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Ruth-Alice von Bismarck/Ulrich Kabitz (Hrsg.): Brautbriefe Zelle 92 - Dietrich Bonhoeffer/Maria von Wedemeyer - 1943-1945
von rls anno 2011

Ruth-Alice von Bismarck/Ulrich Kabitz (Hrsg.): Brautbriefe Zelle 92 - Dietrich Bonhoeffer/Maria von Wedemeyer - 1943-1945

Aus heutiger Sicht stellt die Beziehung zwischen Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer ein Paradoxon sondersgleichen dar. Das betrifft nicht mal so sehr den beträchtlichen Altersunterschied zwischen dem bereits arrivierten Theologen und der pommerschen Gutsbesitzerstochter Marke "Springinsfeld", sondern die Struktur: Der brieflich nach nur kurzem, aber intensivem Kennenlernprozeß im Januar 1943 besiegelten Verlobung folgten drei weitere Monate, in denen Bonhoeffer dienstlich unterwegs war und seine Zukünftige deshalb nicht treffen konnte - dann wurde er verhaftet, weil seine konspirativen Kontakte in der deutschen Abwehr um Wilhelm Canaris aufgeflogen waren. Solange er im Militärgefängnis Berlin-Tegel saß, konnte Wedemeyer ihn zumindest in Abständen noch besuchen, aber nach seiner Verlegung in Gestapo-Haft ging das nicht mehr, und auch der Austausch von Briefen zwischen den beiden Verlobten konnte nur noch unter großen Schwierigkeiten und schließlich gar nicht mehr erfolgen. Als Bonhoeffers letzter Brief ist derjenige erhalten, der das später berühmt gewordene und in Verkennung der Entstehung häufig auf Hochzeiten (!) gesungene "Von guten Mächten treu und still umgeben" enthält. Immerhin gibt es da Strophen wie "Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern,/des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,/so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern/aus Deiner guten und geliebten Hand.", die zumindest aus der Perspektive einer heutigen Eheschließung als gesungene Voraussetzung zumindest zweifelhaft anmutet. Zu Bonhoeffers Zeiten war das freilich anders - die Deutung auf Bonhoeffers eigene Lebenssituation an dieser Stelle entbehrt nicht einer gewissen Stichhaltigkeit, bedenkt man, was die beiden Liebenden durchmachen mußten, um letztlich dann doch kein Happy End zu erleben.
Erstaunlicherweise hat sich ein großer Teil des Briefwechsels zwischen den Verlobten erhalten, und Maria von Wedemeyer nahm ihn später mit in die USA, wo sie 1977 starb, nicht ohne vor ihrem Tod diesen Schatz ihrer Schwester Ruth-Alice von Bismarck anzuvertrauen und ihr die Erlaubnis zur Publikation als Ganzes zu erteilen. Bis dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt werden konnte, vergingen allerdings nochmals 15 Jahre, aber 1992 erzeugte das Buch dann ein großes Echo und liegt nun, fast 20 Jahre später, in mehreren Auflagen sowohl als Hardcover als auch als Taschenbuch vor. Und da es sich um eine zeitlose Thematik handelt, lohnt sich das Lesen 2011 genauso wie 1992, und das wird auch 2030 noch der Fall sein, falls die Menschheit diesen Planeten bis dahin nicht schon in die Luft gesprengt haben sollte.
Der Aufbau mutet zunächst merkwürdig an, denn nach einem kurzen Vorwort Ruth-Alice von Bismarcks und einer eher auf die technischen Details fokussierten, ebenfalls nur dreiseitigen Vorbemerkung von Ulrich Kabitz beginnt ohne weitere Information der chronologische Abdruck des Briefwechsels - der fast 100seitige und damit nahezu ein Drittel des Umfanges ausmachende Anhang mit biographischen und weiteren strukturellen Informationen steht hinten am Schluß des Buches. Man bemerkt beim Lesen aber bald, wie geschickt diese Aufteilung gewählt ist, denn so zwingt sich der Leser selbst, sich allein anhand der Brieftexte und einiger kurzer Zusatzinformationen in Fußnoten oder als Zwischenbrieftexte ein Bild von der Situation zu machen, das er dann mit den Informationen im Anhang abrunden und ggf. noch an einzelnen Stellen korrigieren kann. So denkt man sich viel intensiver in die Lektüre hinein und fiebert, auch wenn man den Ausgang der Geschichte kennt, jedem neuen Dokument förmlich entgegen, so wie es auch den beiden Schreibenden damals gegangen sein muß, die natürlich noch nicht wußten, wie die Geschichte weitergehen würde. Und was für ein Lebens- und Liebeswille aus diesen Briefen spricht, eingebettet in grundsätzliche Überlegungen (soweit sie eine Chance hatten, die Zensur zu passieren), aber auch ganz kleine Dinge des Alltags, etwa die Ausstattung des erträumten gemeinsamen Heimes betreffend, das beeindruckt auch den heutigen Leser noch, der daraus ein Beispiel ziehen kann, wie selbst aus Situationen, die ausweglos erscheinen, Willenskraft extrahierbar ist. Natürlich hat den beiden ihre jeweils individuelle religiöse Verwurzelung geholfen (Wedemeyer noch stark im "Volkschristentum" verankert, Bonhoeffer auf dem Weg zur Theorie des religionslosen Christentums, an deren weiterer Ausarbeitung und Vollendung ihn Adolf Hitler höchstpersönlich hinderte, auf dessen direkten Befehl Bonhoeffer noch kurz vor Kriegsende hingerichtet wurde), aber selbst ohne diese dürfte man aus dieser Lektüre reichlichen Gewinn ziehen können. Wer sich speziell in Bonhoeffers Biographie nicht gut genug auszukennen glaubt, kann ja immer noch den Anhang zuerst lesen, wenngleich er sich damit der beschriebenen Hineindenkchance beraubt. Wie herum auch immer: Am hochgradig lohnenden Charakter der Lektüre ist nicht zu deuteln, und nur die Qualität der Bebilderung läßt an einigen Stellen Wünsche offen - da sind heute auch auf Offsetpapier und mit historischen Bildvorlagen bessere Ergebnisse möglich.

Ruth-Alice von Bismarck/Ulrich Kabitz (Hrsg.): Brautbriefe Zelle 92 - Dietrich Bonhoeffer/Maria von Wedemeyer - 1943-1945. München: C.H.Beck 1992/2006. 308 Seiten. ISBN 978-3-406-42112-9. 10,90 Euro
 






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