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Bernhard Flieher: Am Rande des Erfolgs. Über das Scheitern
von rls anno 2014

Bernhard Flieher: Am Rande des Erfolgs. Über das Scheitern

Bernhard Flieher, Kulturredakteur und Kolumnist der Salzburger Nachrichten, hatte 2009 ein interessantes Buch über Hubert von Goisern vorgelegt: keine Biographie, aber eine Essaysammlung, die in ihrer Eindampfung trotzdem eine Art Biographie ergab. Genrekonventionen haben ihn also offensichtlich nicht daran gehindert, seinem eigenen Kopf zu folgen, und das ist auch beim Nachfolgebuch "Am Rande des Erfolgs" wieder so. Einziges Problem: Der Goisern-Hybride wußte zu überzeugen, da er ein Gesamtbild ergab - und genau daran ist Flieher im neuen Buch gescheitert.
Ein Teil dieser Einschätzung könnte durchaus in der Erwartungshaltung des Lesers (und des Rezensenten) liegen, sofern er nicht das Kleingedruckte auf dem Cover gelesen hat: "Am Rande des Erfolgs" ist nicht etwa die vielleicht erhoffte oder zu erhoffende Kulturgeschichte des Mißerfolgs geworden, sondern entpuppt sich als Interviewsammlung - oder genauer: als Ansammlung von Interviews, in denen irgendwie irgendwo irgendwann mal das Thema des Scheiterns vorkommt, bisweilen an prominenter Stelle, bisweilen aber auch eher nebensächlich wirkend. Man wird beim Lesen den Eindruck nicht los, daß viele der Interviews nicht auf das Thema zugeschnitten wurden, sondern in anderen Kontexten entstanden sind und die Kompilation in Buchform eher nebensächlich war (und tatsächlich ist das auch der Fall, zumal Flieher ja auch in seinem Hauptjob permanent Interviews zu führen hat). Einen roten Faden durch das Buch gibt es also nicht, sondern lediglich eine mehr oder weniger beliebige Auswahl von Menschen, die in zugegebenermaßen hochgradig verschiedener und gerade dadurch interessanter Weise mit ihrem eigenen oder auch dem Scheitern anderer Personen umgehen. Daß Gerlinde Kaltenbrunner bestimmte Aspekte der bergsteigerischen Entwicklung (nicht des Scheiterns!) mit genau der gleichen Wortwahl wiedergibt wie Reinhold Messner viele Seiten später, ist einer der wenigen direkten Querverweise, die das Buch zuläßt - aber eine ordnende Gesamtschau, ein Überblick fehlt völlig, denn die drei knappen Seiten Vorwort können eine solche nicht liefern und wollen das auch wahrscheinlich gar nicht.
An seinem selbstgesteckten Anspruch scheitert das Buch also - es bleibt als Wert für den Leser eine Sammlung von 18 mehr oder weniger gehaltvollen Interviews mit Persönlichkeiten aus Kultur und Sport (Politiker finden sich erstaunlicherweise nicht unter den Gesprächspartnern, obwohl gerade diese Berufsgruppe Interessantes zum Thema Scheitern beitragen können müßte). Fliehers Herkunft geschuldet stammen die meisten der Interviewten aus Österreich oder dessen unmittelbaren Nachbargebieten, und der nicht diesem Kulturkreis zugehörige Leser muß sich außerdem an eine ganze Reihe Austrizismen beim Fragesteller wie beim Antwortgeber gewöhnen. Jeder Interviewte wird zunächst mit einer etwa halbseitigen Einleitung vorgestellt, die bisweilen auch schon einen Fingerzeig auf ein bestimmtes Scheiterungserlebnis beinhaltet, das dann im Gespräch oft eine zumindest latente Rolle spielt. Exoten in geographischer Hinsicht sind eigentlich nur Christoph Schlingensief, Herbert Grönemeyer und Hans Meyer, wobei letztgenannter seinem Ruf als origineller Denker einmal mehr gerecht wird, aber zugleich mit einer bestimmten Episode auch Fragen aufwirft: Meyer erzählt, wie er in seiner Zeit als Trainer des FC Carl Zeiss Jena den Stürmer Andreas Bielau auf Geheiß des Zeiss-Kombinatsdirektors Wolfgang Biermann aus Zwickau nach Jena holte, ihn aber im 0:3 verlorenen Europapokalmatch 1980 gegen AS Rom nicht einsetzte, weil er noch nicht die nötige taktische Reife besessen habe. Biermann war entsprechend erzürnt, aber Meyer setzte sich durch und gewann ohne Bielau das nächste Oberliga-Punktspiel beim FC Vorwärts Frankfurt/Oder. Soweit, so gut - aber was entweder Meyer im Interview nicht erzählt oder Flieher nicht notiert hat (beides wäre gleich schlecht), ist die Lage beim Rückspiel gegen AS Rom, als Meyer Bielau in der 71. Minute beim Stand von 2:0 einwechselte und dieser die beiden noch fehlenden Tore zum Weiterkommen erzielte, was der im Buch erzählten Geschichte einen ganz anderen Touch verleiht, zumal man taktische Reife nicht innerhalb von 14 Tagen lernt. Somit ergibt sich in diesem Kapitel ungewollt noch ein ganz anderer Aspekt des Scheiterns ...
Richtig interessant sind unter dem Titelmotto eigentlich im wesentlichen nur zwei der Interviews: zunächst das mit Pater Johannes Pausch, der in Winkl am Wolfgangsee ein Benediktinerkloster führt, wo er des öfteren mit gescheiterten Menschen, die im Kloster Rat und Hilfe suchen, zu tun hat und sowohl über seine Arbeit mit diesen Menschen als auch über die religiösen Aspekte des Scheiterns sehr offen und zugleich einnehmend berichtet. Als Gegenpol hierzu eignet sich die Unterhaltung mit dem Kabarettisten Alf Poier, der den Eindruck erweckt, als ob er dringend mal als Klient zu Pausch ins Kloster müßte, das aber auch erkannt hat (bekanntlich sind oftmals die Clowns privat die depressivsten Menschen überhaupt). Auch etliche der anderen Interviews sind unter einem ganz neutralen Gesichtspunkt durchaus lesenswert, nur erfüllen sie die erhoffte strukturelle Wirkung lediglich bedingt oder gar nicht. Ob man eine solche Sammlung nun in Buchform haben möchte, bleibt wie immer der Entscheidung jedes einzelnen Lesers vorbehalten.

Bernhard Flieher: Am Rande des Erfolgs. Über das Scheitern. Salzburg/St. Pölten: Residenz Verlag 2012. Festeinband, 244 Seiten, ISBN 978-3-7017-3246-3. 19,90 Euro. www.residenzverlag.at
 






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