Kasten mit den strukturellen Informationen (also Adresse, Öffnungszeiten etc.).
Soweit also die Theorie - was ergibt der praktische Einblick? Kurz zusammengefaßt: Er begeistert. Daß Deutschland (selbst wenn man mal alle bürokratischen und sonstigen Hindernisse geistig ausblendet) innovativ ist, ahnte man ja schon, aber was für ein funkensprühender Reigen an Ideen und Projekten sich hier präsentiert, das überrascht dann doch (und man verliere nie aus dem Auge, daß nur ein Viertel der Bewerber ins "Finale" gekommen ist). Über eines der Projekte ist bei CrossOver ja auch schon berichtet worden, nämlich die Aufführung des Musicals "Akte Romeo" am 15.1. in der Leipziger Musikhochschule. Im Buch sind die Projekte etwa nord-süd-weise durchnumeriert; ein Kalendarium gibt zudem eine Übersicht, was man sich an welchem Tag wo anschauen kann (denn das ist eine Grundbedingung an die teilnehmenden Projekte: zumindest am besagten Tag müssen sie der Öffentlichkeit erlebbar gemacht werden), und die inneren Umschlagseiten enthalten zudem eine Karte mit den Projektnummern, bei deren Betrachtung man auch die regionalen Gewichtungsverhältnisse der Projekte schön nachvollziehen kann: Spitzenreiter ist mit 31 Projekten Berlin, gefolgt von Stuttgart mit 12 und Bonn mit 9, wohingegen beispielsweise das große München nur vier Projekte (und damit weniger als Leipzig oder Dresden und gerade mal genauso viele wie Göttingen oder Halle an der Saale) ins "Finale" bringen konnte. Dafür wirft die Kartographie die Frage auf, nach welcher Systematik die eingezeichneten Ortschaften bestimmt wurden - die paar hundert Einwohner des vogtländischen Dörfchens Rautenkranz etwa (die kein Projekt ins "Finale" bringen konnten - keine Ahnung, ob sie eins eingereicht hatten, etwa eins, das sich mit dem großen Sohn des Dorfes Sigmund Jähn, dem ersten deutschen Kosmonauten, beschäftigt) werden sich die Hände reiben, daß ihr Ort eingezeichnet ist, die umliegenden größeren Städte wie Oelsnitz, Markneukirchen oder Auerbach dagegen nicht.
Schauen wir exemplarisch mal noch durchs Angebot. Was ist heute, am Tag des Reviewschreibens (23.7.), los? Ein Tag der offenen Tür an der Universität der Künste in Berlin. Was gibt's am 7.8., dem ersten Tag, nachdem dieses Review online gegangen ist? Den Tag des offenen Baumhauses in vier Objekten, die ein Bremer Architekt umweltschonend wie romantikfördernd gebaut hat. Was hält der Rest des Jahres noch so bereit? Da wären etwa Vortragsveranstaltungen im Deutschen Zentrum für Künstliche Intelligenz Saarbrücken am 22.9., die Museumsnacht in der Waldkircher Orgelwelt am 20.10., eine Fachtagung mit Workshop zum Papilio-Programm für Sucht- und Gewaltprävention bei Kindern im beta-Institut Augsburg am 12.11. oder kurz vor Toresschluß des Jahres noch ein Konzert im Leipziger Gewandhaus am 30.12. - Verbindungen zwischen Vergangenheit und Zukunft also, die einerseits den Blick in Deutschlands innovative Vergangenheit nicht scheuen, andererseits aber klar und deutlich nach vorn gerichtet arbeiten. Das ist zweifellos kein leichter Spagat, aber einer, der bewältigbar ist - und der auch in Zukunft bewältigt werden muß, um Deutschlands Ideenpotential weiter auf hohem Niveau am Kochen zu halten und es fürs Allgemeinwohl zu nutzen. So ist das Buch ein schönes Abbild der Situation in der geistigen Elite des Landes (nein, es soll hier keine neue Diskussion losgetreten werden, ob bzw. man Eliten überhaupt braucht bzw. fördern sollte) und ein Anreiz, sich zu seinem Heimatland zu bekennen, auch außerhalb des in diesem Falle zumindest noch eine Mantelfunktion ausübenden Fußballs (und zudem ein weitaus unverfänglicheres Zeichen als das Tragen eines "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein"-Aufnähers, der zwar aussageseitig eigentlich wertfrei ist, aber aufgrund seiner Verwendung in den braunen Kreisen leider einer Zwangsblockade unterliegt - denn das Buch enthält viele Dinge, auf die man als Deutscher zu Recht stolz sein darf, ohne daß deswegen am deutschen Wesen gleich die ganze Welt genesen muß). So sollte der Reiseführer eigentlich in jedem Haushalt stehen - und dort nicht nur stehen, sondern auch aktiv genutzt werden. Viele der Einrichtungen haben schließlich auch außerhalb ihres jeweiligen Fokustages eine Menge zu bieten, worüber man sich auch auf www.land-der-ideen.de ein Bild machen (und zudem über eventuelle seit der Drucklegung aufgetretene Planänderungen informieren) kann.

Land der Ideen. Der Reiseführer. 365 Orte und Veranstaltungen. Ostfildern: DuMont Reiseverlag 2006. 392 Seiten. ISBN-10 3-7701-8202-2. ISBN-13 978-3-7701-8202-2. 9,95 Euro.
 






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