www.Crossover-agm.de
Karsten Krampitz: Heimgehen
von uvs anno 2009

Karsten Krampitz: Heimgehen

Die Figur des evangelischen Pfarrers Oskar Brüsewitz, der sich 1976 in Zeitz mit einer öffentlichen Selbstverbrennung das Leben genommen hatte, hat den Berliner Schriftsteller Karsten Krampitz über viele Jahre nicht losgelassen. Der 39-jährige Historiker hat Dokumente studiert, Akten der DDR-Staatssicherheit gewälzt und mit zahlreichen Zeitzeugen gesprochen. Bereits zum 30. Jahrestag des "Fanals von Zeitz", als das die Selbstverbrennung von Brüsewitz in die Geschichte eingegangen ist, hat Krampitz ein Buch mitherausgegeben, das 2006 in der Evangelischen Verlagsanstalt erschienen ist. Jetzt hat Krampitz den Stoff in eine Novelle gepackt, die den programmatischen Titel "Heimgehen" trägt. Im Juni war Krampitz mit einem Ausschnitt aus dem Buch zu Gast bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt - mit Erfolg, denn er gewann den begehrten Publikumspreis. Und das zu Recht, denn "heimgehen" ist ein Buch, das von der ersten bis zur letzten Zeile fesselt und das, da allenthalben der 20. Jahrestag der friedlichen Revolution und des Mauerfalls gefeiert wird, genau zur richtigen Zeit erschienen ist: Wer das Buch gelesen hat, dem ist jede DDR-Nostalgie fern.
Krampitz' Novelle spielt in einer Gegend, in der der Allmächtige "nicht mal ein Gerücht" ist - hier haben die Menschen "vergessen, dass sie Gott vergessen haben." Und hier lebt Pastor Ulrich Schwenke, ein Pfarrer in Ruhe, der von einem westdeutschen Journalisten aufgesucht wird: Schwenke, der sich gegen Verdächtigungen zur Wehr setzen muss, ein Stasi-Spitzel gewesen zu sein, soll sich zum spektakulären Selbstmord seines Amtsbruders Benno Wuttke äußern. Schwenke zögert zunächst, denn mit der Erinnerung ist es "so eine Sache": "Wir laufen doch immer Gefahr, das Erinnerte zu vermengen mit späteren Erkenntnissen und Erfahrungen. Aus dem Gewünschten wird das Geschehene - so wie es sich hätte zutragen sollen. Und davon abgesehen: In der Erinnerung sind wir doch immer mutig. Hier kann uns nichts zustoßen. Nichts, was uns nicht schon passiert ist." Es sind Passagen wie diese, die einen das Buch nicht mehr aus der Hand legen lassen. Und je länger man den Erinnerungen von Pastor Schwenke folgt, der dann doch zu reden beginnt, desto mehr wird man in eine Zeit hineingezogen, von der man nur sagen kann: Gott sei Dank, dass sie vorbei ist.
Hatte sich Pastor Wuttke das Leben genommen, weil er seinen Glauben verloren hatte? Nein, denn "jemand der weiß, dass Gott ihn an diesen Platz im Leben gestellt hat und nur Gott ihn von dort abholt, dieser Mann entschließt sich nicht zu einer solchen Tat." Wie konnte es also geschehen, dass ein so frommer Christenmensch wie Benno Wuttke seinem Leben selbst ein Ende setzt? Mehr und mehr macht Krampitz es deutlich: Es waren die Zersetzungen der Staatssicherheit, die heimtückischen Verleumdungen und perfiden anonymen Aktionen, die Wuttke zermürbt haben. Und die Enttäuschungen, dass ihn seine Amtskollegen und die Bewohner des Dorfes, in dem "Suff und Ordnung" herrschten, schmählich im Stich ließen.
"Was ist das für eine Kirche, in der ein solcher Tod gestorben wird? Was ist das für ein Land?", fragt sich Pastor Schwenke zum Schluss. Die Antwort darauf muss sich jeder selbst geben.

Karsten Krampitz: Heimgehen. München: Langen-Müller 2009, ISBN: 978-3-7844-3189-5. Gebunden, 16,95 Euro






www.Crossover-agm.de
© by CrossOver