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Axel Brüggemann: Wagners Welt oder Wie Deutschland zur Oper wurde
von rls anno 2008

Axel Brüggemann: Wagners Welt oder Wie Deutschland zur Oper wurde

Der Titel beinhaltet ein gewisses Paradoxon, denn Axel Brüggemann weist in seinem Buch nach, daß einerseits Deutschland nicht zur Oper werden wollte und daß andererseits das, was dann zur Oper wurde, eigentlich nicht Deutschland war. Um zu diesen Erkenntnissen und einer weiteren wichtigen zentralen Erkenntnis zu kommen, unternimmt der Autor einen Parforceritt durch Wagners Leben und Wirken, gegliedert in sechs große Komplexe, deren erste dreieinhalb einer groben chronologischen Ordnung folgen, nach hinten heraus sich aber zwangsläufig eine argumentative Verbreiterung notwendig macht, wenn es um die Spezifika des von Lästerzungen "Der Ring, der nie gelungen" getauften sechzehnstündigen Spektakels oder um die Nachwirkung Wagners auf folgende Generationen respektive Kulturkreise geht. Diese Komplexe teilen sich wiederum in zwei weiteren Subhierarchieebenen auf, so daß die einzelnen Kapitel mitunter gerade mal noch eine halbe Seite Text umfassen, aber trotzdem nicht künstlich verknappt wirken. Dafür sorgt vor allem Brüggemanns hier eher feuilletonistisch ausgerichteter Schreibstil, der das Kunststück vollbringt, gleichzeitig kompakt und ausladend zu argumentieren - eine Tugend, die Wagner selbst in seinen besten Zeiten auch zu pflegen in der Lage war, die aber lange Zeit verschüttet war, bis sie Pierre Boulez mit seiner berühmten "entschlackten" Ringinterpretation auf musikalischem Gebiet wieder freilegte; in puncto Theaterdonnerfaktor hatten die beiden Wagner-Enkel Winfried und Wolfgang bei der Wiederbelebung der Bayreuther Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren leeren Bühnen den analogen Weg bereits gewiesen, der das Geschehen in den Kopf des Hörers verlegte. Auch bei der Lektüre von Brüggemanns gar nicht mal so umfangreichem und zudem recht kleinformatigem Büchlein ist Mitdenkevermögen und assoziative Vorstellungskraft hochgradig gefragt, am besten zudem von einem Hirn, das nicht auf die reine klassische Lehre fixiert ist, sondern sich in allen Sparten heutiger Kulturwelt zumindest ansatzweise auskennt - erst dann nämlich entschlüsselt man Kapitelüberschriften der Marke "Wir sind Helden" oder gar "Lindenwurmstraße" in allen ihren Dimensionen, und der Text wimmelt ebenfalls von "Links" und Anspielungen, so daß man trotz des flotten Schreibstils gar nicht so schnell vorwärtskommt beim Lesen. Über die musikwissenschaftliche und kulturanthropologische Haltbarkeit mancher der locker aus dem Ärmel geschüttelten Thesen kann man streiten und ganze eigenständige Bücher verfassen, aber wir haben hier eben ein Werk vor uns, das trotz des Titels nicht anstrebt, uns die Welt zu erklären, was mancher dem Autor als strukturelle Böswilligkeit ankreiden mag. Die erwähnte zentrale Erkenntnis ist übrigens, daß Wagner in jeder seiner Opern mindestens eine autobiographische oder zumindest autobiographisch angehauchte Figur unterbrachte und mit zahlreichen der Sujets und ihrer Aufarbeitung praktisch die eigenen Psychiaterkosten sparte, statt dessen durch geschickte Vermarktung seiner Figur durch seine letzte Partnerin Cosima letztlich ein ansehnliches Sümmchen Geldes verdiente. Den steinigen Weg bis dahin zeichnet Brüggemann galoppartig nach, wenngleich mit jeder neuen These und Analogie mindestens drei weitere Fragen aufgeworfen werden, die der Beantwortung harren. Der skurrilen Frage, warum Wagner nun ausgerechnet in Bayern, dem wohl am ambivalentesten zwischen Fortschritt und Tradition pendelnden deutschen Territorium, gottähnlichen Status erreichen konnte, geht Brüggemann gar nicht erst tiefer schürfend nach, obwohl Bayernmonarch Ludwig II. im Buch durchaus eine Rolle spielt. Sehr interessant ist das Kapitel über die Wagnerrezeption in der Sowjetunion ausgefallen, das sehr heiße Eisen der Wagnerrezeption in Israel traut sich der Autor aber nicht anzufassen. Seine fast synonyme Verwendung der Termini Faschismus und Nationalsozialismus treibt zwar jedem Historiker den Angstschweiß auf die Stirn, dafür empfiehlt sich Brüggemann aber mit dem Kapitel "Kundry Merkel" als erstklassige Reden und Statements schreibende Verstärkung des nächsten Wahlkampfteams von Angela Merkel. Das kann man beim Lesen mögen oder auch nicht (selten positioniert sich der Autor so eindeutig wie an dieser Stelle, wo er vom Beobachter zum Werter wird), schmälert den generellen Wert des Buches als das, was es ist, nämlich eine pointiert-feuilletonistische Einordnung Wagners ins Weltgebilde oder das, was der Autor dafür hält, nicht. Für Einsteiger ist das Buch allerdings völlig ungeeignet, ähnlich wie man dem musikalischen Einsteiger nicht den "Ring", sondern erstmal etwas problemloser Konsumierbares und Nachvollziehbares wie "Rienzi" empfehlen würde.

Axel Brüggemann: Wagners Welt oder Wie Deutschland zur Oper wurde. Kassel et al: Bärenreiter 2006. 192 Seiten. ISBN 978-3-7618-1839-8. 19,95 Euro. www.baerenreiter.com






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