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Wolfgang Kabus (Hrsg.): Popularmusik und Kirche - kein Widerspruch
von Reinhard John anno 2003

Wolfgang Kabus (Hrsg.): Popularmusik und Kirche - kein Widerspruch

Anfang des Jahres 2000 fand in Bad Herrenalb ein interdisziplinares Forum "Popularmusik und Kirche" statt, dessen Ergebnisse im vorliegenden Band dokumentiert werden. Im Frühjahr 2002 hat ein zweites Forum zum selben Thema stattgefunden, dessen Beiträge ebenfalls inzwischen veröffentlicht wurden.
Die Qualität der abgedruckten Vorträge ist sehr unterschiedlich, sie reicht von szenefernem bildungsbürgerlichen Theoretisieren bei Bernd Beuscher über Klaus Ernst Behnes Abhandlung über die Abstumpfung durch musikalische Dauerberieselung, die in keinem erkennbaren Zusammenhang zum Gesamt-Thema der Tagung steht, bis zu Michael N. Ebertz' klarer kultursoziologischer Analyse der gegenwärtigen Position der Kirche in der Erlebnisgesellschaft. Ebertz weist darauf hin, dass die Kirche ihre prägenden Personen einseitig aus bestimmten Milieus rekrutiert und daher trotz guten Willens mit anderen Milieus kaum kommuniziert, deren "religiösen Hunger" nicht stillen kann.
Herausgeber Wolfgang Kabus, der die Tagung leitete, setzt sich für eine Höherbewertung der emotionalen Seite des Glaubens ein. Die Kirche müsse die kulturellen Muster verschiedener Milieus kennen und in ihnen kommunizieren können. Jugendkulturen funktionieren teilweise quasi-religiös, Kultur ersetze Religion als Sinnstifter. Dies könne für die Kirche sowohl eine Gefahr als auch eine Chance sein. Günther Jacob, Journalist, DJ und HipHop-Fachmann, wendet sich gegen jede Anbiederung beim Pop. Pop lege Wert darauf, Billigware zu sein. Die Kirchenmusik könne weder Billigware werden noch irgendeine Subkultur-Musik besetzen. Udo Feist, Pfarrer und Öffentlichkeitsarbeiter, gibt der Kirche wenig Chancen, die Popularmusik für eigene Zwecke zu besetzen. Die Theologie überschätze sich dabei selbst; christliche Inhalte und Bilder seien im Gegenteil inzwischen zum Material der Versprechen der Popkultur geworden. Feist rät der Kirche, zu ihren eigenen Quellen zurückzugehen, statt vergeblich die übermächtige Pop-Kultur funktionalisieren zu wollen.
In den ebenfalls abgedruckten Diskussionen hatten die radikaleren soziologischen und musiktheoretischen Thesen wenig Resonanz. Hier überwogen pragmatische Standpunkte wie der des Musikpädagogen Ansgar Jerrentrup, der einen mehrheitsfähigen Kirchenpop von "oben" außerhalb jeder Jugendszene entwickeln und innerhalb der Gemeinde für alle Generationen spielen will. Jerrentrup fügt seinem Beitrag eine umfangreiche, aber sehr subjektive Diskografie christlich geprägter Rock- und Popmusik bei. Die Religionspädagogin Ilse Kögler referiert Forschungsergebnisse über Musikkonsum und religiöse Gewohnheiten von Jugendlichen in Österreich. Angesichts der Zersplitterung kultureller Praxis in zahlreiche kleine Szenen spiele persönliche Glaubwürdigkeit eine Hauptrolle in der Kommunikation mit Jugendszenen. Rolf Tischer, Pfarrer und Popularmusik-Beauftragter der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, plädiert für Popularmusik in der Kirche zum Mitmachen in stilistischer Vielfalt. Es gebe gute Erfahrungen, Popularmusik könne den Gottesdienst lebendig machen und in der Gemeinde integrierend wirken.
Weitere Fragen aus den Diskussionen: Ist es überhaupt möglich, in der Kirchenmusik ernstzunehmende Professionalität im Umgang mit verschiedenen Popularmusik-Stilen zu erreichen? Können Kirchenmusiker und Pädagogen einer älteren Generation glaubwürdig in die Jugendmusik-Stile eindringen? Kann und soll die Kirche selbst teilweise zur Subkultur werden? War die Popularmusik in der Kirche in den 70er und 80er Jahren schon einmal weiter und mutiger als heute? Genügt es, die Musik zu verändern, oder schließt der Gottesdienst Jugendliche auch in anderen Bereichen aus? Sollte es in Zukunft stärker als bisher Zielgruppen-Kirchgemeinden mit erkennbar geprägter Kultur geben, Klassik-Kirchen, Gospel-Kirchen, Schwerpunktkirchen mit Popularmusik, Kirchen für verschiedene Milieus, mit differenzierten Gottesdienstformen?
Die Tagung und ihr Dokumentationsband bieten keine einheitliche theoretische Basis, keine eindeutigen Begriffe, keine abschließenden Antworten. Für alle, die popularmusikalische Bereiche in der Kirchenmusik für selbstverständlich und nötig halten, ist es sicher ein Gewinn, die Gedanken der Referate mitzudenken und sich für die eigene Praxis anregen zu lassen.

Wolfgang Kabus (Hrsg.): Popularmusik und Kirche - kein Widerspruch. Frankfurt/Main: Peter Lang Verlag 2001. ISBN 3-631-38472-6. 234 Seiten, 43 Euro
 






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