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Rock The Church IV mit: wahnfrieds ego, Johannes Gebhardt, Lament   26.03.1999   Leipzig, Kirche zum Heiligen Kreuz
von rls

Es klappte auch anno 1999 wieder, daß pünktlich zum Freitagabend der Leipziger Buchmesse ein größeres wertvolles musikalisches Ereignis in der Region stattfand. Nach Manowar und den Liedermachern Ostwind schlug dieses Jahr die Stunde für die o.g. Künstler, um in der leider nicht ganz gefüllten Kirche am Neustädter Markt aufzuspielen.
Kantor Johannes Gebhardt (dieses Experiment war neu) haute zum Beginn des Gigs sowie in der Umbaupause ordentlich in die Tasten der Orgel. Allerdings konnten sich nur wenige mit den modernen, oft disharmonischen, ja fast brutal zu nennenden Kompositionen anfreunden - Hindemithsche Härtegrade in der Orgelmusik sind halt genauso Nischenmusik wie Grindcore-Geknüppel. Mir hat's trotzdem recht gut gefallen, und vom Spielerischen her konte man Gebhardt auch keinen Vorwurf machen (ohne konkrete Kenntnis der Stücke ist es sowieso unmöglich festzustellen, ob ein garstiger Mißklang nun ein Geistesblitz des Komponisten oder eine Fingerschwäche des Organisten ist ...). Nicht schlecht!
Lament trugen ihren Namen allein schon aufgrund der klagenden Stimme des Sängers, die irgendwo zwischen denen seiner Kollegen von Alphaville, Depeche Mode und Camouflage anzusiedeln ist, zu Recht. Musikalisch war das Quartett hingegen eher in die gitarrenlastige Gothic-Ecke zu stecken. The Cure lugten hier und da um die Ecke, The Cult um eine zweite, und "White Gothic" von Necromance scheint auch in mindestens einem Bandmitgliederplattenschrank zu stehen. Vor allem der Sound der Rhythmusgitarre erinnerte stark an letztgenannte Combo. Zwar wußten nicht alle Songs zu überzeugen, aber Tracks wie "Treasury" wiesen doch schon in die richtige Richtung, und das Schönste an jedem Track waren die Gitarrenleads. Wenn Lament die vorhandenen Stärken konsequent ausbauen und den etwas nervigen Drumcomputer durch einen richtigen Fellgerber ersetzen, muß man sie auf jeden Fall im Auge behalten. Die Düsterfraktion unter den Besuchern wurde von ihnen jedenfalls gut bedient.
Nein, wahnfrieds ego haben nichts mit Manowar am Hut (wer diese Anspielung versteht, schickt eine Postkarte an die Redaktion und gewinnt ... nichts). Vielmehr war ihr grungiger Noiserock (oder noisiger Grungerock?) irgendwo zwischen Hole und Neurosis anzusiedeln. Der Hole-Vergleich beruht nicht zuletzt auf der Stimme der Sängerin, die ein wenig an Cobain-Witwe und Hole-Chefin Courtney Love erinnerte, musikalisch beschränkte sich der Hole-Einfluß eher auf das Frühwerk genannter Combo. Die vier Instrumentalisten bauten eine meterdicke Soundwand aus meist treibenden Drums, einem wummernden Baß und wildem Gitarrengeschrubbe auf, gegen das die Sängerin alle Energie aufbringen mußte, um erfolgreich dagegen anzukämpfen. Liebliche Melodien, wie sie Lament noch in Fülle hervorzauberten, blieben hier natürlich Ausnahmeerscheinungen, aber gerade ihr spärlicher Einsatz machte sie zu willkommenen Oasen im musikalischen Sandsturm, und obwohl eine Reihe von Songs Überlänge aufwies, wurde es doch nie langweilig. Herzstück des Sets war das ellenlange "In my country" mit einem mehrminütigen wilden, ekstatischen Percussion-Mittelteil aller fünf Bandmitglieder (die Idee dürfte zwar von Neurosis inspiriert worden sein, aber die Umsetzung war genial), der im Notfall sämtliche Eingeborenenstämme Afrikas in kürzester Zeit zusammengerufen hätte. Insgesamt zeigten sich wahnfrieds ego kaum einen Deut schlechter als diverse bekanntere Protagonisten ihres Genres, und auch wenn ich eine gewisse Zeit brauchte, um mit ihrem Sound warmzuwerden, so meine ich doch, daß sie durchaus das Potential haben, auf der Leiter der Erfolge noch etliche Stufen nach oben zu klettern. Schaun mer mal ...
 






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