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Archiv der Jugendkulturen (Hrsg.): Reaktionäre Rebellen. Rechtsextreme Musik in Deutschland
von rls anno 2002
Das mit seinen Publikationen
bei uns schon öfter vorgestellte Berliner Archiv
der Jugendkulturen hat es zu einer seiner Aufgaben gemacht, alle relevanten
Materialien rings um bestimmte Sparten der Jugendkultur zu sammeln, zu
dokumentieren und auszuwerten. Dazu gehört seit längerer Zeit
auch die wie fast alle anderen Jugendkulturen nur schwer exakt abzugrenzende
rechtsextreme Szene, deren musikalisches Leben im vorliegenden Buch einer
eingehenden Betrachtung unterzogen wird. Bekanntlich kann Musik in hohem
Maße als Identifikationsfaktor dienen, und wenn die No Angels plötzlich
beginnen würden, mit Ku Klux Klan-Flaggen auf die Bühne zu gehen,
würde mich mal interessieren, was in der Fanschicht losginge. Umgekehrt
ist zwar glücklicherweise nicht damit zu rechnen, daß Störkraft
in der Zukunft auf Viva rauf- und runtergedudelt werden und Frank Rennicke
uns beim nächsten Grand Prix vertritt (der ja noch dazu in altem "Reichsland"
stattfindet - zu Deutschordenszeiten war Lettland ja mal deutsch) - aber
beispielsweise die Böhsen Onkelz werden von vielen Seiten immer noch
mißtrauisch beäugt, und auch die Geschehnisse um Forthcoming
Fire und Weissglut sind kein Ruhmesblatt für die bundesrepublikanische
Kultur.
Was ist also drin im Buch?
Klaus Farin und Henning Flad arbeiten zunächst das Thema sensu stricto
auf, aufgegliedert nach der generellen Geschichte des Rechtsrock, der textlichen
Komponente, der ökonomischen Struktur und schlußendlich der
Hörerschaft. In ähnlicher Form konnte man diesen Beitrag schon
in "Rock von Rechts II" nachlesen, allerdings
sind seit dessen Erscheinen zwei Jahre ins Land gezogen, und die haben
Farin und Flad selbstverständlich zu einem inhaltlichen Update genutzt,
so daß sich die Lektüre auch für Leute lohnt, die "Rock
von Rechts II" bereits besitzen. Rainer Erb hat im besagten Buch ebenfalls
bereits mitgewirkt - hier nun äußert er sich generell zum gleichen
Thema (Antisemitismus im Rechtsrock), arbeitet es aber von einer anderen
Richtung her auf, nämlich von der antisemitischen Bildersprache her,
die nix mit der gegenwärtigen Möllemännerei zu tun hat,
sondern weit tieferliegende Ressentiments zum Ausdruck bringt. (Der Begriff
"Antisemitismus" für judenfeindliche Ansichten hat sich zwar mittlerweile
weitgehend eingebürgert, ist aber kulturgeschichtlicher Unsinn, da
beispielsweise auch die meisten arabischen Völker zu den Semiten zu
zählen sind. Dies sei nur nebenbei erwähnt - es illustriert aber
sehr schön, mit welchem mangelndem Hintergrundwissen die Nahost-Diskussion
seit Jahrzehnten geführt wird.) Henning Flads Thema "Kleider machen
Leute. Rechtsextremismus und Kleidungsstil" eröffnet die Sensu-lato-Behandlung
des Grundsujets und räumt mit einigen bekannten (jeder Skinhead ist
automatisch rechts) und diversen weniger bekannten und daher noch wirrer
diskutierten (Lonsdale sei eine eindeutig rechte Hemdenmarke, weil in ihr
die Buchstabenfolge nsda, für deren Komplettierung im Prinzip nur
noch das abschließende p fehlt, vorkommt) Märchen auf. Quintessenz
des Artikels: Es gibt tatsächlich Kleidungsstücke und Marken,
von denen man beim Träger auf eine rechtsextreme Gesinnung schließen
kann - allerdings nur, weil man sie ausschließlich in Nazi-Szeneläden
oder -versänden bekommt (dazu zählt zum Beispiel die Marke mit
dem Kunstwort Consdaple, wo die erwähnte Buchstabenfolge nun bewußt
vervollständigt wurde). Einen ebenfalls sehr wichtigen Artikel hat
Frauke Stuhl beigesteuert, der die wunderbare Überschrift "Ich weiß
nicht, was soll es bedeuten" trägt, "Die Symbolik der extremen Rechten"
behandelt und bei vielen Lesern erst einmal eine Portion Grundwissen erzeugt,
was denn die Schwarze Sonne, das Hakenkreuz oder verschiedene Runen ursprünglich
einmal bedeuteten, welche Bedeutungen ihnen im Dritten Reich zugewiesen
wurden und welche sie heute haben. Klar ist dies nur ein Grobüberblick,
aber wer sich hier tiefergehend weiterbilden will, wird eh runenkundliche
Spezialliteratur heranziehen, und für den allgemeinen Nutzer läßt
dieses Kapitel nicht viele Fragen offen. Von Burkhard Schröders "Rechtsextremismus
im Internet" kann man das leider nur teilweise behaupten, denn der Autor
befleißigt sich zunächst einer langwierigen Begriffsbestimmung
(an dessen Ende der Antisemitismus allerdings unbehandelt stehen bleibt,
obwohl der begrifflich wie dargelegt ebenfalls hochgradig hinterfragungswürdig
wäre). Wenn's aber an die Behandlung einzelner wichtiger Naziseiten
geht, wissen auch Schröders Gedankengänge (die sich im übrigen
von Rosa Luxemburgs "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden"
leiten lassen - damit macht sich der Autor im ach so politisch korrekten
Deutschland bestimmt mehr Feinde als Freunde, wird mir allerdings gleich
ein Stück sympathischer) zu überzeugen, und zudem hat er im Internet
auch die beste Satire seit langem gefunden: "Wir basteln uns eine braune
Webseite". Kostprobe gefällig? §5: "Achtet darauf, möglichst
viele Rechtschreibfehler einzubauen. Das ist ja nicht sehr schwierig für
Euch. Eine Seite, die keine Rechtschreibfehler hat, ist verdächtig.
Könnte von einem Linken sein." Schlußendlich gibt's eine analog
der auch schon in "Rock von Rechts II" zu findenden aufgebaute Liste deutscher
und internationaler Rechtsrockproduktionen, wobei in der internationalen
aber noch etliche Lücken klaffen, beispielsweise in Polen (ja, ich
meine Graveland), in der Ukraine (ja, ich meine Nokturnal Mortum) oder
in Norwegen (ja, ich meine Burzum) - dafür füllt alleine die
Skrewdriver-Diskographie schon fast zwei Seiten. Insgesamt betrachtet ein
wichtiges Buch, das mit etlichen Mythen aufräumen könnte, wenn
es von den richtigen Leuten gelesen und auch verstanden würde.
Archiv der Jugendkulturen
(Hrsg.): Reaktionäre Rebellen. Rechtsextreme Musik in Deutschland. Berlin: Archiv der Jugendkulturen 2002. ISBN 3-936068-04-6. 252 Seiten. 24,00 Euro.
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