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Arnold Feil: Metzler Musik Chronik. Vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart
von ta anno 2006

Arnold Feil: Metzler Musik Chronik. Vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart

Arnold Feils umfangreiche Musikchronik geht in die zweite Runde, d.h. erfährt eine zweite Auflage nach der Erstveröffentlichung im Jahre 1987. Knapp 900 Seiten in Augenkrebsschriftgröße und bei einer Buchfläche von 24 mal 17 Zentimetern, das ist definitiv nichts zum Durchlesen von vorne bis hinten, sondern hat eher Nachschlagewerkcharakter, ist Lexikon. Und als solches ein historisch angelegtes, chronologisch, d.h. nach Epochen geordnet. Die Gliederung der Epochen fällt hierbei klassisch aus, beginnt mit einstimmigem Liturgiegesang und endet mit neuzeitlicher Musik, die Ausnahme von der Regel traditioneller Epochengliederung bildet Kapitel VIII.1., S. 303ff.: Die Zeit von 1730 bis 1820 wird als "musikalische Frühromantik" eingeführt und behandelt, als Vorschule der Romantik also, die noch vor der Wiener Klassik anhebt und weit in diese hineinreicht. Über die Begründung dieser Epocheneinführung, nämlich die Behauptung, ab hier würden wirkungsästhetische Gesichtspunkte stärker in die Musikbetrachtung einfließen, die über den reinen Musikfunktionalismus der Zeit davor hinausgingen, lässt sich trefflich streiten (jüngstens etwa erschien ja W. Fuhrmanns "Herz und Stimme", in dem der Nachweis wirkungsästhetischer Überlegungen bereits im tiefsten Mittelalter versucht wurde - mit Erfolg), aber Feil legt seine Periodisierungsbegründung gut und verständlich dar, wie überhaupt Periodisierungsprobleme beständig reflektiert, thematisiert werden - am ausführlichsten im reinen Methodenkapitel XIV, S. 753ff. - und auch sonstigen methodische Überlegungen in hilfreichen, pointierten Fußnoten Raum gewährt wird (fabelhaft etwa die lockere Anmerkung zu einer Äußerung von Horowitz, S. 502). Die Binnengliederung der Kapitel fällt sinnvoll aus. Kurzen Überblicksabrissen zur Epoche, zur Programmatik und zu einzelnen Autoren folgt jeweils ein ellenlanger Datenabriss, in dem Uraufführungen von Werken, Gründungen musikalischer Institutionen, Veröffentlichung von Kompendien usf. verzeichnet sind (Fließtext) und in dem wirklich repräsentativ auch Randphänomene, etwa die Veröffentlichung von M. Heideggers "Ursprung des Kunstwerks", S. 737, ihren Platz finden. Der Geschichte einzelner Gattungen, den Biographien einzelner Komponisten oder partikulären Werkanalysen wird wenig bis gar kein Raum gewährt, lediglich überblicksartige Darstellungen ("Haydns Sinfonien") finden statt. Aber das ist dem Lexikoncharakter geschuldet und daher nicht beanstandenswert. Gelegentlich wünscht man sich einen weniger komplexen Schreibstil vom Autor (das Emphatische dagegen stört mich nicht), auch die Schriftgröße bzw. -kleine hat in Kombination mit dem einschläfernden Textbild (Graphiken o.Ä. gibt es fast überhaupt keine) zunächst eine eher abschreckende Wirkung, aber hat man sich über solche akzidentellen Krittelphänomene hinweggearbeitet, erwartet einen eine fundierte, gut gegliederte und verständlich aufgearbeitete Musikchronik, also genau das, was das Buch sein will. Deshalb für Einsteiger, Überblicks- und Datensucher: Kaufempfehlung.
Doch eine Marginalie noch zum Abschluss: Das systematische Kapitel XIII. über musikalische Tendenzen in der zweiten Jahrhunderthälfte des 20. Jahrhunderts outet den Autor endgültig als a) Musikliebhaber der feinsten Sorte, der sich b) um die Entwicklung unserer Tage besonders im Bereich der Popularmusik so seine besorgten Gedanken macht. Hierbei tritt eine Einstellung zutage, die man leicht konservativ und verstockt nennen kann - dann nämlich, wenn der musikalischen Geräuschkulisse, die etwa Kaufhäuser und Cafés bieten, der Vorwurf gemacht wird, sie würde zur Kultivierung des Weghörens führen. Das ist konservativ, weil es so nicht generalisiert werden kann und jede musikalische Szene, auch die Szenen im Bereich der Popularmusik, ihre hinhörende Liebhaberklientel hat; verstockt, weil das Phänomen der Hintergrundbeschallung beileibe kein neues ist.

Arnold Feil: Metzler Musik Chronik. 2. Auflage. Stuttgart/Weimar: Metzler 2005. ISBN-13: 978-3-476-02109-0, ISBN-10: 3-476-02109-2
 






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